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Vor über 20 Jahren ist das bundesdeutsche Gesetz zur Einführung der Societas Europaea (SE) in Kraft getreten. Seitdem bereichert die SE neben der klassischen AG und der KGaA die deutsche „Aktienwelt“. Rückblickend kann die Einführung der europäischen Rechtsform in Deutschland durchaus als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden: Waren es vor zehn Jahren (2015) noch 330 registrierte SEs, so hat sich die Anzahl 2024 auf über 1.057 nahezu verdreifacht. Von Prof. Dr. Wolfgang Blättchen und Uwe Nespethal
Der wesentliche Vorteil der SE gegenüber der klassischen AG ist zum einen die Möglichkeit, das Niveau der Mitbestimmung zum Zeitpunkt der Umwandlung einzufrieren. Bestand zu diesem Zeitpunkt keine Mitbestimmung, so bleibt dieser Zustand in der SE dauerhaft erhalten, auch wenn später die Schwelle von 500 inländischen Beschäftigten überschritten wird. Darüber hinaus ermöglicht die SE die Errichtung von Betriebsstätten im Ausland, wodurch die aufwendige Gründung von Tochtergesellschaften vermieden werden kann.
Eine weitere Besonderheit der SE ist die Wahl zwischen einem dualistischen und einem monistischen Leitungssystem. Das dualistische System entspricht der aus der deutschen AG bekannten Funktionstrennung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand, in dem der Vorstand gemeinschaftlich haftet. Das monistische hingegen kennt nur den in vorwiegend angelsächsischen Ländern üblichen „Verwaltungsrat“, der sowohl geschäftsführende als auch nicht-geschäftsführende Mitglieder (Direktoren) umfassen kann und die Unternehmensleitung und -überwachung vereint. Da die deutsche SE-Ausführungsverordnung auf das Aktiengesetz verweist, haften geschäftsführende Direktoren, anders als im angelsächsischen Raum, gemeinsam.
Laut offizieller Statistik besitzen von den 1.057 in Deutschland registrierten SEs 539 ein dualistisches (51%) und 518 (49%) ein monistisches Gremium. Doch wer nun allgemein von einer „monistischen Revolution“ in der deutschen Unternehmensführung ausgeht, sieht sich getäuscht, denn diese Statistik offenbart einen eklatanten Unterschied zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten Unternehmen.
Unsere Untersuchungen zeigen, dass die monistische Struktur unter den börsennotierten deutschen SEs die Ausnahme bleibt. Unter den 160 gelisteten Indexunternehmen firmieren 50 als SE (31%). Davon besitzen aber nur drei Unternehmen ein monistisches System: GFT Technologies, MBB und PATRIZIA. Abseits der Blue-Chip-Börsenindizes existieren weitere fünf „One-Tier-SEs“: Im Prime Standard sind es MAX Automation und elumeo; im Freiverkehr Mensch und Maschine Software, Circus sowie ARI Motors Industries. Insgesamt bilden diese acht Gesellschaften eine Ausnahme. Die traditionelle deutsche Struktur mit Vorstand und Aufsichtsrat scheint somit fest in der DNA der deutschen Corporate Governance verankert.
Ein zentraler Grund dürfte im Deutschen Corporate Governance Kodex liegen, der explizit auf das dualistische System zugeschnitten ist. Für börsennotierte Unternehmen bedeuten Abweichungen davon einen Erklärungszwang. Hinzu kommt, dass in bereits mitbestimmten Unternehmen die Arbeitnehmervertretung im dualistischen Modell über Jahrzehnte erprobt ist. In einer monistischen Struktur wäre der Einfluss der Arbeitnehmervertreter aufgrund des Weisungsrechts gegenüber dem Management deutlich größer und nur mit erheblichen juristischen Risiken auf das Maß eines Aufsichtsratsmandats zu reduzieren.
Darüber hinaus haben zahlreiche deutsche Venture-Capital-Unternehmen das Problem, aufgrund ihrer Statuten nur in einem Aufsichtsrat vertreten sein zu dürfen. Hinzu kommen Steuer- und Sozialversicherungsthemen für geschäftsführende Direktoren.
Für nicht-börsennotierte Unternehmen, die mehrheitlich eine eigentümergeführte Struktur besitzen, dürfte die Möglichkeit, das Mitbestimmungsniveau einzufrieren und weiterhin eine direkte und strategische Leitung über den Verwaltungsratsvorsitz sicherzustellen, ein wesentliches Motiv für den Wechsel in die monistische SE sein.
Inwieweit die SE weiterhin an Zuspruch gewinnt, bleibt angesichts der Alternative der niederländischen NV fraglich. Neben einer in der aktuellen Rechtsprechung im Normalfall nicht vorgesehenen Mitbestimmungspflicht bei einem Verwaltungssitz in Deutschland bietet die NV deutlich flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten für Kapitalmaßnahmen, etwa die bezugsrechtsfreie Barkapitalerhöhung mit großen Abschlägen und eine aktienbasierte Bezahlung der Aufseher. Ein Grund mehr, das deutsche Aktienrecht, unter das auch die SE fällt, zu reformieren!






