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Börse wird stets vorrangig mit Aktien konnotiert. Die liefen dieses Jahr in Wien hervorragend. Doch Börse bedeutet mehr, wie etwa der florierende Fixed-Income-Standort Österreich zeigt. Von Stefan Preuß
Der Weltenlauf an sich ist derzeit eher unübersichtlich. Die Einzelheiten, bisweilen stündlich wechselnd, sind kaum noch nachzuvollziehen. Unbeeindruckt von der geo- und handelspolitischen Gemengelage und der zum Teil erratischen Bewegungen an den internationalen Aktienmärkten eilte der ATX der Wiener Börse im bisherigen Jahresverlauf zu immer neuen Höhen. Und dies bei hohen Umsätzen: Bis zum Ende des dritten Quartals wurden Aktien im Wert von 52,95 Mrd. EUR gehandelt. Anfang Juli erfolgte mit der REPLOID Group AG nach der Steyr Motors AG die zweite Handelsaufnahme im KMU-Segment direct market plus in diesem Jahr.
„Österreichs Leitbetriebe waren als Teil der regen Marktaktivität gefragt. Mit laufenden Erweiterungen im global market und im ETF-Bereich sowie der Expansion im Anleihegeschäft bauen wir unser Angebot über das Kerngeschäft im österreichischen Aktienhandel hinaus konsequent aus. Damit schaffen wir Mehrwert für Anleger und Emittenten gleichermaßen“, sagt Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse AG. Er betont, dass dies eine langfristige Entwicklung widerspiegelt. „Seit Berechnungsstart weist der ATX Total Return eine annualisierte Durchschnittsperformance von rund 7 % auf und ist damit international konkurrenzfähig. Attraktive Dividendenrenditen, eine starke Positionierung in der Wachstumsregion Zentral- und Osteuropa sowie moderate Bewertungen machen österreichische Aktien zu einem Fixpunkt in global ausgewogenen Portfolios.“
Volatile Marktlage sorgt für hohe Aktienumsätze

Nach einem außerordentlich umsatzstarken Frühjahr, das nach Auffassung der Wiener Börse vor allem durch die US-Zollpolitik beeinflusst war, verliefen die Sommermonate etwas ruhiger. Dennoch erwies sich der August – nach jenem des Vorjahres – als der zweitstärkste in den vergangenen zehn Jahren. Auch der Septemberumsatz war auf einem Niveau mit Spitzenjahren wie 2021 oder 2022. „Die geopolitische Nachrichtenlage sorgt somit weiterhin für spürbare Bewegung an den Märkten. Die Umsätze aus Beteiligungswerten beliefen sich zum Ende des dritten Quartals auf 52,95 Mrd. EUR (+ 3,8 % vs. Q1–Q3/2024: 51,01 Mrd. EUR)“, heißt es dazu aus Wien.
Neue Höchststände

Der ATX Total Return, als Performanceindex mit dem DAX vergleichbar, ist mit seiner bisherigen Jahresperformance Spitzenreiter im internationalen Vergleich. Am 19. August erreichte der Nationalindex mit 11.825,97 Punkten seinen bisherigen Höchststand. Bis zum 30. September legte der österreichische Leitindex inklusive Dividenden um 32,45 % zu (ATX ohne Dividenden: 26,56 %) und liegt damit etwa vor DAX (19,95 %), MSCI World (16,15 %) oder EURO STOXX 50 (12,95 %).
Zwei Neuzugänge im Leitindex
Mit der STRABAG SE und der PORR AG sind zwei Neuzugänge zu vermelden. Die beiden Bau- und Infrastrukturunternehmen ersetzen Telekom Austria AG und Mayr-Melnhof Karton AG. Die Notierung der STRABAG-Aktie hat sich seit Jahresbeginn unter hohen Handelsumsätzen nach einer jahrelangen Seitwärtsbewegung von 40 mehr als verdoppelt. Die Halbjahreszahlen untermauern das Wachstum. Alle Kernkennzahlen befinden sich dabei im Plus: Die Leistung ist um 7 % deutlich auf 8,9 Mrd. EUR gestiegen, während der Auftragsbestand um 13 % ggü. Vorjahr auf 28,4 Mrd. EUR ausgebaut wurde. Das EBIT legte um 58 % auf 129,4 Mio. EUR zu, das Konzernergebnis um 4 % auf 94,9 Mio. EUR. Der positive Ausblick stützte Kursanstieg und Umsatz: Erwartet wird für 2025 eine Gesamtleistung von 21 Mrd. EUR bei einer EBIT-Marge von mehr als 4,5 %.

Bei der PORR AG ergibt sich ein ähnliches Bild. Auch diese Aktie hat sich unter hohen Umsätzen seit Dezember 2024 von Kursen um 15 EUR mehr als verdoppelt. Der Halbjahresbericht zeigte positive Zahlen; vor allem die zuletzt neu akquirierten Aufträge wuchsen um mehr als 30 % auf 2,5 Mrd. EUR. Insgesamt umfasst das Orderbuch nun 9,4 Mrd. EUR, eine Steigerung um 10 % ggü. Vorjahr. Das operative Ergebnis wurde leicht gesteigert, die operative Marge verbesserte sich auf 2,1% (Vj.: 1,9 %) und das Periodenergebnis stieg um 21,7 % auf 19,6 Mio. EUR. Ab 2026 geht der Vorstand von starkem Gewinnwachstum aus – so soll, gestützt auf den hohen und zuletzt nochmals beschleunigten Auftragseingang, die EBIT-Marge fast verdoppelt werden.
Klemens Eiter, CFO der PORR AG, zeigt sich entsprechend optimistisch: „Das kontinuierlich starke Wachstum in Rumänien und Polen ist für uns besonders erfreulich und schlägt sich auch in den Auftragseingängen nieder: Wir haben eine stetige Pipeline neuer und spannender Projekte aus allen Bereichen des Hoch- und Tiefbaus. In Deutschland wird das ambitionierte Investitionsprogramm in Infrastruktur sich wohl erst 2027 in Aufträgen niederschlagen, langfristig bringt Deutschland als Baustelle Europas aber jedenfalls langfristige Wachstumschancen für PORR.“
ETF-Angebot seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt
Die wachsende Bedeutung des Finanzplatzes Wien besitzt ihre Basis auch in der Umsetzung von Internationalisierungsstrategien. So entwickelten sich die Umsätze in den internationalen Segmenten global market und Exchange Traded Funds (ETFs) positiv. Sowohl die Anzahl der internationalen Aktien, die in Wien zu Inlandsgebühren handelbar sind, als auch jene der Indexfonds, wurden im Laufe des Jahres mehrfach erweitert. Zuletzt wurden 50 neue ETFs in den Handel an der Wiener Börse aufgenommen; das Angebot hat sich seit Jahresstart von 137 auf 336 Titel mehr als verdoppelt. Der global market wuchs um rund 60 Titel, jüngster Neuzugang ist der schwedische Zahlungsdienstleister Klarna. Demnächst sollen auch die Aktien des Medizintechnikunternehmens Ottobock parallel zum geplanten IPO an der Deutschen Börse angeboten werden. Das internationale Segment umfasst derzeit rund 900 Wertpapiere aus 28 Ländern.
Weiteres Rekordjahr bei
Anleihenlistings

Im Anleihenbereich hat die Wiener Börse ihr starkes Wachstum unvermindert fortgesetzt. Zum Ende des dritten Quartals wurden 21.719 Primärlistings zum Handel zugelassen, das bisherige Rekordjahr 2024 (13.443) wurde damit schon einige Monate vor dem Jahresende klar übertroffen. Das ist das Ergebnis der wachsenden globalen Reichweite der Wiener Börse, wie Listings der chinesischen Alibaba Group oder die erste mexikanische Emission von Cobre del Mayo unterstreichen. Auch Emittenten aus der Mongolei oder Südamerika nutzen den Finanzplatz Wien. Insgesamt werden derzeit 1.297 Anleiheemittenten aus 48 Ländern betreut. Hintergründe dazu im Interview mit Matthias Szabo ab S. 14.
Finanzbildung im Fokus
Zur weiteren Stärkung des Finanzstandorts Österreich erneuert die Wiener Börse eine zentrale Forderung: Finanzbildung solle auf allen Bildungsniveaus systematisch verankert werden. Denn selbst von den rund 1,4 Millionen Menschen, die grundsätzlich Interesse am Wertpapierkauf haben, schätze laut Börse Wien die Mehrheit (68 %) ihr Wissen über den Wertpapiermarkt als unzureichend ein – und sieht deshalb von einem Investment ab. „Junge Menschen sollten die Schule mit einem grundlegenden Verständnis von Schulden, Zinsen und Anlagemöglichkeiten verlassen – das ist Grundbildung und kein Nice-to-have. Sie müssen erkennen können, wo Investition aufhört und Spekulation beginnt, und sollten drei wesentliche Finanzfragen selbstbewusst beantworten können: Was kostet es, was bringt es, und welches Risiko gehe ich ein? Bildung ist der beste Schutz für Anleger“, betont Boschan.
In Österreich liegen mehr als 330 Mrd. EUR in niedrigverzinsten Anlagen geparkt. Es werde angesichts der Inflation sehenden Auges Kaufkraft vernichtet. Das verdeutliche die verzerrte Risikowahrnehmung in großen Teilen der Bevölkerung, so Boschan, bei der die Aktie als Spekulation verkannt werde. Stattdessen müsse die breit gestreute Aktienanlage als langfristig sichere und ertragreiche Anlageform und somit verlässlicher Inflationsschutz wahrgenommen werden.
Die Wiener Börse engagiert sich seit vielen Jahren aktiv für die Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung. Als Teil der nationalen Finanzbildungsstrategie des Bundesministeriums für Finanzen bietet sie kostenfreie Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte ebenso wie Schulvorträge, Workshops und eine intensive Zusammenarbeit mit Pädagogischen Hochschulen an. Zudem unterhält die Wiener Börse gemeinsam mit dem WIFI Management Forum die Wiener Börse Akademie, die heuer ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Im Jubiläumsjahr werden insgesamt rund 130 Kurstermine mit rund 2.000 Teilnehmern – vom Einsteiger zum geübten Anleger – abgehalten.

Fazit
Der aktuelle Aufschwung an der Börse Wien steht auf zahlreichen Pfeilern: Attraktive Unternehmen, deren Wachstumsaussichten insbesondere im Infrastruktur- und Verteidigungsbereich weitere Fantasie zulassen, die gesunde Internationalisierung und schließlich die Rolle als gewichtiger Fixed-Income-Hub sorgen für gute Aussichten. Bestens beraten ist der Finanzstandort mit gemeinsamen Anstrengungen, die Finanzbildung der Bevölkerung zu stärken. Das wird auch auf Emittentenseite gesehen. Dort rücken Retailinvestoren verstärkt in den Mittelpunkt.
Autor/Autorin

Stefan Preuß
Stefan Preuß arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Redakteur im Kapitalmarktumfeld. Der gelernte Tageszeitungsredakteur sammelte zudem Erfahrung als Investor Relations Manager. Der Redaktion der GoingPublic Media AG gehört er als ständiger Mitarbeiter mit den Schwerpunktthemen IPOs, Vermögensanlage und Nachfolgelösungen an. Er betreut als Redaktionsleiter die jährlichen Spezialausgaben "Mitarbeiterbeteiligung" sowie "M&A Insurance".






