„Das Narrativ in Deutschland von der negativen Börse, gerne unter Hinweis auf die Telekom, stimmt einfach nicht. Wir müssen dieses Narrativ ändern.“ Caroline von Linsingen, Deutsche Börse, setzte den Ton der Konferenz. Eine Zusammenfassung. Von Stefan Preuß

 

Vor vielen Jahrzehnten gab es einen Erfolgsfilm von Woody Allen mit dem zugegeben etwas sperrigen Titel: „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“. Vielen Unternehmern mag es im Zusammenhang mit der Börse ähnlich gehen. Regulatorik, Kosten, Veränderung, Berichterstattung und Transparenz – Fragen über Fragen, die Berührungsängste auslösen. Während der „Being Public Conference – ‚Börsennotiz schafft Werte‘“ gab es eine Fülle von Antworten. Fast schon zu greifen war ein besonderer Spirit: Ja, an der Börse wird nicht geklingelt und es können Entwicklungen auch mal in die falsche Richtung laufen. Aber in Summe bietet der Markt der Märkte so viele Möglichkeiten, dass die Chancen deutlich überwiegen.

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Positives Narrativ aufbauen

Markus Rieger, Vorstand der Going Public Media AG, stellte während seiner Begrüßung die Frage: „Was kann man tun, um die Schrumpfung des Kapitalmarktes zu stoppen?“ – und hatte die Antwort bereits vorweggenommen: Zum Beispiel indem man eine Being Public Conference organisiert, Fragen beantwortet und ganz konkret startet, ein positives Narrativ aufzubauen.

 

Das sei alles andere als Selbstzweck betonte Dr. Gerrit Fey, Chefvolkswirt Deutsches Aktieninstitut. Ein funktionierender und leistungsfähiger Kapitalmarkt ist keinesfalls „nice to have“, sondern für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft essenziell. „Kapitalmarkt, das bedeutet auch die Möglichkeit der Teilhabe für die Bürger“. Von dieser Möglichkeit macht allerdings nur jeder Sechste hierzulande Gebrauch, bedauerte Fey. Er forderte deshalb ein Umsteuern bei der finanziellen Vorsorge und den Sicherungssystemen. Betrifft dies eher die Nachfrageseite, gelte es auch die Angebotsseite zu stärken, indem ein wachstumsförderndes Gesellschaftsrecht geschaffen und das Aktienrecht reformiert wird. „Es geht also um Wachstum für Unternehmen und den daraus resultierenden volkswirtschaftlichen Nutzen.“

Dieser konkrete Nutzen würde während der Konferenz an mehreren Beispielen aufgezeigt, die ohne den Kapitalmarkt so nicht möglich gewesen wären. Frank Mackert und Sunny Chaturvedi berichteten von der SAP-Story, vom Start-up, das 1988 an die Börse ging und heute der mit Abstand wertvollste Konzern Deutschlands ist. 98 der 100 weltgrößten Unternehmen sind Kunden von SAP, seit dem IPO habe man jedes Jahr Dividende ausgezahlt. Das Problem der fehlenden Aktienkultur hierzulande wurde während der Vorstellung der Aktionärsstruktur deutlich, denn deutsche Aktionäre machen nur einen minimalen Anteil aus. Heißt volkswirtschaftlich: Die Kursgewinne und Dividenden werden andernorts vereinnahmt. Die beiden Investor-Relations-Manager stellten heraus, dass ohne die Börsennotierung die steten Innovationen nicht möglich gewesen wären – und damit auch nicht das Wachstum zu einem globalen Konzern.

Sexy wie Pichelsteiner Eintopf

Nicht nur Tech-Unternehmen schreiben Erfolgsgeschichten an der Börse, sondern auch klassische Mittelständler, wenngleich die Rational AG aus Landsberg am Lech seinerzeit als „sexy wie Pichelsteiner Eintopf“ bezeichnet wurde. Der Spezialist für Garen in Großküchen kam seinerzeit für 23 EUR an die Börse, inzwischen hat sich der Kurs vervielfacht und „es sind bis heute 150 EUR an Dividenden ausgeschüttet worden,“ sagte IR-Manager Stefan Arnold. Rational verfüge über eine Eigenkapitalquote von 77%. „Das bedeutet, wir sind nicht auf Banken angewiesen, um unsere Pläne umzusetzen“, so Arnold. Er sprach Nachteile der Börsennotierung klar an: Kosten und Zeitaufwand, Regulatorik und die Transparenz für Mitbewerber. Doch die Gewinne auch außerhalb des nicht-finanziellen Bereichs bei Sichtbarkeit und Reputation, die deutlich einfachere Gewinnung von Managern sowie die Entwicklung einer starken Arbeitgebermarke würden das mehr als aufwiegen.

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Alzchem: Beispiel für direkten volkswirtschaftlichen Nutzen

Cornelius Simons stellte mit der Alzchem Group AG einen Wert aus dem Bereich der Spezialchemie vor, der als ehemaliger Teil von Evonik ohne Kapitalmarkt und Börsengang in der heutigen Form nicht existieren würde. Mehr noch: Der Erhalt des Unternehmens zahlt sich für die Volkswirtschaft aus, da ansonsten kritische Substanzen kaum beschafft werden könnten und Wertschöpfungsketten zahlloser Unternehmen unterbrochen worden wären. Konkret geht es um Spezialsubstanzen für PCR-Tests, Airbags, Diabetes-Medikamente oder Treibsätze für Artilleriemunition. Simons stellte fest, dass Alzchem dem Kapitalmarkt auch aktuell zahlreiche Vorteile verdankt, etwa die Möglichkeit des Aktienrückkaufs zur Initiierung eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms, den Einsatz von Aktien als Akquisitionswährung, und nicht zuletzt die positive Öffentlichkeitswirkung des „Say on Climate“-Beschlusses der Hauptversammlung 2023, der breites Medienecho ausgelöst habe.

Wachstumsstory: Deutsche Rohstoff AG

Zu den grundlegenden Aufgaben der Börse gehört es, Kapital für Wachstum zur Verfügung zu stellen. Wie man es genau macht zeigte Thomas Gutschlag auf. „Mit der Deutsche Rohstoff AG haben wir das volle Instrumentarium des Kapitalmarktes genutzt.“ Nach dem IPO 2010 folgten Barkapitalerhöhungen, eine Sachkapitalerhöhung, es wurden Anleihen und eine Wandelanleihe begeben. Klares Fazit: „Die Rohstoff AG würde in keinem Fall die Stärke besitzen und in der Position sein, in der wir jetzt sind, wenn es den funktionierenden Kapitalmarkt nicht gegeben hätte.“ Gutschlag hob besonders die Geschwindigkeit hervor. Man sei eben nicht nur nicht von Banken oder Großinvestoren abhängig, was oft gleichbedeutend mit langwierigen Verhandlungen und Prüfungen einhergeht, sondern könne schnell handeln.

Die in den vier Beispielen exemplarisch aufgezeigten Vorteile wurden in vielen Statements im Laufe der Konferenz bestätigt und ergänzt. Thomas Stewens, Bank M, bewertete die verbesserte Krisenresilienz gelisteter Unternehmen durch die Verbreiterung der Finanzierungsoptionen als wichtigen Punkt. Die auf guter Kapitalausstattung basierende unternehmerische Freiheit sei gewissermaßen ein entfesselnder Faktor. Schließlich leiste die Börse auch noch als „Sparringspartner“ für Verantwortliche in den Unternehmen wichtige Impulse. Uwe Schupp, Apus Capital, sah in einem Börsengang die Möglichkeit für eine intelligente Nachfolgeregelung und die Steigerung der Markenbekanntheit, „vor allem aber ist die Professionalisierung auf allen Ebenen“ eine wichtige Begleiterscheinung eines IPOs. Für Attila Kósa-Timár, Baader Bank, ist ein IPO stets eine erwägenswerte Alternative zu einem strategischen Investor oder Private Equity.

Weiterhin Haupteigentümer – nur liquider

Der dem Panel zugeschaltete Johannes Linden, Pfisterer, bewertete den gerade vollzogenen Börsengang als „Signal an den Kunden, dass wir wachsen können und wollen.“ Das IPO ermögliche der Familie weiterhin Haupteigentümer zu bleiben, „nur jetzt liquider.“ Die eingangs von Gerrit Fey angeschnittene volkswirtschaftliche Bedeutung des Kapitalmarktes wurde von Caroline von Linsingen, Deutsche Börse, präzisiert: „Wir brauchen starke Unternehmen in Deutschland und Europa, um unsere Aufgaben bewältigen zu können.“ Sie nannte Energie, Verteidigung und Digitalisierung als Schlüsselbranchen.

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In Panels zur Zukunft der Hauptversammlung, Reportingtrends und Kapitalmarktrecht arbeiteten die Panelisten heraus, dass Unternehmen, die einen Börsengang in Erwägung ziehen, durchaus mit neuen regulatorischen Herausforderungen konfrontiert würden. Letztlich, so Mirko Sickinger, Heuking, könne man feststellen: „Der derzeitige Regulierungsrahmen steht einer Notierung nicht im Weg.“ Markus Mayer, Baader Bank, zeigte sich insgesamt optimistisch. Er erwartet hierzulande in den kommenden fünf Jahren wieder mehr Börsengänge, weniger IPO-Hopping in die USA und die Renaissance der Börse als finanzierendes Vehikel für Wachstum.

Fazit

Being Public ist aus einer Vielzahl an Gründen sexy. Die Intention der Konferenz, die Akteure am Kapitalmarkt anzustoßen und die frohe Botschaft ins Land zu tragen, ist gelungen. Besonders deutlich wurde dabei, was auch das Motto der Veranstaltung zum Ausdruck bringt: „Börsennotiz schafft Werte“: Zahlreiche Praxisbeispiele zeigten, welchen konkreten Beitrag der Kapitalmarkt zur Unternehmensentwicklung, zur Innovationsfähigkeit und letztlich zum volkswirtschaftlichen Nutzen leisten kann.

Hoffen wir, dass die Anregung von Markus Rieger auf fruchtbaren Boden fällt: „Nehmen Sie bitte die Erfolgsstories mit nach außen, um zu zeigen, dass Kapitalmarkt wirkt.“

Autor/Autorin

Stefan Preuß
Redaktionsleiter at  | Website

Stefan Preuß arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Redakteur im Kapitalmarktumfeld. Der gelernte Tageszeitungsredakteur sammelte zudem Erfahrung als Investor Relations Manager. Der Redaktion der GoingPublic Media AG gehört er als ständiger Mitarbeiter mit den Schwerpunktthemen IPOs, Vermögensanlage und Nachfolgelösungen an. Er betreut als Redaktionsleiter die jährlichen Spezialausgaben "Mitarbeiterbeteiligung" sowie "M&A Insurance".