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Mit nur einem Zukauf hat sich die flatex AG vom Hidden Champion zum ersten pan-europäischen Online-Broker entwickelt. Im Juli 2020 hat das Unternehmen DEGIRO übernommen – inklusive Markteintritt in 15 europäischen Ländern. CEO Frank Niehage will das Momentum nutzen und von der frisch geweckten Kapitalmarktlust vieler Neueinsteiger profitieren. Dieser Plan führt ausgerechnet dazu, dass Niehage seine Liebe zum Fußball entdeckt – was auf den ersten Blick seltsam wirkt, ergibt durchaus Sinn …

GoingPublic: Sind Sie Borussia Mönchengladbach-Fan?

Niehage: Ja, das bin ich, mittlerweile sogar ein goßer.

Das war aber nicht der Grund dafür, das Sponsoring des Fußballclubs zu übernehmen, oder?

Nicht ganz: Wir haben mit flatex bisher Trader adressiert, die Vorkenntnisse mitbringen, affin für das Thema sind. Diese Kundengruppe ist nicht unendlich groß. In diesem Jahr sind wir aber ungeheuer gewachsen und haben zudem gerade unseren Adressatenkreis erweitert. Wir sprechen jetzt auch Millionen Menschen an, die bisher kaum Berührungspunkte mit dem Kapitalmarkt hatten. Wir wollten also unseren Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung deutlich steigern.

Und da kam der Volkssport Fußball gerade recht.

Genau, wir haben seit der Übernahme von DEGIRO im Sommer Zugang zu 18 europäischen Märkten – diese Länder vereint der Fußball. Mönchengladbach wiederum ist unternehmerisch solide aufgestellt, genießt bundesweit hohe Sympathie und spielt international. Außerdem hat der Klub eine tolle Fan-Szene und war auf der Suche nach einem neuen Sponsoring-Partner. So hat sich das gefügt.

Womit Ihre neue Liebe zum Fußball erklärt ist, aber noch nicht, welche Wachstumsschritte Sie heuer im Einzelnen gegangen sind. Starten wir mit dem Offensichtlichen: Herzlichen Glückwunsch zur DEGIRO-Übernahme. Sind Sie im Nachhinein zufrieden mit dem Kauf?

Mehr als zufrieden: Für uns war klar, dass wir international wachsen wollen – und zwar schnell und qualitativ hochwertig. Mit DEGIRO haben wir den Perfect Fit gefunden. Wir haben mit einem Streich unsere Internationalisierungsstrategie vollendet, aber natürlich steckt noch mehr dahinter: Wir ergänzen uns in den Leistungen und können Synergien im Wert von 30 Mio. EUR EBITDA jährlich heben. Zudem nutzt DEGIRO dieselbe Programmiersprache wie flatex. Internationalisierung, IT-Kompatibilität und künftige Synergien haben den Kauf mehr als attraktiv gemacht – und in Summe haben sich unsere Erwartungen bisher sogar übererfüllt.

Ein großer Zukauf ausgerechnet 2020, in dem Jahr, das als Corona-Krisenjahr in die Geschichte eingehen wird.

Unterschrieben haben wir den Deal bereits im Dezember 2019, da war der Verlauf des Jahres 2020 noch nicht zu erahnen. Corona ist gesundheitlich ein Drama, medizinisch und gesellschaftlich eine Katastrophe – unbestritten. Unser Geschäftsmodell aber profitiert von den Entwicklungen. Wir haben in diesem Jahr einen wahnsinnigen Zuwachs an Trades erlebt. Corona-Auswirkungen wie Homeoffice und eingeschränktes öffentliches Leben führen dazu, dass die Menschen verstärkt Online-Angebote nutzen. Das gilt auch für Finanzgeschäfte. Zudem hat 2020 eine extreme Volatilität in den Kapitalmarkt gebracht – diese beiden Entwicklungen führen in Kombination dazu, dass sich deutlich mehr Menschen für Online-Trading interessieren und Aktien oder Fonds für sich entdecken.

Bekommt Deutschland etwa ausgerechnet in Folge der Krise die lang ersehnte Aktienkultur?

Auf jeden Fall merken die Leute, dass es der Realwirtschaft nicht gut geht, der Kapitalmarkt aber ordentlich performt und in einigen Bereichen massiv zugelegt hat. Mangelnde Anlagealternativen aufgrund des negativen Zinsumfelds tun ihr Übriges. Ja, es interessieren sich mehr Menschen für Börse und Aktien. Es kommen zahlreiche Einsteiger hinzu und die Zahl der Menschen, die ihre Geldanlagen selbst in die Hand nehmen, steigt erfreulicherweise.

Und davon wiederum profitieren Sie.

Wir haben im Dezember 2019 unsere Ziele für 2020 ausgegeben: 30 Millionen Trades und eine Million betreuter Kunden. Im Laufe des Jahres konnten wir diese Ziele dann sogar mehrfach anheben: zuletzt auf 70 Millionen Trades und 1,2 Millionen Kunden – und auch da sind wir sehr zuversichtlich.

Ihren Neukunden bieten Sie mit flatex-next auch ein frisches Produkt an – womit wir wieder bei den Wachstumsschritten wären.

Wie eingangs erwähnt haben wir mit unserem erprobten Angebot, man könnte es flatex-classic nennen, jene kapitalmarkt-affinen Trader angesprochen, die sich auskennen. Jetzt adressieren wir gezielt die Menschen, die gerade erst ihre Lust auf Kapitalmarkt entdecken. Um sie als Kunden zu gewinnen, brauchen wir ein niedrigschwelliges Produkt, das den Einstieg an der Börse erleichtert. Das haben wir mit flatex-next geschaffen. Hinzu kommen eine starke Marketing-Kampagne, die diesen Monat angelaufen ist, und ein Neukundenangebot: komplett gebührenfrei handeln in den ersten sechs Monaten.

Was heißt niedrigschwellig?

Die App ist einfach und selbsterklärend, die Anmeldung gelingt ohne Medienbruch in wenigen Minuten. Unsere oberste Prämisse bei der Konzeption war es, intuitives Bedienen zu ermöglichen. Wenn der Kunde ein neues Tool ausprobiert und den ersten Prozess als schwierig und mühsam empfindet, macht das ärgerlich. Das wollten wir mit einem positiven Erlebnis umdrehen und damit Spaß am Investieren ermöglichen.

Wer sich mit flatex-next ein Depot zusammenstellen will, kann das in äußerst kurzer Zeit. Wir clustern verschiedene Themen und bieten mit Kategorien wie „Tops und Flops“ oder „Meistgekaufte“ Orientierung. Kunden können festlegen, welche Investmentthemen sie interessieren – und erhalten dann Aktien und Fonds, die dazu passen. Nachhaltiges Investieren ermöglichen wir so beispielsweise besonders einfach unter der Rubrik flatex green. Diese Orientierungshilfen erleichtern den Einstieg.

Damit setzen Sie ein Produkt auf, das gezielt die Neueinsteiger adressiert. Sie glauben also, die Orderflut und der Boom in Sachen Depoteröffnung halten an?

Die Menschen haben in der Krise Freude daran gefunden, sich mit ihrem Vermögen zu beschäftigen. Wir sind sicher, dass dieser Trend anhält und bieten mit flatex-next eine App für jedermann. Wir wollen die Berührungsangst nehmen, die es in Zusammenhang mit der Börse oft noch gibt.

Sie sind seit Oktober im Prime-Standard gelistet – unter dem neuen Namen flatexDEGIRO. Die Notierung im SDAX folgt noch in diesem Monat. Genießen Sie jetzt erst einmal den Erfolg?

Nein, wir haben noch viel vor. Aktuell haben wir eine Market Cap von 1,5 Mrd. EUR; unsere Aktie steht heute bei 56 EUR, mehr als eine Verdoppelung seit März. Aber das ist erst der Anfang. Mit der Umfirmierung machen wir deutlich, dass wir jetzt eine internationale Gruppe sind und was wir planen – bis spätestens 2025 wollen wir auf mindestens 100 Millionen Trades und drei Millionen Kunden kommen. Wir werden der Volks-Broker sein.

Herr Niehage, danke für das Gespräch.

Frank Niehage
Frank Niehage

Frank Niehage verfügt über umfangreiche Erfahrungen in allen Segmenten des Privat- und Geschäftskundengeschäfts und war bis August 2014 als Managing Director bei Goldman Sachs tätig, bevor er zu flatexDEGIRO kam. In früheren Positionen war er als CEO in Deutschland maßgeblich am Wachstum der Bank Sarasin AG beteiligt. Davor war er in verschiedenen leitenden Positionen bei der Commerzbank, Credit Suisse, UBS und der internationalen Anwaltskanzlei Beiten Burkhardt in Deutschland und international, insbesondere in Asien, tätig. Frank Niehage ist zugelassener Rechtsanwalt in Deutschland und hat seinen Master of Laws mit Schwerpunkt internationale Wirtschaft am University of Houston Law Center erworben.

Autor/Autorin

GoingPublic Redaktion / iab