Das GoingPublic Magazin im ‚e-Gespräch‘: Experte Dr. Andreas Piepenbrink sieht auch weiterhin große Hemmschwellen beim Klima-Deal und speziell seiner praktischen Umsetzung – dabei fehlt keineswegs an probaten Ideen!

Herr Dr. Piepenbrink, wie stellt sich denn der Markt für Energiespeichersystem anno 2020 da?

Dr. Piepenbrink
Dr. Andreas Piepenbrink ist Mitbegründer und CEO des Osnabrücker EnergiestorageUnterneh mens E3/DC, seit 2018 zur Hager Group gehörend. Das Privat-Kraftwerk für Einfamilienhäuser von E3/DC integriert Solardächer in leistungsstarke Batteriespeicher- und Energiemanagement-Systeme.


Wir haben das beste Jahr aller Zeiten. Der Markt für heimische Energiespeichersysteme erreicht seit Jahren hohe Wachstumsraten – so ging es auch im ersten Quartal 2020 weiter. Politik und Industrie sind sich einig, dass dies auch der richtige Weg in Sachen Umweltschutz und Energiewende ist. Auf der Bremse stehen nach wie vor die etablierten Energieversorger.

Woran hapert es denn?
Die Bundesnetzagentur und der BDEW, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, bremsen im Prinzip EU-Vorgaben aus. Was wir brauchen, ist eine einfache Regulatorik, um Klarheit zu schaffen. Die etablierten Versorger hängen weiterhin dem alten symmetrischen System nach, d.h. der Endkunde, egal ob Bürger oder Unternehmer, soll eigentlich gar nicht selbst Strom produzieren – sondern ihn natürlich vom Versorger beziehen. Es ist ja wohl klar, dass das nicht mehr zeitgemäß sein kann.

Das EEG feiert rundes Jubiläum dieses Jahr – und das bedeutet wiederum Neuerungen im Umgang mit z.B. Altanlagen aus der Frühzeit des EEG.
Ein absolut spannendes Jahr, in jeder Hinsicht. In diesem Jahr werden es ca. 120 Mio. EUR Umsatz. Wir bleiben auch bei unserer Wachstumsstrategie mit einem Jahresumsatz von fast 400 Mio. EUR im Jahr 2030.

„Deutschland verliert schon wieder eine Chance.“

Wie könnte das Elektroauto die Energiewirtschaft und den Wettbewerb verändern?
Man sieht ja, dass nicht nur Shell oder BP in diesen Markt drängen, weil der Ölabsatz sinken wird. Elektroautos können aber nicht nur mit Strom geladen werden, sie können Strom speichern – und Leistung in das Netz geben und das Netz stützen. Das ist das sogenannte bidirektionale Laden. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten der Grundlastversorgung, und Automobilhersteller können hierbei eine ganz wesentliche Rolle spielen. Die Weichen werden aber aktuell falsch gestellt – leider setzt nur Tesla Maßstäbe und die deutsche Energiewirtschaft hat keinen einzigen Vorschlag gemacht, wie Elektroautos in die Netze integriert werden und das Lastmanagement für Elektroautos aussehen soll. Damit verliert Deutschland eine Chance. Stattdessen redet man lieber über Wasserstoff, um nicht konkreter werden zu müssen und macht die seit sieben Jahren vom BMWi geförderten Stromspeicher schlecht.

Hat die aktuelle Coronakrise Einflüsse auf diese Entwicklungen?
Das Gute an den letzten Monaten war immerhin, dass die Bürger eher mehr Zeit hatten als zuvor, über das Thema Energieversorgung und -speicherung nachzudenken. Zudem bringt es neue Ansätze hervor, über rentable Investitionen zu sinnieren. In Immobiliendeutsch gesprochen sind wir mit häuslichen Energiespeichersystemen so etwas wie die Halskette für das Betongold.

Haben Sie nicht ein wenig Sorge, dass bedingt durch die alles überschattende Coronakrise etwaige Zukunftsgedanken wieder ein wenig hinten herunterfallen? – ich erinnere mich an eine äußerst meinungsstarke Kolumne ‚
Die Betonkopf-Fraktion der deutschen Verschmutzungsindustrie bringt sich gegen den Klimaschutz in Stellung‘.
Ja und Nein. Also ja, ich sehe, dass dies wohl so sein kann. Aber nein, dies wird einfach nicht mehr funktionieren: Man kann der deutschen Politik durchaus vorhalten, dass in der Vergangenheit v.a. Öl-, Gas- und Verbrennungsmotor-Arbeitsplätze eher ausgebaut wurden. Mittlerweile ist aber klar, dass dies andere Hersteller weltweit anders machen. Frau von der Leyen selbst hat den ‚Green Deal‘ ausgerufen. Wählerstimmen mit Digitalisierung und Zukunftstechnologie zu holen, ist auch heute möglich und nötig – und leichter als je zuvor. Der Bürger möchte unter dem Strich eine weiterhin wettbewerbsfähige Wirtschaft und nicht nur Abgaben in die alte Energiewirtschaft, die keine neuen Investitionen nach sich zieht.

„Wählerstimmen mit Digitalisierung und Zukunftstechnologie zu holen ist heute leichter denn je.“

Kann auch Druck von Anteilseignern helfen?
Ja. Man hat es bei BlackRock als Anteilseigner von Siemens gesehen, die mit ihren Investitionen öffentlich Druck auf die Konzernführung gemacht haben. Es geht nicht darum, dass wir alle in Öko-Socken herumlaufen – sondern darum, dass der Mittelstand Innovationen vorantreibt, die künftig das Bruttosozialprodukt erhöhen. Aus unserer alten Energiewirtschaft werden wir wenig Innovationen bekommen. Dort stellt man sich direkt nun gegen den Speicher, sowohl im Netz als auch beim Bürger und verbaut Deutschland eine wesentliche Grundlage für einen höheren Anteil an Erneuerbaren bzw. verschiebt das Problem ungelöst auf den Wasserstoff, den man ebenfalls seit Jahren in keinster Weise dort bearbeitet hat.

Der Umgang mit der Coronakrise hat gezeigt, dass sich Berlin und Bundesländer vor allem in einem einig waren: dass sie uneins sind. So gab es ein gegenseitiges Regulierungsüberbieten erst beim Lockdown, dann bei den Öffnungen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir post-Corona nicht in das gewohnte Wahlkampf-Balzverhalten zurückfallen?
Unsere deutschen Autos werden ja nicht nur hier verkauft, sondern vor allem nach China und in die USA. Ich sehe sogar, dass in Europa künftig leider weniger Autos verkauft werden als bisher. Neuerliche Rettungspakete für die Automobilindustrie, die losgelöst von den formulierten Klimazielen gestrickt werden, werden meines Erachtens nicht mehr durch den Bundestag kommen. Trotzdem muss das deutsche Elektroauto von der deutschen Energiewirtschaft eine Chance als Speicher bekommen.

„Selbst ein Umbau auf 25% Anteil Elektromobilität erfordert gehöriges Umdenken, Weichenstellungen und Anstrengungen.“

Sind unsere Automobilhersteller denn inzwischen in passabler Ausgangsposition, verschlafene e-Mobilitätsmöglichkeiten endlich aufzuholen?
Bezeichnend ist doch, dass Mercedes-Benz gerade vor wenigen Wochen seine Wasserstofftechnologie ad acta gelegt hat und sich – sehr spät – damit dem Standpunkt von Tesla und Volkswagen anschließt. Meiner Ansicht nach lässt man aber auch Volkswagen bei diesem Thema inzwischen allein. Selbst ein Umbau auf 25% Anteil Elektromobilität – einen Wert, der nun wirklich nicht hoch klingt – erfordert gehöriges Umdenken, Weichenstellungen und Anstrengungen. Vor drei Jahrzehnten hätten Sie mich ausgelacht, wenn ich prognostiziert hätte, dass man mit Dienstleistungen Geld verdienen könne. Ist heute ein 25% Anteil der gesamten deutschen Volkswirtschaft. Und man wird auch in Zukunft mit neuen Technologien Geld verdienen können.

Thema Ladesäulen: Hier scheint unsere Wirtschaft, sagen wir mal, auch nicht immer auf Höhe der Entwicklungen der Zeit. Oder täuscht der Eindruck?
Nur Tesla hat bisher eine Ladestruktur, die ihren Namen verdient – Plug and Charge – zustande gebracht – die funktioniert flächendeckend und für die Langstrecke. Von den deutschen Betreibern ist das Thema Ladesäulen so aufgehängt, dass der Ladestrom schon teurer kommt als Brennstoff. Das ist natürlich eine völlige Fehlentwicklung, da staatliche Lenkung fehlt. So funktioniert das Elektroauto nicht – und ich fahre selbst auch eines – als Ersatzfahrzeug, nur maximal als regionales Fahrzeug, als Zweitfahrzeug, aber da reicht das Laden zu Hause völlig aus. Mit Strom, den man über PV-Anlagen selbst gewonnen hat. Häuser mit PV-Ausstattung und Elektroautos sind ein- und dasselbe Thema.

Wie genau?
Die Vision in der Stromspeichertechnologie, ja allgemein im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien, wäre doch das Automobil als mobiler Stromspeicher: Von dort lassen sich Leistung und Energie in die Netze einspeisen. Und da es nun mal sehr viele Autos gibt, braucht man irgendwann keine Kohlekraftwerke zur Basisversorgung mehr. Das ist die Vision, die man vermarkten sollte. Das ist genau die Vision, die man für die Umsetzung der Energiewende braucht.

Also soll das Elektroauto ein Nutzwert des Hauses werden?
Die erfolgreichen Automobilhersteller der Zukunft werden das Elektroauto als Teil des Stromnetzes vermarkten. Wer kann das systemdienlich und wer kann das nicht? Und da kann Deutschland durchaus Vorreiter werden – wenn man das möchte und entschlossen vorantreibt. Wenn man schon nicht mehr aufholen kann, was ein Tesla bisher auf die Beine gestellt hat, kann man die Sache aber als Gesamtkonzept und damit als Vision so aufhängen, dass wir Tesla auf einer anderen Spur überholen.

Herr Dr. Piepenbrink, einmal mehr ganz herzlichen Dank für Ihre erfrischenden Einblicke!

Das Interview führte Falko Bozicevic

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem aktuellen Magazin. Unser E-Magazin finden sie hier