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Das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) ist am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Bisher wurde der dort vorgesehene Instrumentenkasten jedoch nur in wenigen Fällen zum Einsatz gebracht. Das könnte sich bei steigenden Zinsen und wegen der sich verschärfenden Lieferkettenproblematik bald ändern. Allerdings gibt es einen ­prominenten Praxisfall, die ETERNA Mode Holding GmbH, bei der eine gescheiterte (Anleihe-)Restrukturierung mit den Möglichkeiten des StaRUG umgesetzt wurde.

Diesen Artikel finden Sie in der neuesten Ausgabe des GoingPublic Special: Corporate Finance Recht. Die Ausgabe können Sie sich hier kostenfrei downloaden.

Das StaRUG eröffnet seit dem 1. Januar 2021 Unternehmen in der Krise die Möglichkeit, durch Mehrheitsentscheidungen der Gläubiger, die von der Sanierung betroffen sein sollen, im Vorfeld und außerhalb einer Insolvenz ­Sanierungen rechtssicher durchzuführen. Das StaRUG findet Anwendung für Unternehmen, denen die Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 InsO droht, aber noch nicht ­eingetreten ist. Kernstück des StaRUG ist ein an das Insolvenzplanverfahren angelehnter Restrukturierungsplan, den das Unternehmen weitgehend autonom mit den betroffenen Gläubigern verhandeln und von der Mehrheit der betroffenen Restrukturierungs­gläubiger beschließen lassen kann. Zudem kann das Unternehmen auf Sanierungs­instrumente aus einem vom neuen Gesetz zur Verfügung gestellten ­modularen Baukasten zugreifen. Dadurch kann das Sanierungsvorhaben durch ­Inanspruchnahme verfahrensmäßiger Unterstützungen durch das neu geschaffene Restrukturierungsgericht und verschiedene neu geschaffene Instrumente zur Sanierung der Unternehmen ermöglicht und ­umgesetzt werden.

Restrukturierungsplan

Mithilfe des Restrukturierungsplans können folgende Rechtsverhältnisse gestaltet werden:

  • Restrukturierungsforderungen; grundsätzlich alle Forderungen gegenüber der Schuldnerin,
  • Absonderungsanwartschaften; d.h. Rechte an Gegenständen, die bei einer Insolvenzeröffnung zur Absonderung berechtigen,
  • vertragliche Nebenbestimmungen im Zusammenhang mit Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften,
  • Anteils- und Mitgliedschaftsrechte an der Schuldnerin und gruppeninterne Drittsicherheiten an verbundenen Unternehmen i.S.d. § 15 AktG der Schuldnerin.

Die Schuldnerin kann die Neugestaltung von Rechtsverhältnissen auf bestimmte Gläubiger und Gläubigergruppen (z.B. auf alle Finanzgläubiger) beschränken. Im ­Restrukturierungsplan können u.a. keine Forderungen von Arbeitnehmern, aus ­einem Arbeitsverhältnis oder im Zusammenhang mit betrieblichen Altersver­sorgungen gestaltet werden.

Sanierungsinstrumente

Das StaRUG stellt den Unternehmen folgende Sanierungsinstrumente (§ 29 II) zur Verfügung, um die Transaktionssicherheit einer Restrukturierung nach dem StaRUG zu gewährleisten:

1. Gerichtliche Planabstimmung; das Unter­nehmen kann eine gerichtliche Abstimmung über den Restrukturierungsplan wählen. Diese wird durch das Restrukturierungsgericht durchgeführt.
2. Vorprüfung des Plans; das Gericht prüft auf Antrag der Schuldnerin vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin bestimmte Fragen in Bezug auf den Restrukturierungsplan. Gegenstand der Vorprüfung kann jede Frage sein, die für den Restrukturierungsplan erheblich ist, insbesondere in Bezug auf die folgenden Punkte:

(i) Auswahl der Planbetroffenen und deren Gruppeneinteilung,
(ii) Stimmrechte, Restrukturierungsfor­derungen, Absonderungsanwartschaften oder Anteilen und
(iii) drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin.

3. Stabilisierungsanordnungen; soweit es zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist, ordnet das ­Gericht auf Antrag der Schuldnerin ­Stabilisierungsmaßnahmen für die ­Umsetzung des Restrukturierungsplans an. Hierzu gehören:

(i) Untersagung von Zwangsvoll­stre­ckungsmaßnahmen gegen die Schuld­nerin oder deren einstweilige Einstellung (Vollstreckungssperre) und
(ii) Untersagung des Entzugs von für die Fortführung des Unternehmens erforderliche bewegliche Vermögensgegenstände wie Maschinen oder Vorräte (Verwertungssperre).

4. Planbestätigung; auf Antrag der Schuldnerin bestätigt das Gericht den von den betroffenen Restrukturierungsgläubigern angenommenen Plan. Der rechtskräftig bestätigte Restrukturierungsplan wirkt wie ein vollstreckbares Urteil. Aus ihm können die Restrukturierungsgläubiger grundsätzlich auch die Zwangsvollstreckung für ihre Forderungen gegen die Schuldnerin betreiben.

Bestandsaufnahme

Die Praxis zeigt, dass die Restrukturierungsmöglichkeiten nach dem StaRUG bei nahezu allen Überlegungen und Planungen für die Unternehmenssanierung einbe­zogen werden. Da der Gesetzgeber in der letzten Minute die Möglichkeit einer Vertragsbeendigung aus dem Gesetzesentwurf gestrichen hatte und in Arbeitnehmerrechte mit dem Restrukturierungsplan nicht eingegriffen werden kann, ist der Hauptanwendungsfall des StaRUG die ­finanzielle Restrukturierung von Unternehmen. Bei dieser ist die Schulden- und/oder Zinslast der Unternehmen zu hoch für die Ertragskraft des operativen Unternehmens. Das Unternehmen verfügt über ein gesundes und funktionierendes Geschäfts­modell. Operative Sanierungsmaßnahmen können nach den geltenden Verträgen und Regelungen vorgenommen werden und sind in diesem Umfang für die Sanierung des Unternehmens auch ausreichend.

Durch die umfangreiche Liquidität, die der Bund und die Länder insbesondere mit dem Kurzarbeitergeld und den Corona­hilfsprogrammen zur Verfügung gestellt haben, kamen Unternehmen kaum in ­Bedrängnis, finanzielle Restrukturierungs­maßnahmen durchführen zu müssen. Bei den wenigen Unternehmen, bei denen diese Hilfen nicht ausreichten, war auch die operative Situation so desolat, dass wegen bestehender Insolvenzantragspflichten das StaRUG nicht zur Verfügung stand.

Das könnte sich allerdings ändern, wenn durch höhere Zinsen für Finanzierungen die Finanzierungskosten für die Unternehmen steigen und die aufgebauten hohen Schuldenlasten abgebaut werden müssen. Treiber hierfür könnte eine Änderung der Zinspolitik der Zentralbanken, insbesondere der EZB, sein. Allerdings führt die derzeit sichtbare hohe Inflation auch zu einem gegenteiligen Effekt der schleichenden Unternehmensentschuldung. Auch der derzeitige Russland-Ukraine-Konflikt hat negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche und finanzielle Situation von Unternehmen. Ob und wie weit die ­Instrumente des StaRUG zur Lösung ­dieser Probleme ausreichen werden, ist derzeit noch nicht zu beurteilen und wird letztlich auch immer eine Frage des einzelnen Unternehmens in dessen konkreten wirtschaftlichen Situation sein.

ETERNAs Plan B

Im Fall des Hemdenherstellers ETERNA wurde das StaRUG genutzt, um das finanzielle Problem der Refinanzierung für die 25-Mio.-EUR-2017/2024-Anleihe zu lösen, nachdem eine Anleiherestrukturierung nach den Regelungen des Schuldverschreibungsgesetzes gescheitert war.

Anders als bei der Beschlussfassung der Anleihegläubiger nach den Regelungen des Schuldverschreibungsgesetzes kommt es für das Erreichen der 75%-Mehrheit bei der Abstimmung über den StaRUG-­Restrukturierungsplan nicht auf die bei der Abstimmung anwesenden oder vertretenen (Anleihe-)Gläubiger an. Das Mehrheitserfordernis bezieht sich vielmehr auf alle Forderungen und sonstigen Rechte der jeweiligen Gruppe. Bei Publikums­anleihen wird die Mehrheit von 75% der ausstehenden Forderungen regelmäßig nicht erreicht werden, da bereits das ­Erreichen eines 25%-Quorums in einer zweiten schuldverschreibungsrechtlichen Anleihegläubigerversammlung Schwierigkeiten bereitet. Dies zeigte sich auch am Beispiel von ETERNA, bei der die geplante schuldverschreibungsrechtliche Anleiherestrukturierung sogar an dem erforder­lichen 25%-Quorum scheiterte.

Die Lösung für dieses Dilemma liegt ­darin, dass bereits vor der StaRUG-­Restrukturierung ein gemeinsamer Vertreter (§§ 7, 8 SchVG) bestellt worden ist. Dieser erstarkt nach den Regelungen des § 19 III, VI SchVG mit Einbeziehung von Forderungen aus Schuldverschreibungen in ein Instrument des StaRUG zum sogenannten starken gemeinsamen Vertreter. Er ist dann allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Anleihegläubiger im ­Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG geltend zu machen. Nach der ­gerichtlichen Bestätigung eines Restrukturierungsplans (§§ 65, 72 StaRUG) fällt der gemeinsame Vertreter wieder auf ­seine ihm ursprünglich eingeräumten Kompetenzen zurück.

Zwar sehen die Regelungen nach § 19 Abs. 6 SchVG i.V.m. § 19 Abs. 2 SchVG vor, dass die Anleihegläubiger einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen können, wenn ein Schuldner Forderungen aus Schuldverschreibungen in ein Instrument des StaRUG einbezieht. Die Einzelheiten hierzu sind derzeit noch recht ­unklar und erscheinen vom Gesetzgeber wenig durchdacht (vgl. Lürken, ZIP 2021, 1305, 1306 ff.). Insbesondere ist auch ­unklar, ob für diese Bestellung die 75%-Stimmenmehrheit nach dem StaRUG gilt, die bei Publikumsanleihen regel­mäßig nicht zu erreichen ist.

Bei der Einbeziehung von Anleihen in den Restrukturierungsplan nach dem StaRUG besteht auch die Möglichkeit, die den Restrukturierungsplan mangels eines Erreichens von 75%-Mehrheit ablehnende Anleihegläubigergruppe im Wege der grup­penübergreifenden Mehrheitsentscheidung (Cross Class Cram Down) zu überstimmen. Eine solche Überstimmung gemäß § 26 StaRUG kommt dann in Betracht, wenn (i) die Betroffenen durch den Plan nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne Plan stünden, (ii) sie angemessen am wirtschaftlichen Wert der Restrukturierung beteiligt werden und (iii) die Mehrheit der Gruppen zugestimmt hat. Daneben kommt der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nach den Regelungen des SchVG, der die Rechte sämtlicher Anleihegläubiger bei der Abstimmung wahrnimmt, Bedeutung zu.

StaRUG als Lösung bei ­zerstrittenen Stakeholdern

Auch wenn bisher noch nicht viele Unternehmenssanierungen nach dem StaRUG durchgeführt wurden, wird das Gesetz bei Sanierungen seine Bedeutung erlangen, wenn eine konsensuale Lösung mit den von der notwendigen finanziellen Restrukturierung betroffenen Stakeholdern nicht möglich ist. Zudem dient das StaRUG auch schon als wirksame Drohung der Mehrheit der Stakeholder, dass bei einem Scheitern einer konsensualen Lösung der Mehrheitswille mithilfe des StaRUG gegen den Willen einer opponierenden Minderheit durchgesetzt werden kann.

Zudem kann das StaRUG auch genutzt werden, um die erforderliche finanzielle (Anleihe-)Restrukturierung bei einem Scheitern einer Restrukturierung nach dem Schuldverschreibungsgesetz umzusetzen. Bei der Planung hierfür ist darauf zu achten, dass vor der StaRUG-Restrukturierung bereits ein gemeinsamer Vertreter für alle Anleihegläubiger in den Anleihebedingungen oder durch einen vorherigen Beschluss der Anleihegläubiger bestellt worden ist.

Autor/Autorin

Dr. Christian Becker

Dr. Christian Becker ist Partner der GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München.

Dr. Lutz Pospiech

Dr. Lutz Pospiech ist Consel der GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbH.