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Nur über den Weg der Echtzeitansprache zugeschalteter Anteilseigner sind die elementaren Aktionärsrechte – von der Stimmrechtsausübung abgesehen – möglich.

Mit der Novellierung des Aktiengesetzes hat der Gesetzgeber im Juli 2022 die Möglichkeit geschaffen, virtuelle Hauptversammlungen (vHVs) ohne physische Präsenz der Aktionäre als feste Option zu etablieren. Nach intensiven Auseinandersetzungen zur Ausgestaltung des virtuellen Formats orientiert sich das Gesetz bzgl. Ablauf und Rechteausgestaltung für die Aktionäre sehr stark an der Präsenzhauptversammlung. Dabei kommt der Livezuschaltung von Aktionären im Rahmen der Videokommunikation eine zentrale Rolle zu. Aktionäre können damit nicht nur Redebeiträge halten, sondern auch ihre aus der Präsenzhauptversammlung bekannten Auskunfts- und Antragsrechte ausüben. Die derart gestellten Fragen und Anträge müssen innerhalb der Hauptversammlung durch den Vorstand bzw. den Versammlungsleiter beantwortet und behandelt werden.

Mit diesen Rahmenbedingungen ist die „neue virtuelle Hauptversammlung“ nicht mit der „COVID-19-virtuellen Hauptversammlung“ zu vergleichen, sondern entspricht einer „digitalisierten Präsenzhauptversammlung“ inkl. Anfechtungsrecht. Nach der ersten Saison mit dem neuen Format kann nun auch ein erstes Zwischenfazit gezogen werden. Entscheidend für das Gelingen einer vHV ist die Art der Durchführung der elektronischen Livezuschaltung. Wir führen hier die wesentlichen Faktoren für die erfolgreiche elektronische Livezuschaltung auf.

Einfache Nutzung für die Aktionäre

Da es um die Möglichkeit zur Rechteausübung durch die Aktionäre geht, müssen deren Belange an erster Stelle stehen. Die elektronische Livezuschaltung muss einfach und intuitiv in der Bedienung für den Aktionär sowie technisch zuverlässig sein. Zentral dafür ist die Integration der verschiedenen Interaktionsschritte in den ­Onlineservice für Aktionäre, den die Gesellschaft (bzw. der von ihr beauftragte Dienstleister) anbietet. Die Wortmeldung sollte analog zu den übrigen Funktionen gut sichtbar und bereits der Check der vom Aktionär eingesetzten Kamera- und Mikrofonkomponenten möglich sein. Mit der elektronischen Zuschaltung wechselt der Aktionär dann von der Verfolgung des Videostreams in den direkten Videokonferenzmodus. Der Wechsel sollte für den Aktionär möglichst ohne weitere Zwischenschritte ablaufen, also ohne Aufruf eines Links aus einer E-Mail, ohne Wechsel zu einem anderen Fenster oder Tab. Damit werden Fehlbedienungen durch den Aktionär vermieden.

Professionelle elektronische Zuschaltung

Im Hintergrund wird für die elektronische Zuschaltung ein digitales Studio eingesetzt. Analog zum Studio vor Ort, wo verschiedene Kameras mit einem Regiearbeitsplatz ein stimmiges Bild der Beteiligten ermöglichen, ist auch die elektronische Zuschaltung ein Medienelement, dessen Qualität von der professionellen Expertise der Durchführenden abhängt. Der elektronisch zugeschaltete Aktionär wird dabei im digitalen Studio vor der eigentlichen Liveschaltung durch einen Operator „ongeboardet“, um eine ausreichende Ton- und Bildqualität des Sprechers zu überprüfen und den organisatorischen Ablauf abzustimmen. Mit der Worterteilung wird dann das Livesignal aus dem digitalen Studio an die Hauptregie übergeben – analog zu einer „Fernsehschaltung“.

Quelle: ADEUS nach Unternehmensangaben, eigene Recherchen

Einfache Nutzung durch den Versammlungsleiter

Wie in der Präsenzhauptversammlung hat der Versammlungsleiter auch in der neuen virtuellen Hauptversammlung die Aufgabe, die Generaldebatte aktiv zu leiten, um die Wortmeldungen der Aktionäre möglichst sinnvoll in den Ablauf der Hauptversammlung zu integrieren. Der Versammlungsleiter wird dabei durch einen „virtuellen Wortmeldetisch“ unterstützt, der die Wortmeldungen sinnvoll sortieren und zu Rednerblöcken zusammenfassen kann. Der Versammlungsleiter bittet dann die einzelnen Redner ins digitale Studio und erteilt das Wort. Dafür hat sich eine Liste der nächsten Redner für den Versammlungsleiter bewährt. Weiter muss er im virtuellen Format auch Informationen erhalten, ob im digitalen Studio Bild- oder Tonprobleme aufgetreten, Redner ggf. gar nicht erschienen sind oder ihre Wortmeldung zurückgezogen haben. Das alles sind Vorgänge, die in der Präsenzhauptversammlung direkt vom Versammlungsleiter zu sehen sind (z.B.: Ein aufgerufener Redner kommt nicht an das Rednerpult). In der virtuellen Hauptversammlung bedarf es aber entsprechender Informationen für den Versammlungsleiter.

Attraktive optische Gestaltung

Die Attraktivität der virtuellen Hauptversammlung für die Aktionäre als Zuschauer hängt entscheidend davon ab, dass der Ablauf der Hauptversammlung visuell gut transportiert wird. Für die Rede des Vorstandsvorsitzenden ist dies bereits in der COVID-19-virtuellen Hauptversammlung ausgiebig erprobt und entwickelt worden. Jetzt stellt sich mit den elektronischen Zuschaltungen die Herausforderung, den Aspekt der Interaktion zwischen Redner und Bühne auch optisch zu unterstreichen, z.B. indem Redner und Bühne gleichzeitig für die Zuschauenden sichtbar werden. Hier gab es in der vergangenen Saison gute Beispiele, die den Zuschauer direkter involvieren.

Technische Stabilität

Im Set-up müssen alle digitalen Komponenten hohen Anforderungen an Verfügbarkeit und Informationssicherheit genügen. Das lässt sich durch ein entsprechendes Set-up und Tests im Vorfeld der Hauptversammlung verifizieren. Wichtig ist darüber hinaus jedoch, im direkten Vorfeld der Hauptversammlung zusätzliche Zeit für technische Komplettdurchläufe vor Ort und eine intensive Generalprobe mit allen Gewerken (digitales Studio, Onboarding, Medientechnik, Regie, Streaming) und dem Versammlungsleiter einzuplanen und dafür auch das „Echtsystem“ einzusetzen.

Fazit

Die erste Saison mit der neuen virtuellen Hauptversammlung hat gezeigt, dass die oben genannten Faktoren professionelle und erfolgreiche Hauptversammlungen ermöglichen, bei denen die Aktionäre ohne Einschränkungen alle Rechte vollständig ausüben konnten. Dabei wurde ein hohes Maß an Interaktion zwischen Aktionären und Gesellschaften ermöglicht, das dem aus der Präsenzhauptversammlung nur wenig nachsteht. 70% der Gesellschaften aus dem DAX40 (28 von 40) haben sich für das neue Format entschieden. Damit kann die virtuelle Hauptversammlung als etabliertes Format angesehen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Erfahrungen aus diesem Jahr zu einer weiteren Erhöhung der Durchführungsqualität führen werden und damit auch die Akzeptanz ­unter Aktionären und Aktionärsvereinigungen zunehmen wird.

Autor/Autorin

Björn Dobrzweski

Leiter Aktienregister- & Hauptversammlungsservices,
ADEUS Aktienregister-Service-GmbH

bjoern.dobrzewski@adeus.com