Stimmrechtsberater haben zunehmend Einfluss auf das Abstimmungsverhalten gerade qualifizierter Investoren auf Hauptversammlungen. Zwischenzeitlich haben die für hiesige Gesellschaften wesentlichen Stimmrechtsberater (Glass Lewis, ISS, BVI) ihre jeweiligen Leitlinien für die anstehende Hauptversammlungssaison 2020 bekannt gegeben. Diese unterscheiden sich in Teilen auch untereinander. Der nachfolgende Beitrag möchte wesentliche Schwerpunkte sowie Neuerungen bzw. Verschärfungen dieser Abstimmungsleitlinien gegenüber 2019 aufzeigen. Von Dr. Alexander Thomas und Markus Joachimsthaler

Aus Sicht der Stimmrechtsberater müssen vor allem die Kandidatenvorschläge an die Hauptversammlung zum Aufsichtsrat hohen Anforderungen genügen.

Overboarding

Eine aus Sicht der Stimmrechtsberater wichtige Anforderung betrifft die Verhinderung eines sogenannten Overboarding. Unter Overboarding wird generell der Fall verstanden, in dem ein einzelnes Mitglied des Aufsichtsrats eine zu hohe Anzahl weiterer Mandate wahrnimmt. Trotz der bereits verschärften Anforderungen in den Empfehlungen C.4 und C.5 DCGK 2020 nehmen Stimmrechtsberater weitere Einschränkungen vor. So lässt ISS maximal fünf Mandate in börsennotierten Gesellschaften zu (Aufsichtsratsvorsitz wird doppelt, Vorstandsmandat dreifach angerechnet).

Hauptversammlung

Auch wird ein Vorstandsmandat in einer börsennotierten Gesellschaft und ein Aufsichtsratsvorsitz kritisch gesehen. Glass Lewis lässt ebenfalls maximal fünf Aufsichtsratsmandate zu (Vorsitz zählt doppelt), wobei Vorstände börsennotierter Gesellschaften nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbaren Gremien wahrnehmen sollen. Der BVI befürwortet maximal drei Mandate in Summe für ein exekutiv tätiges Mitglied und fünf Mandate in Summe für ein nicht-exekutiv tätiges Mitglied. Mehrere Mandate innerhalb eines Konzerns zählen als ein Mandat nur dann, wenn dies deutlich gekennzeichnet ist.

Unabhängigkeit

Trotz mancher Unterschiede im Detail soll nach sämtlichen Abstimmungsleitlinien eine ausreichende Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder unabhängig sein. Dies wird bereits kritisch gesehen, wenn nur 50% oder weniger der Aktionärsvertreter unabhängig ist. Zusätzlich sieht ISS einen Aufsichtsrat kritisch, bei dem weniger als ein Drittel des Gesamtaufsichtsrats unabhängig ist. Manche Stimmrechtsberater erwarten zudem, dass auch der jeweilige Vorsitzende des Prüfungsausschusses sowie des Vergütungsausschusses unabhängig ist.

Auch der DCGK 2020 sieht in den Empfehlungen C.6 bis C.12 verschärfte Regelungen zur Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder vor, weshalb auf die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder verstärkt geachtet werden sollte.

Amtszeiten/Wiederwahl

Stimmrechtsberater stehen einer zu langen Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat kritisch gegenüber. Hiernach lehnen Stimmrechtsberater die Wiederwahl von Kandidatenvorschlägen mit Amtszeiten von mehr als zehn bzw. zwölf Jahren ab. Während heuer noch Wahlen von Aufsichtsratsmitgliedern für fünf Jahre akzeptiert werden, hat ISS bereits angekündigt, ab 2021 nur noch einer Bestellung von maximal vier Jahren zuzustimmen. Glass Lewis bewertet zudem die Wiederwahl des Aufsichtsratsvorsitzenden kritisch, sollte der Aufsichtsrat keinen Prüfungs- und Vergütungsausschuss gebildet haben. Darüber hinaus soll trotz Kodexstreichung weiterhin gegenüber der Hauptversammlung offengelegt werden, wer die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden übernehmen soll.

Transparenz der Kandidatenvorschläge

Stimmrechtsberater erwarten insgesamt eine umfassende Darlegung der Qualifikation der Kandidaten, wie Werdegang, Alter, Qualifikation, Nationalität, Zeitpunkt der Erstbestellung, Dauer und Ende der aktuellen Bestellung sowie detaillierte Angaben zu anderen Mandaten einschließlich etwaiger Börsennotierung bzw. Konzernzugehörigkeit, ansonsten deren Wahl kritisch gesehen wird. Hierzu sollten Richtlinien zur Darstellung des Lebenslaufs herangezogen werden.

Kapitalia

Im Hinblick auf die Schaffung neuer Kapitalia sehen die Abstimmungsleitlinien gegenüber 2019 verschärfte Anforderungen vor. Teilweise wird nunmehr bereits die Schaffung eines genehmigten Kapitals von über 20% (Glass Lewis) bzw. 30% (BVI) des Grundkapitals kritisch gesehen (zuvor 40%). Wie bereits 2019 abgezeichnet, empfehlen die Stimmrechtsberater nunmehr eine Begrenzung des Bezugsrechtsausschlusses auf nur noch 10% (zuvor vielfach 20%). Eine wechselseitige Anrechnung ist ausdrücklich vorzusehen.

Entlastung

Im Zusammenhang mit den Entlastungsbeschlüssen werden nunmehr unregelmäßige/noch nie stattgefundene Abstimmungen über das Vergütungssystem als kritisch gewertet. Teils wird eine Abstimmung mindestens alle vier Jahre (zuvor alle fünf Jahre) erwartet. Auch das Nichtbestehen bzw. die Nichtveröffentlichung der Altersgrenzen sowohl in Bezug auf den Vorstand als auch den Aufsichtsrat führt nunmehr zu einer Ablehnung der jeweiligen Entlastung. Darüber hinaus sollen die Sitzungsteilnahmen einschließlich der Ausschüsse individualisiert offengelegt werden.

Diversity

Diversity wird auch vonseiten der Stimmrechtsberater als wesentliches Element für den Erfolg des Unternehmens angesehen. Werden keine weiblichen Aufsichtsratskandidaten vorgeschlagen, soll sogar gegen die Wahl aller vorgeschlagenen Kandidaten gestimmt werden. Demgegenüber befürwortet Glass Lewis zwar keine starre Geschlechterquote, setzt aber dennoch auf die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen und von Best-Practice-Standards. Der BVI verlangt die Formulierung einer Diversity-Politik des Unternehmens, die veröffentlicht und über deren Umsetzung regelmäßig berichtet werden muss.

Erwerb eigener Aktien

Teilweise wird einer Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien nur dann zugestimmt, wenn der Rückkauf nicht als Verteidigungsmaßnahme gegen eine Übernahme verwendet werden soll. Der BVI sieht als kritische Faktoren für den Rückkauf die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft sowie einen Rückkaufpreis von mehr als 10% des Marktpreises.

Abschlussprüfer

Im Zusammenhang mit der Wahl des Abschlussprüfers erwarten die Stimmrechtsberater die Nennung des verantwortlichen Abschlussprüfers und dessen Bestelldauer. Eine vorhergehende Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers im Unternehmen wird kritisch gesehen. Aus Sicht der Stimmrechtsberater ist auch problematisch, wenn der verantwortliche Abschlussprüfer mehr als fünf Jahre im Amt ist.

Satzungsänderungen

Im Hinblick auf vorgeschlagene Satzungsänderungen erwarten Stimmrechtsberater eine hinreichende Begründung. Die aktuelle Satzung sollte auch veröffentlicht sein.

Fazit

Aufgabe des Aufsichtsrats und des Vorstands ist es, insbesondere bei der Vorbereitung von Hauptversammlungen, die gerade auch für 2020 strenger gewordenen Richtlinien der Stimmrechtsberater im Blick zu behalten, um vor allem qualifizierte Investoren auf ihrer Seite zu haben. Wenn jedoch die Abstimmungsvorschläge von den Richtlinien der Stimmrechtsberater abweichen, sollte das Unternehmen dies nachvollziehbar begründen. Denn nur dann besteht die Möglichkeit, dass Stimmrechtsberater ihr Ermessen im Sinne einer Einzelfallbetrachtung ausüben können.

Dieser Artikel ist ein Vorabdruck des Fachbeitrags, der am 28. März im Jahres-Special Corporate Finance Recht 2020 erscheint.

Autor/Autorin

Dr. Alexander Thomas ist Partner bei internationalen Wirtschaftskanzlei Pinsent Masons in München.
Dr. Alexander Thomas

Dr. Alexander Thomas ist Partner bei Pinsent Masons Germany LLP.

Markus Joachimsthaler
Anwalt at Pinsent Masons

Markus Joachimsthaler, LL.M., ist Senior Associate bei Pinsent Masons Rechtsanwälte Steuerberater Solicitors Partnerschaft mbB mit Schwerpunkt auf digitale Wertpapiere. Er berät Unternehmen und Unternehmer im Zusammenhang mit allen aktienrechtlichen und kapitalmarktrechtlichen Fragestellungen.