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Tax-Policen, als alleinstehende Versicherung im M&A-Prozess oder als Bestandteil einer W&I-Police, finden weiter zunehmende Verbreitung. Dabei unterliegt die Ausgestaltung steter Veränderung. Patricia Herms, MÖHRLE HAPP LUTHER, gibt im Interview Einblicke in die neuesten Entwicklungen.
GoingPublic: Frau Herms, der M&A-Markt laufe seit einiger Zeit gedämpft, Tax-Policen sollen aber boomen. Ist das zutreffend?
Herms: Ja, das können wir wirklich bestätigen – was wir in der Beratung und beim Austausch mit anderen Marktakteuren erleben, ist ein anhaltend hoher Appetit auf Tax-Policen, obwohl der Gesamtmarkt bei M&A-Transaktionen immer noch unter Druck steht. Es wirkt fast, als würden Unsicherheit und die Vielzahl an Gesetzesänderungen Tax-Policen geradezu in den Mittelpunkt rücken. Wir hören immer wieder von unseren Mandanten und in Gesprächen mit den Marktteilnehmern: „Ohne Tax-Police hätten wir den Deal so nicht abgeschlossen.“ Das führen wir einerseits auf die verschärften steuerlichen Prüfungen, andererseits aber auch auf die größere Komplexität internationaler Deals zurück. Viele Transaktionsparteien suchen daher nach Planungssicherheit – gerade wenn die Verhand lungen ohnehin von Unsicherheit geprägt sind.
Gilt das auch für Deutschland?
Tatsächlich beobachten wir seit Ende 2023 eine fortgesetzte Dynamik bei Tax-Policen im deutschsprachigen Raum, auch während sich der klassische M&A-Markt durch makroökonomische Faktoren wie gestiegene Zinsen und geopolitische Unsicherheiten volatil zeigt. Gerade in Phasen unsicherer Steuerrechtsentwicklung – Stichwort: internationale Mindestbesteuerung, hybride Gestaltungen, neue EU-Reportingpflichten – bieten Tax-Policen eine attraktive Möglichkeit, steuerliche Risiken gezielt zu steuern und Transaktionen auch unter schwierigen Rahmenbedingungen sicher abzuschließen.
Wer nutzt die Policen überwiegend: Käufer oder Verkäufer?
Früher war das ganz klar ein Käuferprodukt. Inzwischen sehen wir in unserer täglichen Arbeit, dass die Initiative immer öfter auch von Verkäuferseite kommt. Das sind dann oft Situationen, in denen ein Verkaufsprozess abgesichert und reibungsloser gestaltet werden soll. Wir merken: Verkäufer wollen mit einer Tax-Police Risiken aus dem Datenraum „herausnehmen“ und dadurch Diskussionen im Bieterprozess entschärfen.
Welche Bereiche werden versichert, welche Deckungsumfänge werden gewählt, welche neuen Trends sehen Sie in der Beratungspraxis?
Steuerrisikoversicherungen haben sich in den letzten Jahren stark professionalisiert. Typischerweise abgesichert werden heute ertragsteuerliche Fragen aus M&A-Transaktionen oder Umstrukturierungen, daneben auch Umsatzsteuer-, Quellensteuer- und Grunderwerbsteuerrisiken. Der Deckungsumfang ist inzwischen beachtlich: Er reicht über die reine Steuer hinaus auch auf Zinsen, versicherbare Strafzuschläge, Verteidigungskosten und – wo nötig – einen Tax-Gross-up. Üblich sind Laufzeiten von sieben bis zehn Jahren, also eng an die steuerlichen Festsetzungsfristen angelehnt.
Der Risikoappetit der Versicherer ist nach wie vor hoch. Wir sehen mehr Anbieter, was den Wettbewerb spürbar belebt.
In der Beratungspraxis sehen wir aktuell drei zentrale Trends: Erstens wächst die Nachfrage jenseits klassischer Transaktionen – etwa bei Finanzierungen, Reorganisationen oder als Ersatz für verbindliche Auskünfte. Zweitens steigt die Relevanz durch neue Regime wie die OECD-Mindestbesteuerung, die zusätzliche Unsicherheiten schafft. Und drittens beobachten wir eine Professionalisierung des Markts: Underwriter prüfen deutlich tiefer, gleichzeitig zeigen immer mehr Versicherer eine anhaltende Risikoneigung – so war zuletzt vereinzelt sogar zu sehen, dass Deckungen auch bei bereits anhängigen oder absehbaren Steuerstreitigkeiten angeboten wurden; ein Bereich, der bislang regelmäßig ausgeschlossen war.
Spürt man die multiplen Krisen, die die Welt gerade beschäftigen, im konkreten Verhandlungs- und Versicherungsprozess?
Ja, das spüren wir. Gerade in geopolitisch unsicheren Zeiten greifen die Parteien lieber zu einer versicherbaren Lösung, anstatt ein Risiko im Vertrag ewig hin und her zu schieben. Wir haben zuletzt mehrere Fälle begleitet, in denen die Tax-Police am Ende den Knoten gelöst hat, weil keiner mehr die Verantwortung allein tragen wollte.
– Praxis – Trends
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Wie entwickeln sich die Zahl und Wertigkeit der Claims – und wie die Prämienhöhe? Besteht weiterhin genügend Risikoappetit bei den Versicherern bezüglich Steuerpolicen?
Der Risikoappetit der Versicherer ist nach wie vor hoch. Wir sehen mehr Anbieter, was den Wettbewerb spürbar belebt. Die Prämien haben sich dadurch in den letzten Jahren eher nach unten bewegt. In unserer Praxis erleben wir Claims, aber die Quote ist überschaubar. Unserer Beobachtung nach führen insbesondere neue Meldepflichten dazu, dass Sachverhalte deutlich schneller auffallen und gemeldet werden – das ändert auch die Dynamik in der Schadensbearbeitung. Die Claims werden dadurch oft komplexer, aber die Abwicklung bleibt meist sachlich und lösungsorientiert.
Wenn es zu Notifications und dann Claims kommt: Welche Breaches sind aktuell am häufigsten, was kommt immer wieder vor?
Am häufigsten sind es ganz bodenständige Dinge: Betriebsprüfungen, die bekannte
Themen wieder aufnehmen, etwa Umsatzsteuer oder Quellensteuern. Überraschend oft stoßen wir auch auf kleine, „vergessene“ Themen aus der Vergangenheit, die in der Praxis plötzlich groß werden.
Was löst Notifications aus: die klassische Betriebsprüfung – oder spielen interne Revision, Abschlussprüfer oder weitere Faktoren eine Rolle?
Klassisch: die Betriebsprüfung. In unserer Praxis sehen wir zwei Typen von Versicherungsnehmern: die „Frühmelder“, die schon eine generelle, unspezifische allgemeine Anfragen der Finanzverwaltung als Notification abgeben, und die „Spätmelder“, die erst informieren, wenn das Finanzamt konkrete Fragen zu dem versicherten Risiko stellt. Letzteres erhöht erfahrungsgemäß die Reibung bei Deckungsfragen (Informations-/Kooperationsobliegenheiten, Mitwirkung bei der Abwehr).
Welche Erfahrungen haben Sie mit Versicherungen bei der Bearbeitung von Claims gemacht? Werden die Verhandlungen zäher, geht es häufiger vor Schieds- oder ordentliche Gerichte?
Unsere Erfahrung zeigt, dass die Bearbeitung von Versicherungsansprüchen nach wie vor stark vom Einzelfall geprägt ist. In unkomplizierten Sachverhalten gelingt es häufig, im konstruktiven Austausch mit den Versicherern zügig Lösungen zu erzielen. Bei komplexeren Schadenslagen oder wenn es um hohe Summen geht, stellen wir allerdings fest, dass die Verhandlungen tendenziell intensiver und zeitaufwendiger geworden sind – oftmals auch deshalb, weil die Anforderungen an Dokumentation und Nachweisführung gestiegen sind. Der Gang vor Schieds- oder ordentliche Gerichte bleibt dabei die absolute Ausnahme. Wichtig ist aus unserer Sicht, den Dialog so lange wie möglich im beiderseitigen Interesse auf einer sachlichen und lösungsorientierten Ebene zu halten. Unser Ziel ist es stets, eine tragfähige Einigung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer zu erreichen, bevor streitige Verfahren notwendig werden.
Wie läuft eigentlich die Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden? Wird dort das Produkt verstanden, ist das Miteinander professionell?
Ob die Finanzbehörden das Produkt vollständig verstanden haben, vermag ich nicht zu beurteilen. Die Zusammenarbeit ist jedenfalls professionell, auch wenn wir naturgemäß nicht immer dieselbe Sichtweise teilen.
Welche Entwicklungen erwarten Sie 2026 für Tax-Policen: weiteres Wachstum – oder sehen Sie begrenzende Faktoren?
Wir erwarten weiteres Wachstum. Der Markt ist jung, und viele Unternehmen entdecken Tax-Policen gerade erst für sich. Begrenzende Faktoren könnten höchstens neue steuerpolitische Rahmenbedingungen sein, die bestimmte Risiken reduzieren. Aber im Kern gehe ich davon aus, dass die Akzeptanz und Verbreitung noch deutlich zunehmen wird.
Sehr geehrte Frau Herms, vielen Dank für diese interessanten Einblicke.
Das Interview führte Stefan Preuß.
Autor/Autorin
Stefan Preuß
Stefan Preuß arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Redakteur im Kapitalmarktumfeld. Der gelernte Tageszeitungsredakteur sammelte zudem Erfahrung als Investor Relations Manager. Der Redaktion der GoingPublic Media AG gehört er als ständiger Mitarbeiter mit den Schwerpunktthemen IPOs, Vermögensanlage und Nachfolgelösungen an. Er betreut als Redaktionsleiter die jährlichen Spezialausgaben "Mitarbeiterbeteiligung" sowie "M&A Insurance".