Die regulatorischen Anforderungen rund um CSRD, CSDDD und die Pflicht zur Maschinenlesbarkeit stellen publizierende Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Mit der aktuellen Omnibus-Initiative kommt nun zusätzlich rechtliche Unsicherheit ins Spiel. Doch was bedeutet all das für die Inhalte und Abläufe im Finanz- und ESG-Reporting? Steht die Nachhaltigkeitsberichterstattung vor einem grundlegenden Wandel? Dazu sprachen wir mit den Experten Olivier Neidhart und Daniel Schön der mms solutions, die ihre Erkenntnisse aus der täglichen Praxis mit uns teilten. Von GoingPublic Redaktion


GoingPublic: Verändert die Omnibus-Initiative der EU-Kommission die Anforderungen an das ESG-Reporting für Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz?

Olivier Neidhart: Ja, maßgeblich. Die Omnibus-Initiative der EU-Kommission zielt darauf ab, die Berichtspflichten zu vereinfachen und den Verwaltungsaufwand insbesondere für kleinere Unternehmen zu reduzieren und diese zu entlasten. Das betrifft Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aus unserer Sicht eine sinnvolle Entwicklung, die jedoch zurzeit zu großer Unsicherheit führt, da in Deutschland und Österreich die geltende CSRD im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der EU noch nicht in nationales Recht überführt wurde. Darüber hinaus schlägt die Omnibus-Initiative nun neue, umfassende Veränderungen vor.

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Was bedeutet dies genau?

Daniel Schön: Wir vermuten weitere Verzögerung und damit eine längere Phase der Rechtsunsicherheit. Die gesetzgebenden Institutionen stehen momentan an diesem Punkt:
In der Europäischen Union befindet sich der aktuelle Gesetzgebungsprozess für die Omnibus-Initiative der EU-Kommission in einer fortgeschrittenen Phase. Am 26. Februar 2025 hat die EU-Kommission den Entwurf des ersten Omnibus-Pakets veröffentlicht, das weitreichende Vereinfachungen der CSRD, der EU-Taxonomie-Verordnung und der CSDDD vorsieht.

Ein wichtiger Bestandteil dieses Pakets ist die sogenannte „“Stop-the-Clock“-Regelung, die am 14. April 2025 vom Rat der EU endgültig verabschiedet wurde. Diese Regelung verschiebt den Geltungsbeginn bestimmter Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Sorgfaltspflichten von Unternehmen um zwei Jahre. Dadurch erhalten viele Unternehmen mehr Zeit, sich auf die neuen Anforderungen vorzubereiten und die notwendigen Anpassungen vorzunehmen.

Der Gesetzgebungsprozess wird in den kommenden Monaten weiter voranschreiten, wobei die genauen Auswirkungen und der Zeitpunkt des Inkrafttretens noch unklar sind.

In Deutschland wurde die CSRD noch nicht vollständig in nationales Recht überführt. Der Gesetzgebungsprozess ist im Gange, aber es gab Verzögerungen. Ein Referentenentwurf für das CSRD-Umsetzungsgesetz wurde im März 2024 veröffentlicht. Im Juli 2024 verabschiedete die Bundesregierung einen Regierungsentwurf. Allerdings wurde das Gesetz bis Ende 2024 nicht verabschiedet, was zu Unsicherheiten bei den betroffenen Unternehmen führte.

Auch in Österreich ist die CSRD noch nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt. Das Bundesministerium für Justiz hat im Januar 2025 einen Ministerialentwurf für das Nachhaltigkeitsberichtsgesetz (NaBeG) zur Begutachtung vorgelegt. Die Begutachtungsfrist endete im Februar 2025, und derzeit wird über die endgültige Umsetzung beraten.

Die Schweiz ist kein EU-Mitglied und daher nicht direkt an die CSRD gebunden. Dennoch hat die Schweiz eigene Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die im Schweizerischen Obligationenrecht (OR) verankert sind. Diese Regelungen wurden im Januar 2022 eingeführt und orientieren sich an internationalen Standards wie TCFD. Schweizer Unternehmen, die in der EU tätig sind oder dort Tochtergesellschaften haben, müssen jedoch zusätzlich die CSRD-Anforderungen erfüllen, wenn sie bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Der Bundesrat prüft derzeit, ob eine Anpassung der nationalen Regelungen notwendig ist, um eine Gleichbehandlung sowie eine Berücksichtigung der Omnibus-Initiative sicherzustellen.

3Welche Empfehlungen geben Sie den Unternehmen, um durch diese unklare Ausgangslage zu navigieren?

Olivier Neidhart: Diese sieben zentralen Massnahmen können Unternehmen helfen, die Situation besser zu bewältigen:

  1. Proaktive Vorbereitung: Unternehmen sollten sich weiterhin auf die Anforderungen der geltenden CSRD vorbereiten, auch wenn die nationale Umsetzung und die Verabschiedung der Omnibus-Initiative noch ausstehen.
  2. Freiwillige und stufenweise Berichterstattung: Testläufe in zunehmend detaillierter werdenden Schritten gemäss CSRD-Vorgaben und nach den European Sustainability Reporting Standards (ESRS), helfen sich auf zukünftige Anforderungen vorzubereiten.
  3. Monitoring der Gesetzgebung: Unternehmen sollten die Entwicklungen im Gesetzgebungsprozess genau verfolgen und sich auf wiederholte Änderungen einstellen.
  4. Netzwerke nutzen: Der Austausch in Branchenverbänden und Netzwerken hilft, um sich über Best Practices und aktuelle Entwicklungen zu informieren.
  5. Engagement mit Beratern: Die Zusammenarbeit mit ESG-Spezialisten kann helfen, Unsicherheiten zu minimieren und sicherzustellen, dass die Berichte den erwarteten Standards entsprechen.
  6. Interne Ressourcen stärken: Investitionen in interne Ressourcen und die Ausbildung von Mitarbeitenden im Bereich Nachhaltigkeitsberichterstattung.
  7. Einsatz technologischer Lösungen zur Automatisierung: Evaluation und Nutzung von Softwarelösungen und Plattformen zur Automatisierung der Berichterstattung, die den Aufwand reduzieren und die Genauigkeit erhöhen.

Besonderheiten für Schweizer Unternehmen:

  • Internationale Standards anwenden: Schweizer Unternehmen sollten sich an internationalen Standards wie den ESRS orientieren, um ihre Berichterstattung zu verbessern und sich auf mögliche zukünftige Anforderungen vorzubereiten.

Ergänzend empfehlen wir folgende vier strategische Maßnahmen:

  1. Strategische Planung: Unternehmen sollten eine langfristige Strategie für die Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickeln, die sowohl aktuelle als auch zukünftige Anforderungen berücksichtigt.
  2. Stakeholder-Engagement: Aktives Engagement mit Stakeholdern wie Investoren und Kunden, um deren Erwartungen zu verstehen und die Berichterstattung entsprechend anzupassen.
  3. Flexibilität bewahren: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind entscheidend, um auf Änderungen in der Gesetzgebung und den Berichtspflichten reagieren zu können.
  4. Kommunikation: Eine transparente Kommunikation intern und extern über die Herausforderungen und Fortschritte bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung kann Vertrauen schaffen und die Unternehmensreputation stärken.

Sehen Sie in der aktuellen Situation eher Chancen oder Risiken?

Daniel Schön: Die Vereinfachung der Berichtspflichten durch die Omnibus-Initiative bietet aus unserer Sicht mehr Chancen als Risiken. Die Vorteile sind deutlich: Mehr Fokus, bessere Verständlichkeit, Reduzierung des Verwaltungsaufwands, Kostensenkung, mehr Zeit für strategische Planung und letztlich Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, weil die Ressourcen für tatsächliche Nachhaltigkeitsmassnahmen eingesetzt werden können – und nicht für Reportingpflichten. Dem gegenüber stehen Nachteile wie Korrekturaufwand, Lehrgeld und eventuell ein Risiko von Strafen und Reputationsverlusten bei einer unzureichenden Vorbereitung.

Welche Rolle spielen die European Sustainability Reporting Standards (ESRS)?

Olivier Neidhart: Die ESRS sind zentral für die ESG-Berichterstattung in der EU. Sie bieten einen einheitlichen Rahmen für die Berichterstattung und stellen sicher, dass Unternehmen umfassend und vergleichbar über ihre Nachhaltigkeitsleistungen berichten. Die Standards decken eine breite Palette von Umwelt- (E), Sozial- (S) und Governance- (G) Themen ab und sind darauf ausgelegt, die Transparenz zu erhöhen. Zudem bietet die Anwendung der ESRS in Kombination mit einer systemgestützten Lösung hohes Automatisierungs- und Effizienzsteigerungspotenzial.

Welche Rolle spielt die Maschinenlesbarkeit?

Daniel Schön: Durch die Verwendung von Informationstechnologie und Standards wie XBRL (eXtensible Business Reporting Language) können Berichte maschinell ausgewertet und verglichen werden. Die Maschinenlesbarkeit spielt eine wesentliche Rolle, da sie zum einen die Genauigkeit und die Effizienz der Datenverarbeitung entscheidend erhöht und zum anderen die Analyse und Nutzung der Daten durch verschiedene Stakeholder erleichtert. Maschinenlesbarkeit fördert die Transparenz ganz erheblich und wird in der EU wie auch in der Schweiz verpflichtend.

Welche langfristigen Auswirkungen erwarten Sie von den neuen ESG-Berichtspflichten auf die Unternehmensentwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit?

Olivier Neidhart: Ich denke, dass die neuen ESG-Berichtspflichten die Unternehmensentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit positiv beeinflussen werden. Durch systemgestützte und damit wiederholbare Prozesse wird die Messbarkeit und Nachvollziehbarkeit von Nachhaltigkeitszielen deutlich verbessert, was ein effektives Management dieser Ziele ermöglicht. Dadurch können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategien besser umsetzen und sich als verantwortungsbewusste Akteure positionieren, was wiederum das Vertrauen von Investoren und Kunden stärkt. Ich bin überzeugt, die Unternehmen, die Nachhaltigkeit strategisch verstehen und daraus Wettbewerbsvorteile entwickeln, tragen zu einer Win-Win-Situation bei: Sie befeuern den eigenen Unternehmenserfolg und sie nehmen ihre Verantwortung gegenüber unserem Planeten wahr – und werden dadurch zu begehrten Geschäftspartnern wie auch Arbeitgebern.


Zu den Interviewpartnern

Daniel Schön (M.A. HSG) (links im Bild) ist als Mitglied der Geschäftsleitung von mms solutions verantwortlich für das Business Development und Repräsentant der nextGen der Neidhart + Schön Group.

Olivier Neidhart (rechts im Bild) verantwortet als Verwaltungsratspräsident die Internationalisierung der Neidhart + Schön Group AG mit ihrer Tochter mms solutions (mms).

Autor/Autorin

Die Redaktion der Kapitalmarkt Plattform GoingPublic (Magazin, www.goingpublic.de, LinkedIn Kanal, Events) widmet sich seit Dezember 1997 den aktuellen Trends rund um die Finanzierung über die Börse. Ob Börsengang (GoingPublic) oder die vielfältigen Herausforderungen für börsennotierte Unternehmen (Being Public), präsentiert sich GoingPublic cross-medial als Kapitalmarktplattform für Emittenten und Investment Professionals.