Bislang gab es mit Sunrise, Plazza und Cassiopea erst drei Börsengänge in der Schweiz, obwohl H1/2015 ein sehr gutes Börsenhalbjahr war. Wie könnte der Schweizer Kapitalmarkt stärker belebt werden?

Zum einen wäre es wichtig, steuerliche Hürden abzubauen, da es in der Schweiz nach wie vor eine Emissionssteuer bei der Aktienausgabe gibt. Auf aktienrechtlicher Seite würde es helfen, die noch offenen Punkte der Aktienrechtsrevision abzuschließen, um mehr Planungssicherheit zu schaffen. Trotzdem ist der Schweizer Kapitalmarkt verglichen mit anderen Kapitalmärkten weiterhin sehr attraktiv und als Börse versuchen wir daher, diese Attraktivität im Ausland verstärkt zu vermarkten.

Was macht denn den Schweizer Finanzplatz so attraktiv?

Erstens wäre da das regulatorische Umfeld. Wir sind eine privatgehaltene Börsengesellschaft, die nicht am Markt kotiert ist. Somit besitzen wir das Selbstregulierungsmandat, womit wir entscheiden können, wer bei uns kotiert werden kann und wer nicht. Anders als in Deutschland die BaFin, wird die oberste Finanzaufsichtsbehörde der Schweiz, die FINMA, dabei nicht involviert. Der Prozess verläuft dadurch viel effizienter und schneller. Auch im Aftermarket verfolgen wir einen pragmatischeren Regulierungsansatz, indem die Unternehmen nach der Initialkotierung von einem zur SIX gehörenden Department überwacht werden. Das ist viel marktorientierter als eine staatliche Aufsicht. Ein weiterer entscheidender Vorteil ist die große, internationale Investorenbasis in der Schweiz. Zwar sind wir eine relativ kleine Volkswirtschaft, jedoch gibt es bei uns allein über 2000 Pensionskassen, die fast 1 Bio. USD verwalten. Zusätzlich haben wir eine steigende Anzahl an Family Offices, die ihre Assets in der Schweiz verwalten. Dieses Geld will investiert werden. Gemäß einer Statistik der Schweizerischen Nationalbank ist mehr als die Hälfte aller Assets under Management − rund CHF 6 Bio. − in der Schweiz in Aktien und Fonds investiert. Zudem haben wir sehr aktive, dynamische Investoren, die Gelder in ausländische Firmen investieren möchten, um die geografische Diversifikation zu gewährleisten.

Mit dem Telekommunikationsunternehmen Sunrise hat es bereits ein milliardenschweres IPO Anfang des Jahres gegeben. Was steht in der Schweiz noch in der Pipeline?

Es ist durchaus möglich, dass wir bis Ende des Jahres nochmals so viele Börsengänge erleben wie im ersten Halbjahr. Dies ist aber abhängig von makroökonomischen Faktoren, wie den Märkten in China und Griechenland. Jedoch sollten sich Börsenkandidaten auch nicht von kurzfristigen Volatilitäten beeinflussen lassen, denn hohe Liquidität und das Interesse der Investoren ist vorhanden. Das Beispiel Sunrise, das mit einem Emissionsvolumen von 2,3 Mrd. CHF das viertgrößte globale IPO in diesem Jahr war, zeigt, dass das Potential für große Transaktionen in der Schweiz durchaus vorhanden ist. Deshalb werden wir sicherlich in den nächsten Jahren noch einige Börsengänge mit großen Volumina aus der Schweiz zu Gesicht bekommen.

Eine Mussfrage: Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Unterschiede zwischen dem deutschen und dem Schweizer Kapitalmarkt?

Grundsätzlich sind in der Schweiz rund ein Drittel weniger Unternehmen als in Deutschland kotiert. Was die Marktkapitalisierung betrifft, sind jedoch beide Börsen ungefähr gleich groß. Dies liegt daran, dass zwar nicht viele Unternehmen bei uns kotiert sind, darunter aber viele „Global Champions“ sind, wie beispielsweise Nestlé, Roche und Novartis. Diese relativ hohe Anzahl an Global Leaders in den entsprechenden Segmenten ist meines Erachtens deutlich ausgeprägter als in Deutschland. Zudem haben wir dadurch, dass wir kein EU-Mitglied sind, eine pragmatischere Regulierung als in Deutschland.

Viele deutsche Biotechunternehmen zieht es immer öfter an ausländische Börsen, u.a. an die Nasdaq. Ein Trend, der auch am Schweizer Kapitalmarkt – dem Healthcare- und Pharmaland schlechthin – zu beobachten ist?

Wir haben diese Entwicklung seit 2013 beobachtet und dabei festgestellt, dass von den 23 europäischen Biotech-Unternehmen, die an der Nasdaq gelistet sind, rund die Hälfte davon aus Israel stammen. Meiner Meinung nach sind das nicht sonderlich viele europäische Unternehmen. Jedoch bietet die Nasdaq eine gute Alternative für Biotech-Unternehmen, welche ihre Zukunft im US-Markt sehen und dort Strukturen aufbauen möchten. Jedoch sollten Unternehmen aus Europa bei einem Listing in den USA nicht vergessen, dass sie anders als heimische Firmen behandelt werden. So werden US-Unternehmen automatisch in die relevanten Indizes inkludiert, wodurch eine höhere Visibilität gewährleistet wird. Ausländische Unternehmen werden am US-Markt hingegen eher selten in diese Indizes aufgenommen, wodurch die Visibilität und gleichzeitig auch die Liquidität geringer und damit die Bewertung aufgrund des Liquiditätsabschlages tiefer ist. Eine Kotierung an einer Börse, an der die Indexaufnahme unabhängig von der Nationalität ist – wie zum Beispiel bei SIX Swiss Exchange –, wäre für europäische Biotech-Firmen also viel sinnvoller.

Herr Estermann, vielen Dank für das interessante Gespräch!

Das Interview führte Svenja Liebig

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