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Distressed M&A wird nicht mehr nur als Spezialmaterie wahrgenommen, sondern gehört für viele Investoren und Anwälte mittlerweile mit all den Chancen zum Standardrepertoire. Allerdings kann es bei einem Share Deal in der Krise nach Vollzug der Transaktion auch zum „bösen Erwachen“ kommen, wenn unerwartete Haftungsansprüche bekannt werden oder längst vergessene Ansprüche wieder aufleben.

Mit Distressed M&A ist meist der Kauf und Verkauf von Unternehmen in der Insolvenz als Verkauf von einzelnen Vermögensgegenständen (Asset Deal) gemeint. Doch die Facetten von Distressed M&A sind vielfältiger: Gerade Transaktionen aus einer Unternehmensgruppe, d.h. beim Verkauf nicht insolventer Tochtergesellschaften vor der Insolvenz oder nach Insolvenzeröffnung an Dritte, werden oft als Verkauf der Anteile (Share Deal) vollzogen.

Krise in der Unternehmensgruppe

Unternehmensgruppen haben eine enorme wirtschaftliche und rechtliche Relevanz. Besonders vorteilhaft ist dabei die Zentralisierung, vor allem bei der Innen- und ­Außenfinanzierung. Intern bedeutet dies, dass Gruppengesellschaften durch Gewinnabführungsverträge (§ 291 AktG) und einen Cashpool miteinander verbunden werden, um die Liquidität effizient zu nutzen und die gruppenweiten Gewinne und Verluste steueroptimal verrechnen zu können. Extern bedeutet dies, dass das Vermögen der Einzelunternehmen für die Finanzierung der Gruppe nutzbar gemacht wird, indem Gruppengesellschaften zum Beispiel Garantien abgeben oder eigenes Vermögen als Sicherheit für eine Gruppenfinanzierung zur Verfügung stellen. So werden zahlreiche „Haftungsbrücken“ geschaffen.

All diesen Vorteilen stehen auch Risiken gegenüber. Fällt nämlich ein Gruppenunternehmen in die Krise, kann aufgrund der Haftungsbrücken ein Dominoeffekt drohen, der letztlich die gesamte Gruppe infiziert. Rettungsversuche bestehen dann aus der Abtrennung von kriselnden Tochtergesellschaften oder aus dem Verkauf des „Tafelsilbers“, um Liquiditätslöcher auszufüllen. Kommt es zur Insolvenz der Obergesellschaft, wird der Insolvenzverwalter versuchen – wenn möglich –, das Tafelsilber der Gruppe als Share Deal zu verkaufen. Die Herausforderung ist dann das präzise Herauslösen der Zielgesellschaft aus der Gruppe, um Haftungsgefahren nach dem Closing zu vermeiden. Diese drohen in besonderem Maße bei einer Insolvenz von Verkäufer oder Zielgesellschaft.

Insolvenz der Zielgesellschaft nach der Transaktion

Der Käufer sollte grundsätzlich die Kon­trolle darüber haben, ob es zur Insolvenz der Zielgesellschaft kommt oder er weiteres Kapital nachschießt. Im Fall einer Insolvenz der Zielgesellschaft ist das offensichtliche Risiko des Käufers der Verlust der Gesellschaft. Dies ist umso ärgerlicher, als oft viel Arbeit und Geld in das Herauslösen der Zielgesellschaft aus der Gruppe investiert wird. Gruppeninterne Forderungen werden bereinigt und Gewinn­abführungsverträge beendet. Die Insolvenz der Zielgesellschaft birgt dann oft das Risiko, dass Ansprüche des Insolvenzverwalters gegen den Verkäufer aufgrund entsprechender Freistellungsverpflichtungen auch den Käufer belasten.

  • Verflechtungen bieten große Angriffsfläche

Für den Verkäufer kann die Insolvenz der Zielgesellschaft teilweise noch problematischer sein. So kann er sich ­einer breiten Palette von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) ausgesetzt sehen. Durch die Insolvenz­anfechtung soll sichergestellt werden, dass die Gläubiger gleichbehandelt werden, indem bestimmte Rechtshandlungen vor der Insolvenz wieder rückabgewickelt werden. Die relevanten Tatbestände reichen dabei u.a. von der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen und vergleichbaren Handlungen bis hin zu Zahlungen, die bei Kenntnis der Krise geleistet wurden. Erfasst werden Rechtshandlungen zwischen einigen Monaten und mehreren Jahren vor der Insolvenz. Die personelle Verflechtung in den Geschäftsführungen sowie die finanzielle Verflechtung in der Gruppe bieten dabei eine große Angriffsfläche. Dankbar wird der Verkäufer dann sein, wenn er – nunmehr umgekehrt – einen Freistellungsanspruch gegen den Käufer verhandelt hat und der Käufer die ausreichende Bonität besitzt.

  • Gewinnabführungsverträge bergen Risiken

Das wirtschaftlich größte Risiko für den Verkäufer entsteht allerdings durch die unsachgemäße Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags. Das meint nicht nur die wirksame, sondern vielmehr auch die insolvenzanfechtungsfeste Beendigung. Eine solche wird durch die einvernehmliche Aufhebung in der Regel nicht erreicht. Fällt die Zielgesellschaft in die Insolvenz und gelingt dem Insolvenzverwalter der Nachweis, dass der Gewinnabführungsvertrag nicht wirksam aufgehoben ist, so kann er einen Verlustausgleichsanspruch (§ 302 AktG) auf Basis einer zu Liquidationswerten aufgestellten Bilanz gegen den Verkäufer geltend machen. Gleiches kann gelten, wenn schon der letzte Abschluss der herausgelösten Zielgesellschaft zu Liquidationswerten hätte aufgestellt werden müssen. Der Anspruch erreicht oder übersteigt dann schnell die Höhe der Passivseite und ist nicht selten existenzbedrohend für den Verkäufer.

Insolvenz des Verkäufers nach der Transaktion

Kommt es zur Insolvenz des Verkäufers, besteht die Gefahr, dass der Insolvenzverwalter den Share Deal anficht und eine Rückabwicklung der Transaktion verlangt. Dies kann dazu führen, dass der Käufer am Ende ohne Zielgesellschaft ­dasteht und die Rückzahlung des Kaufpreises – mit der Aussicht auf eine geringe Insolvenzquote – nur zur Insolvenztabelle anmelden kann. Auch die Insolvenzanfechtung von gruppeninternen Zahlungen kann jedoch relevant werden. Dabei hilft dem Käufer ein Freistellungsanspruch gegen den Verkäufer meist wenig, da der Freistellungsanspruch im Insolvenzverfahren des Verkäufers regelmäßig ebenfalls nur eine Insolvenzforderung sein wird.

Neben den konzern- und insolvenzrechtlichen Besonderheiten werden bei der Insolvenz der Gruppe des Verkäufers regelmäßig auch Sachverhalte relevant, in denen Gläubiger des Verkäufers von der Zielgesellschaft Erfüllung oder Schadensersatz verlangen. Während bei einer Bankfinanzierung auf Gruppenebene als Vorbereitung einer Transaktion meist eine Freigabe der Ansprüche und Sicherheiten mit den Kreditgebern verhandelt wird, werden zahlreiche Haftungsbrücken erfahrungsgemäß schlicht übersehen; so etwa, wenn die Zielgesellschaft – teilweise vor Jahren – eine Mithaft erklärt hat und der Gläubiger sich in der Insolvenz der Gruppe des Verkäufers an die alte Dokumentation erinnert. Der Käufer ist daher gut beraten, die Due Diligence gewissenhaft und mithilfe ­insolvenzerfahrener Berater zu betreiben.

Kauf vom Insolvenzverwalter

Der Kauf durch Dritte vom Insolvenzverwalter birgt weitere Risiken. So kann die Zielgesellschaft Ansprüchen aus Insolvenz­anfechtung ausgesetzt sein. Standard sollte sein, dass deren Verzicht vereinbart ist. Bei einer Eigenverwaltung (§ 270 ff. InsO) sollte dazu der Sachwalter zugestimmt ­haben, da nur dieser über die Anfechtungsansprüche verfügen kann (§ 280 InsO). Doch auch wenn auf die direkten Anfechtungsansprüche verzichtet wurde, kann der Insolvenzverwalter vom Verkäufer für die Zielgesellschaft geleistete Zahlungen gegenüber Dritten anfechten. In der Folge können Ansprüche gegen die Zielgesellschaft wieder aufleben und diese sich zahlreichen „alten“ Ansprüchen ausgesetzt sehen.

Fazit

Der knappe Überblick zeigt, dass Distressed M&A als Share Deal zahlreiche ­Risiken birgt. Notwendig ist die bestmögliche Vermeidung derselben durch entsprechende tatsächliche oder vertragliche ­Gestaltungen. In jedem Fall sollten bei derartigen Transaktionen insolvenzerfahrene Berater eingeschaltet werden, damit Überraschungen mit dieser Spezialmaterie vermieden werden können.

Autor/Autorin

Dr. Michael Schaumann

Dr. Michael Schaumann ist Rechtsanwalt und Partner bei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Köln. Seine Schwerpunkte liegen im Gesellschaftsrecht, bei Restrukturierungsfragen in Krisen­situationen sowie in der M&A-Beratung.