Aktienfonds-Manager Omar Abu Rashed und Rentenexperte Dmitri Barinov von Union Investment erläutern im Interview mit dem GoingPublic Magazin, welche politischen und wirtschaftlichen Probleme die türkischen Kapitalmärkte momentan belasten und wie die Unternehmen aufgestellt sind. Union Investment ist eine der größten Fondsgesellschaften in Deutschland – mit etwa 2.500 Mitarbeitern, über 4 Mio. Kunden und einem Anlagevermögen von 212 Mrd. EUR Assets under Management.

GoingPublic: Trotz anhaltender politischer Konflikte hat der türkische Aktienmarkt seit der Jahreswende deutlich zugelegt. Ist die Talsohle damit schon durchschritten?

Abu Rashed: Die abschließende Bewertung dazu erscheint mir zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh. Zwar hat sich die innenpolitische Lage auf den ersten Blick etwas entspannt, allerdings konnte der Aktienmarkt auch von der deutlich verschlechterten Stimmung für russische Aktien aufgrund der Ukraine-Krise profitieren. So floss vermehrt Kapital aus den Krisenregionen in die Türkei und befeuerte die Aktienkurse zusätzlich. Da sich die Gewinne derzeit noch nicht nachhaltig verbessert haben, führt das dazu, dass die Bewertungen der Unternehmen deutlich gestiegen sind. Auch wenn der innenpolitische Konflikt in den letzten Monaten in den Hintergrund getreten ist, bleibt abzuwarten, ob die Opposition vor der nächsten Präsidentschaftswahl im Herbst die Missstände des Landes erneut thematisieren und für wieder aufflammende Protestwellen sorgen wird.

GoingPublic: Wie stark beeinflusst denn der Ukraine-Konflikt die Kapitalmärkte in der Türkei?

Abu Rashed: Die Türkei sollte sich nach unserer Einschätzung wie bisher weitgehend aus dem Ukraine-Konflikt heraushalten. Sonst könnte sich der Trend der bisherigen Mittelzuflüsse – die mitverantwortlich für die Aktienrally waren – bei einer Entspannung der Lage tendenziell wieder in Richtung Russland umkehren. Dafür würde aus unserer Sicht auch die günstigere Bewertung sprechen. Aktuell achten wir eher auf die Auswirkungen der Irak-Krise auf die Türkei. Denn das Land ist das zweitwichtigste Exportland. Eine weitere Eskalation hätte nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern könnte für die Türkei auch ein Engagement im Irak-Konflikt unausweichlich machen. Das hätte zusätzlich negative Auswirkungen auf geplante Investitionen der Unternehmen.

Dmitri Barinov und Omar Abu Rashed, Union Investment
Dmitri Barinov und Omar Abu Rashed, Union Investment

GoingPublic: In welcher Verfassung befindet sich die türkische Wirtschaft derzeit?

Abu Rashed: Türkische Unternehmen sehen sich zurzeit einer doppelten Belastung ausgesetzt. Einerseits bleibt die Nachfrage aus Europa als wichtigstem Exportland hinter den Erwartungen zurück. Andererseits müsste die türkische Notenbank eigentlich die Zinsen weiter hochhalten. Dies wäre nötig zur Stabilisierung der türkischen Lira, zur Bekämpfung der hohen Inflation sowie zur Verringerung des Handelsbilanzdefizits. Allerdings würde eine solche Maßnahme die eigene Wirtschaft abbremsen. Wahrscheinlich würde die Ertragskraft der insgesamt überdurchschnittlich hochverschuldeten Unternehmen dadurch sinken.

GoingPublic: Wie sind die türkischen Unternehmen derzeit aufgestellt? Bei welchen Branchen laufen die Geschäfte gut?

Abu Rashed: Die Türkei besitzt neben viel Industrie ein weit entwickeltes Dienstleistungsgewerbe. Gut aufgestellt sind aus unserer Sicht auch die exportorientierten Wirtschaftszweige wie Nutz- und Personenfahrzeuge. Außerdem spricht das kräftige Bevölkerungswachstum der Türkei strukturell für Konsumwerte, auch wenn wir derzeit eine gewisse Konsumzurückhaltung bei den Menschen sehen.

GoingPublic: Wo sehen Sie momentan die Chancen bei türkischen Aktien?

Abu Rashed: Die Türkei überzeugt Anleger mit einem langfristigen Anlagehorizont wegen ihrer dynamischen Demografie, einer sehr jungen Bevölkerung und einem unternehmerfreundlichen Klima, das auch geringe Löhne und Lohnnebenkosten einschließt. Allerdings erscheinen uns Aktien nach dem Anstieg der letzten Monate nicht mehr günstig. Der Aktienmarkt ist derzeit fair bewertet.

GoingPublic: Und welche Risiken gibt es?

Abu Rashed: Aus unserer Sicht versucht die Politik, in die Arbeit der Zentralbankpolitik einzugreifen. So wurde nach der jüngsten Zinserhöhung der Währungshüter vermehrter Druck aufgebaut, die Zinsen zu senken – mit dem Argument, die Wirtschaft zu unterstützen und nicht abzubremsen. Allerdings bestünde dann das Risiko, den Konsum weiter anzuheizen und Probleme wie Inflation und Leistungsbilanzdefizit zu verschärfen.

GoingPublic: Wie schätzen Sie den türkischen Anleihenmarkt ein?

Barinov: Nach dem Höhepunkt der politischen Probleme im ersten Quartal hat sich die Situation wieder deutlich entspannt. Die Renditen türkischer Staatsanleihen haben sich seitdem kräftig zurückgebildet, die Bonds verzeichnen deutliche Kursgewinne. Aber es ist längst noch nicht wieder eitel Sonnenschein in der Türkei. Das Land hat lange von Auslandsinvestitionen profitiert. Durch die weiterhin recht hohe Inflation bleibt der Außenwert der türkischen Lira angreifbar, was die Kosten von Importen erhöht.

GoingPublic: Anleger verlangen derzeit einen deutlich höheren Risikoaufschlag bei Staatsanleihen. Ist das für Anleger schon ein günstiges Einstiegsniveau?

Barinov: Das aktuelle Niveau erscheint fair. Denn trotz der genannten Risiken weist der türkische Staat eine niedrige Staatsverschuldung von rund 35% der Wirtschaftsleistung auf sowie ein durchschnittliches Rating, dass noch im Investmentbereich liegt. Um Währungsrisiken der türkischen Lira zu vermeiden, empfehlen wir Hartwährungsanleihen der Türkei in Euro und in US-Dollar.

GoingPublic: Herr Abu Rashed, Herr Barinov, vielen Dank für das interessante Gespräch!

 

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