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An der Börse zählt die Zukunft. Deshalb sind Glaubwürdigkeit und Investorenvertrauen in Zukunftsaussagen so wichtig für Unternehmen am Kapitalmarkt. Doch unvorhersehbare externe Schocks und volatile Märkte beeinflussen zunehmend die Planbarkeit und Prognosefähigkeit von Unternehmen. Von Dr. Martin Steinbach

Zugleich steigen seit Jahren die Prognoseanpassungen kontinuierlich, und zuletzt erreichten Ad-hoc Meldungen einen neuen Höchststand. Gründe dafür liegen vor allem in Veränderungen im Konjunktur-, Markt- und Geschäftsausblick. Eine aktuelle Studie1 zeigt, wie die Investor Relations (IR)-Funktion in diesem dynamischen Umfeld das Management von Erwartungen mit Investoren und Analysten meistert.

Aktives Erwartungsmanagement

Den zukunftsbezogenen Aussagen wird am Kapitalmarkt und in der Finanzberichterstattung ein hoher Stellenwert beigemessen. Sie bilden eine wesentliche Grundlage für Anlageentscheidungen von Investoren und Bewertungsmodelle von Analysten. Die Ergebnisse der Befragung von IR-Verantwortlichen zeigen, dass das Interesse der Investorengruppen an zukunftsbezogenen Informationen groß bis sehr groß ist. Das größte Interesse zeigen erwartungsgemäß die institutionellen Anleger mit langfristiger Orientierung, die ihren Blick grundsätzlich eher in die Zukunft richten. Von Unternehmen wird erwartet, dass sie in der Kapitalmarktkommunikation nicht nur Rechenschaft über vergangene Geschäftsaktivitäten und –zahlen ablegen, sondern auch Transparenz über zukünftige Aktivitäten, über die strategische Ausrichtung, die künftigen operativen Tätigkeiten und die erwartete finanzielle Lage des Unternehmens schaffen.  Nach Ansicht der IR-Befragten sind für die Mehrheit der Investoren zukunftsbezogene Informationen bei ihrer Anlageentscheidung wichtiger als vergangenheitsbezogene Informationen. Dies trifft insbesondere für Investoren bei stark wachsenden, jüngeren Unternehmen zu, da der Fokus der Beurteilung und Bewertung stärker in den Zukunftsaussichten liegt.

Primäre Kommunikationsformate

Zukunftsbezogene Informationen werden in der IR durch verschiedene Formate und Medien kommuniziert. Dabei geben die IR-Officer an, dass vor allem die Analyst Guidance als Format verwendet wird, gefolgt vom obligatorischen Prognosebericht im Lagebericht. Die Grenze zwischen Prognosebericht und Analyst Guidance scheint zu verschwimmen. So geben beide Formate Auskunft über die voraussichtliche Entwicklung, die zukünftige Finanz-, Vermögens- und Ertragslage und die Aussichten des Emittenten. Unterschiede sehen zwei Drittel der befragten IR-Verantwortlichen allerdings beim Adressatenkreis und beim Inhalt und Zeitraum der Veröffentlichung. Bereits im Rahmen der historischen Finanzberichterstattung müssen sich die Unternehmen nach den internationalen Rechnungslegungsstandards, die bei zahlreichen Bilanzierungs- und Bewertungsfragen einen Zukunftsbezug und subjektive, mit Unsicherheiten behaftete Schätzungen der Unternehmensleitung erfordern, auseinandersetzen, z.B. bei Standards rund um die Fair Value Betrachtung.

Prognosen in der Praxis

Jedes Jahr von September bis Dezember finden in den meisten Unternehmen die Jahresplanung und Zielsetzung für das darauffolgende Jahr statt. Die Kommunikation der Analyst Guidance für die Jahresprognose erfolgt bei 62% der Unternehmen laut der IR-Befragten im ersten Quartal des Planjahres. 63% der IR-Verantwortlichen verwenden insbesondere die Intervallprognose als Prognosemethode, gefolgt von der qualifiziert-komparativen Methode. Dabei scheint die Mehrheit von 59% der Befragten dem Prognosebericht eine so wichtige Rolle zukommen zu lassen, dass eine separate Darstellung vom Chancen- und Risikobericht präferiert wird. Der Prognosebericht umfasst für die Mehrheit der IR-Officer eine relativ überschaubare Seitenanzahl von ein bis zwei Seiten. Rund 76 Prozent der IR-Officer geben an, dass die Unternehmen einen Prognosehorizont von einem Jahr zugrunde legen. Knapp ein Viertel nutzt zwei Jahre bzw. mehr als zwei Jahre. Während aus Sicht der IR-Officer der Umsatz und das EBIT die wichtigsten finanziellen Leistungsindikatoren sind, werden als bedeutsamste nichtfinanzielle Leistungsindikatoren CO2-bezogene Angaben, Kundenzufriedenheit und Mitarbeiteranzahl genannt. Prognosekorrekturen erfolgen ausschließlich bei den finanziellen Leistungsindikatoren.

Erwartungsmanagement

„Underpromise und Overdeliver“ als Strategie im Erwartungsmanagement

Mit einer positiven Prognosehistorie, dem regelmäßigen Erreichen der prognostizierten Angaben, kann sich die Unternehmensleitung eine gewisse Prognosereputation und Glaubwürdigkeit zukünftiger Prognosen aufbauen. Die Treffergenauigkeit stellt somit eine Art „Vertrauensgut“ dar. Eine geeignete Kommunikationsstrategie ist laut 72% der IR-Befragten daher eine Prognose, die auf jeden Fall erfüllt werden kann. Für gerade einmal 6% eignet sich eine Prognose, die auf jeden Fall übertroffen werden kann – also eine bewusst vorsichtige Prognose – zum langfristigen Aufbau von Vertrauen am Kapitalmarkt. Für fast Dreiviertel der Befragten spielt das potenzielle Haftungsrisiko eine Rolle bei zukunftsbezogenen Aussagen. Vor allem aufgrund der hohen Dynamik und den sich rasant ändernden Umständen veranlasst die Unternehmensleitung zu vorsichtigeren Aussagen im Prognosebericht. Nach Ansicht von 64% der IR-Officer wird daher an den Formulierungen gefeilt und von der Unternehmensleitung nur solche verwendet, die einerseits konkret genug sind, andererseits genug Spielraum lassen. Etwas mehr als ein Viertel tendiert dazu, vorsichtige Prognosen abzugeben.

Verbesserungspotenziale

Das europäische Kapitalmarktrecht statuiert insbesondere den Prognosebericht im Lagebericht als Pflichtpublizität für zukunftsbezogene Informationen, in welchem auf die voraussichtliche Entwicklung einzugehen ist. Dort ist die voraussichtliche Entwicklung des Unternehmens zu beurteilen und zu erläutern. Eine zu späte Veröffentlichung der Prognose, ein zu kurzer Prognosehorizont, zu schwammige Formulierungen – der Prognosebericht steht häufig in der Kritik. Für insgesamt 63% der IR-Verantwortlichen stellt der Prognosebericht jedoch generell ein geeignetes Mittel dar, um über die zukünftige Lage des Unternehmens zu informieren. Als eines der von den IR-Officern genannten häufigsten Bedenken der IR-Stakeholder zum Prognosebericht wird angeführt, dass dieser zu ungenau, zu allgemein und zu pauschal sei. Die größten Verbesserungspotenziale werden in folgenden Bereichen gesehen: Reduktion der Unterschiede zwischen Analyst Guidance und Prognosebericht, Erhöhung der Vergleichbarkeit und regulatorischer Anpassungsbedarf hinsichtlich der Prognosegenauigkeit und Detailtiefe.

Ansätze in der IR-Praxis

Unvorhersehbare externe Schocks und volatile Märkte führen dazu, dass Jahres- und unterjährige Planungen für das Erwartungsmanagement immer schwieriger werden und Prognosen in rasantem Tempo ihre Gültigkeit verlieren können. In diesen unsicheren Zeiten ist IR mehr denn je aufgefordert, verlässliche zukunftsbezogene Informationen nach außen zu kommunizieren. Die Umfrage zeigt, dass das IR-Erwartungsmanagement und zukunftsbezogene Informationen eine sehr große Rolle für Investoren und Analysten spielen. So besteht trotz der derzeit anhaltenden Unsicherheiten die Chance, im Dialog mit den IR-Stakeholdern transparent über die aktuelle und zukünftige Unternehmenslage zu informieren und Glaubwürdigkeit im Kapitalmarkt und Investorenvertrauen zu stärken.

1 DIRK und EY Studie: Erwartungsmanagement im Zeitalter volatiler Kapitalmärkte in den Investor Relations, 2020

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem aktuellen Magazin. Unser E-Magazin finden sie hier

Autor/Autorin

Dr. Martin Steinbach
Partner, Head of IPO and Listing Services in Deutschland at Ernst & Young (EY) | Website

Dr. Martin Steinbach ist Partner und IPO-Leader bei EY. Er verantwortet seit April 2011 den Bereich IPO und Listing Services in Deutschland, Österreich und der Schweiz.