Hauptversammlungen sind kein Ort für Innovationen. Echte Neuerungen findet man eher selten und wenn, dann sind sie in der Regel von Gesetzen getrieben statt von den Akteuren. Mehr Freiheit als genutzt wird bieten der gesetzliche Rahmen und die technischen Möglichkeiten für die Durchführung von Online-Hauptversammlungen. Doch nur langsam tasten sich Gesellschaften heran, um diese auszuschöpfen.

Ein börsennotiertes Unternehmen, das in der vergangenen HV-Saison einen großen Schritt nach vorne gewagt hat, ist die EquityStory AG. Auf der eigenen Hauptversammlung läutete der Dienstleister für Online-Kommunikation eine neue Ära der Partizipation ein (siehe auch Bericht in HV Magazin 2/2012, Seite XX). Erstmals konnten Aktionäre sich nicht nur auf elektronischem Weg anmelden, per Übertragung zuschauen, die Präsenzliste digital einsehen und in Echtzeit online abstimmen, sondern sich auch durch Redebeiträge und Fragen aktiv an der Generaldebatte beteiligen. „Erst das schafft den Anreiz, sich auch wirklich live dazu zu schalten“, so Dr. Dirk Besse, Partner bei der beratenden Anwaltssozietät Hogan Lovells. Insgesamt sendete EquityStory damit ein positives Signal für die Gleichbehandlung der vor Ort und via Internet präsenten Aktionäre – ein Desiderat, das für die Online-Teilnehmer im gleichen Zuge wieder eingeschränkt wurde. Schon in der Einladung hatte die Gesellschaft klar darauf hingewiesen, dass pro Online-Teilnehmer maximal zehn Wortbeiträge bzw. Fragen zu je 1.000 Zeichen erlaubt seien. Das ist sinnvoll und verhindert, dass eine Aktionärsversammlung durch unverhältnismäßig viele Fragen Einzelner über das Internet gesprengt werden kann. Die neun Online-Teilnehmer nahmen das billigend in Kauf und stellten in Summe acht Fragen, von den 28 Präsenzteilnehmern kamen keine. Auf das Recht, Widerspruch zur Niederschrift zu erklären und Verfahrens- oder Sachanträge zu stellen, verzichteten die Online-Teilnehmer komplett. Ob die interaktive und dialogorientierte Online-HV nach bestandener Feuerprobe bald Nachahmer finden wird? Kandidaten dafür wären zunächst wohl vor allem kleinere Gesellschaften, die keine kritische Veranstaltung erwarten. Gesellschaften, die sich mit modernen Technologien gerne als Trendsetter positionieren und die die Kosten für die Übertragung nicht scheuen. Abhängig von den Bedürfnissen fallen Kosten für Übertragungswagen, Satellitenzeiten, Serverkapazitäten und Bandbreiten sowie für Kamerafachleute und Produktionstechnik an. Mehrsprachigkeit, Registrierung und Passwortschutz kommen extra hinzu. Bleibt die Frage offen, ob angesichts der zu erwartenden geringen Teilnehmerzahl der Imagegewinn das Verhältnis von Kosten zu Nutzen rechtfertigt.

Übertragung von Reden und Generaldebatte

Bei größeren Unternehmen setzt sich die Übertragung zunehmend durch. In der vergangenen HV-Saison haben alle DAX-Gesellschaften bis auf HeidelbergCement zumindest die Rede des Vorstandsvorsitzenden öffentlich übertragen. Damit folgen sie der Anregung des Corporate Governance Codex. Umstritten bleibt die Übertragung der Generaldebatte. Nur acht DAX-Werte machten diese öffentlich zugänglich, weitere beschränkten sich auf den geschlossenen Kreis der angemeldeten Aktionäre. Zudem senden die meisten Unternehmen wie EquityStory nicht live, sondern leicht zeitverzögert. Aus nachvollziehbarem Grund: Auf diese Weise bleiben nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Aktionäre kontrollierbar gewahrt, sondern lassen sich auch provozierte Störungen durch Berufsopponenten ausblenden. Der Trend zur Übertragung außerhalb des Versammlungsorts wird sich verstärken: Während die Emittenten auf die Macht der bewegten Bilder setzen, ist damit zu rechnen, dass immer mehr Aktionäre das Angebot nutzen. Spätestens seit den Olympischen Spielen in London 2012 wurde der TV-Live-Stream aus dem Internet zum Massenphänomen. Laut einer Umfrage des Hightech-Verbands BITKOM verfolgte jeder vierte Deutsche Live-Bilder der Spiele auf seinem Computer oder Handy. Technik und Bandbreiten sind vorhanden, die Ansprüche in der Bevölkerung an multimediale und dialogorientierte Angebote steigen; Aktionäre und die Hauptversammlung machen da keine Ausnahme.

Von der Einladung bis zur Abstimmung

Im Repertoire der DAX-Unternehmen inzwischen fest etabliert ist die Kette vom digitalen Einladungsversand über die Online-Anmeldung bis zur Abstimmung auf elektronischem Weg. Hierbei profitieren Emittenten mit Namensaktien gegenüber denen mit Inhaberaktien, denn ihnen ist es möglich, in direkte Kommunikation mit dem Aktionär zu treten. Hat dieser der elektronischen Kommunikation zugestimmt, kann das viel Zeit und Geld einsparen.

Zum Standard entwickelt sich allmählich die internetgestützte Abstimmung. Nach dem sogenannten Internet-Proxy-Voting (die Erteilung von Vollmachten und Weisungen an einen Stimmrechtvertreter) führten Wegbereiter wie SAP inzwischen die direkte Stimmabgabe ein – Verfahren, die der Aktionär kaum voneinander unterscheiden dürfte. Entscheidender ist, dass immer mehr Emittenten Abstimmung, Vollmacht und Weisung auch noch während der Veranstaltung entgegennehmen, ganz im Sinne des Corporate Governance Codex. Auf diese Weise hat der Aktionär die Möglichkeit, mehr Informationen in seine Meinungsbildung einfließen zu lassen, Stimmungswechsel während der Debatte aufzunehmen und auf zusätzliche Abstimmungspunkte einzugehen.

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