Dieser Beitrag stammt aus dem kürzlich erschienenen GoingPublic 2/25.

Von 2022 bis Ende 2024 verzeichneten die deutschen Börsen einen Nettoabgang von insgesamt 51 Unternehmen, was rund 7% der im Jahr 2022 gelisteten Unternehmen entspricht. Der Rückgang betrifft insbesondere die gesetzlich regulierten Marktsegmente (42), während sich neun Unternehmen aus den Freiverkehrssegmenten zurückzogen. Von Prof. Dr. Wolfgang Blättchen und Uwe Nespethal

Dabei ist anzumerken, dass ein „Downgrade“ vom regulierten Markt in den Freiverkehr den Nettoabgang im Freiverkehr zu reduzieren half. Die 27 Neuzugänge an den Börsen im gleichen Zeitraum schafften es somit bei Weitem nicht, den kompletten Bruttoverlust von 78 Unternehmen zu kompensieren. Insgesamt finden sich zu Beginn dieses Jahres nur noch 723 Werte auf den Kurszetteln der deutschen Börsenplätze, darunter 384 in den regulierten Segmenten und 339 in den Freiverkehrssegmenten. Zur Einordnung: Im Jahr 2007 lag die Anzahl der Werte allein in den regulierten Marktsegmenten der Deutschen Börse noch bei über 7501.

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Dieser Beitrag stammt aus dem kürzlich erschienenen GoingPublic 2/25.

 

Regulatorische Belastung führt zu Rückzügen

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Neben den üblichen Insolvenzen und Übernahmen stellt die zunehmende regulatorische Belastung durch den Gesetzgeber eine zentrale Ursache für die Entscheidung vieler Unternehmen dar, sich von der Börse zurückzuziehen. Dazu zählen die in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Anforderungen des Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK), von denen viele bereits ihren Weg in die Gesetze gefunden haben und somit obligatorisch wurden. Die sich immer weiter verschärfenden CSR-Berichtspflichten, die Einhaltung der Marktmissbrauchsverordnung, die Ausweitung der Diversitätsvorschriften für Organmitglieder oder die Erstellung von umfangreichen Vergütungsberichten erhöhen den Aufwand für das Being Public vor allem in den gesetzlich regulierten Marktsegmenten immens. Zudem schreckt dieses immer enger werdende Korsett zahlreiche Unternehmen ab, einen Börsengang überhaupt noch in Erwägung zu beziehen, zumal Private-­­Equity-Finanzierungen adäquate Alternativen bieten.

Aufwertung des Freiverkehrs

Diese Überregulierung müsste eigentlich den bisher stiefmütterlich betrachteten Freiverkehr aufwerten, da dieser von den über­zogensten Berichts- und Corporate-Governance-Pflichten befreit ist. Insbesondere ein börsenreguliertes Premiumsegment wie ­Scale (Deutsche Börse) oder m:access (Börse München) versucht, ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen einer Börsennotierung herzustellen. Tatsächlich gingen die ersten beiden Börseneinführungen dieses Jahres (PFISTERER SE und innoscripta SE) in Scale. Bemerkenswert ist, dass beide Unternehmen mit Platzierungsvolumina von 188 Mio. bzw. 257 Mio. EUR ­Größenordnungen erreichen, die üblicherweise eher im Prime Standard zu finden sind. Trotz der weniger strengen Zulassungs- und Folgepflichten des Scale-Segments erwies sich dies nicht als Hindernis für internationale, institutionelle Investoren, sich an beiden Emissionen zu beteiligen. Es scheint, dass sie die Attraktivität des Geschäftsmodells und die Sicherstellung eines ausreichenden Streubesitzes für die Investitionsentscheidung stärker gewichten als die Erfüllung überzogener Berichtspflichten. Natürlich bleibt es jedem IPO-Kandidaten freigestellt, sich zusätzlichen Berichtszwängen zu unterwerfen. So erstellt und veröffentlicht PFISTERER freiwillig seine Abschlüsse nach IFRS und bezieht auch zeitnahe Quartalsmitteilungen in seine regelmäßige Finanzberichterstattung ein. Für internationale Investoren stellen diese zusätzlichen Transparenzmaßnahmen einen etablierten Standard dar.

Scale umfasst derzeit 43 Werte mit einem Marktwert im Median von ca. 75 Mio. EUR (Durchschnitt: 162 Mio. EUR). Die beiden Neuzugänge heben sich mit Bewertungen von ca. 600 Mio. EUR (PFISTERER SE) und 1 Mrd. EUR (innoscripta SE) deutlich ab und zählen zu den fünf höchstbewerteten Unternehmen des Segments. Ihre Aufmerksamkeit innerhalb des Indexes „Scale 30“ ist damit gesichert.

Fazit

Es bleibt zu hoffen, dass weitere Emittenten mit ähnlich hoher Kapitalisierung und dreistelligen Emissionsvolumina folgen, um dieses Wachstumssegment weiter zu beleben. Es ist Zeit, die derzeitige Regulierungspraxis zu entschärfen und die juristischen Hemmnisse des deutschen Aktienrechts anzugehen, um die Attraktivität der Börse als Finanzierungsplattform wieder zu beleben.


Quelle: Deutsche Börse AG, BFA-Datenbank sowie ­GoingPublic 1/2025, S. 26–30

Autor/Autorin

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen
Geschäftsführender Gesellschafter at  | Website

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen ist geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit drei Jahrzehnten als unabhängiger Berater für Kapitalmarktstrategien aktiv. In dieser Zeit konnte er über 100 Pre-IPOs, IPOs und Follow-on-Mandate begleiten. Er ist aktives Mitglied in Aufsichts- und Beiräten sowie Ansprechpartner der Börsen.

Uwe Nespethal
Geschäftsführender Gesellschafter at  | Website

Uwe Nespethal ist ebenfalls geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit über 20 Jahren als unabhängiger Berater in Kapitalmarktstrategien sowie in der Auflegung von kapitalmarktorientierten Incentivierungsprogrammen für Führungskräfte und Mitarbeiter tätig.