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Sogenannte „Ewigkeitschemikalien“ (per- und polyfluorierte Alkylverbindungen – kurz PFAS) sind zu einem globalen Umwelt- und Gesundheitsproblem geworden – mit finanziellen Folgen für die Unternehmen. Der Frankfurter Anwalt Klaus Nieding vertritt mit seiner Kanzlei seit Jahrzehnten die Interessen geschädigter Anleger, aktuell in großen Fällen wie dem VW- und Wirecard-Skandal. Nun plant er gemeinsam mit dem renommierten US-Anwalt Paul Napoli gegen Chemiekonzerne in Deutschland zu klagen. Im Interview erklärt Nieding gegenüber GoingPublic, warum das Thema nicht nur Kommunen und Unternehmen betrifft, sondern auch Investoren wachrütteln sollte – und warum sich der Streit um PFAS zur milliardenschweren Verantwortungsschlacht entwickeln könnte. Von Robert Steininger

Going Public: Herr Nieding, Sie vertreten Anleger im VW- und Wirecard-Skandal, jetzt klagen Sie gegen Chemiekonzerne. Was hat sich verändert?

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Klaus Nieding, Klaus Nieding ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht. Copyright Foto: https://niedingbarth.de

Klaus Nieding: Gar nicht so viel, ehrlich gesagt. Wir setzen uns da ein, wo Verantwortung auf der Strecke bleibt – bei Unternehmen, die große Risiken geschaffen haben, aber bei der Haftung lieber auf Tauchstation gehen. Der Umgang mit per- und polyfluorierten Alkylverbindungen – abgekürzt PFAS – ist ein Paradebeispiel. Diese sogenannten Ewigkeitschemikalien wurden über Jahrzehnte eingesetzt – in Löschschaum, Dämmstoffen, Verpackungen, Textilien oder Kosmetika – und bauen sich in der Umwelt kaum ab. Einige dieser Stoffe sind gesundheitsschädlich, viele reichern sich im Körper an. Und während wir über Trinkwassersanierungen und verseuchte Böden reden, diskutiert die Industrie lieber über Zuständigkeiten. Das geht so nicht.

Wie groß ist die rechtliche Dimension im Zusammenhang mit PFAS?

Sie ist enorm. In den USA haben Kläger bereits Milliardenbeträge durchgesetzt – 3M hat sich auf 12,5 Milliarden Dollar Schadensersatz geeinigt, BASF zahlte über 300 Millionen. Und das sind erst die derzeit prominentesten Fälle. Auch in Deutschland gibt es hunderte potenziell belastete Standorte. Kommunen, Flughäfen, Unternehmen, Wasserversorger – viele sitzen auf Altlasten oder haben bereits Millionen in die umwelttechnische Sanierung gesteckt. Der Druck nimmt zu. Wir erleben den Beginn eines internationalen Schadenskomplexes, den viele noch unterschätzen bzw. noch gar nicht richtig auf dem Schirm haben.

„Denn die Konzerne wissen sehr genau, dass US-Jurys hohe Entschädigungen zusprechen.“

Aber das deutsche Rechtssystem ist nicht gerade bekannt für Massenklagen.

Stimmt – und genau deshalb kombinieren wir deutsches Vorgehen mit internationalem Know-how. Wir arbeiten zusammen mit Paul Napoli, einem der erfahrensten US-Anwälte für Massenschäden. Er hat einen beachtlichen Track Record in Sachen PFAS-Klagen. Gemeinsam entwickeln wir Klagewege, die auch über amerikanische Gerichte führen können. Und das verändert die Ausgangslage: Denn die Konzerne wissen sehr genau, dass US-Jurys hohe Entschädigungen zusprechen und die Beweislastverteilung dort anders ist. Das erhöht den Druck deutlich.

Wer steht konkret im Fokus?

Wir prüfen Verfahren gegen große Hersteller wie beispielsweise 3M, Dupont, BASF oder Bayer. Wichtig ist: PFAS lassen sich oft genau einem Produzenten zuordnen. Die Stoffe haben eine Art chemischen Fingerabdruck. Und das ist im Schadensersatzrecht entscheidend – denn wer den Verursacher klar benennen kann, hat juristisch eine starke Position.

Und wie finanzieren Sie solche Klagen?

Über Prozessfinanzierer, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Die Betroffenen tragen also kein Kostenrisiko. Sie zahlen nur, wenn wir erfolgreich sind – und dann einen Anteil des erstrittenen Betrags. Das Modell ist gerade für Kommunen oder Mittelständler mit begrenztem Budget extrem attraktiv. Denn die wenigsten können oder wollen solche Verfahren allein stemmen.

„Und das könnte erst der Anfang sein. Wer das Risiko unterschätzt, läuft Gefahr, böse überrascht zu werden.“

Was bedeutet das Thema für Investoren?

PFAS sind längst kein reines Umweltthema mehr – es geht um ein finanzielles Risiko mit Sprengkraft. Anleger sollten sich sehr genau ansehen, wie Unternehmen mit dem Thema umgehen. Gibt es Altlasten, Rückstellungen und Versicherungsdeckungen? Die Assekuranz beginnt sich zurückzuziehen – Allianz, Zurich, AIG verweigern in den USA bereits PFAS-bezogene Leistungen. Und das könnte erst der Anfang sein. Wer das Risiko unterschätzt, läuft Gefahr, böse überrascht zu werden.

Was heißt das konkret?

Es ist ein klassisches Stilllegungsrisiko: Unternehmen können in jahrelange Prozesse verwickelt werden, das Image leidet, Rückstellungen müssen angepasst werden. Und das drückt sich irgendwann im Aktienkurs aus. Wer hier investiert ist – ob in Chemie, in Zulieferer oder in Versicherer – sollte PFAS auf dem Radar haben.

PFAS molecule close-up: shimmering aqua bubbles on blurred background. Copyirght: SERHII - stock.adobe.com
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Zurück zur anderen Seite: Was sagen Sie Kommunen, Flughafenbetreibern, Wasserversorgern oder Industrieunternehmen, die mit PFAS-Belastungen kämpfen, aber noch zögern, ihre kontaminierten Flächen zu sanieren?

Ich sage: Warten ist teuer. Wer bereits saniert hat, sollte prüfen, ob er die Kosten auf die Verursacher abwälzen kann. Wer noch vor der Sanierung steht, braucht jetzt eine saubere juristische Bewertung – inklusive Gutachten und Beweissicherung. Die Zeit arbeitet hier gegen die Geschädigten. Und genau da setzen wir an.

Herr Nieding, vielen Dank für das Gespräch. Es klingt, als wäre das Kapitel PFAS für viele Unternehmen gerade erst aufgeschlagen.

Das ist es. Das Thema wird uns noch lange begleiten – vor Gericht und an der Börse.

Das Interview führte Robert Steininger.

 

Zum Interviewpartner:

Klaus Nieding.

Klaus Nieding ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht. Er beschäftigt sich mit rechtlichen Fragen rund um Investoren- und Kapitalanlegerinteressen. Er ist Mitgründer und geschäftsführender Partner der Kanzlei Nieding + Barth in Frankfurt am Main.

 

Autor/Autorin

Robert Steininger

Robert Steininger ist Fachautor für u.a. Anlagestrategien und publiziert regelmäßig zu Fachthemen wie Online- und Investment-Strategien, Glücksspielthemen, Krypto und Verhaltensanalyse.