Matthias von Oppen (links) und Peter Holst

Von Matthias von Oppen, Partner, und Peter Holst, Senior Associate, Ashurst LLP

Das Recht der Ad-hoc-Mitteilungen steht auf europäischer Ebene vor bedeutsamen Veränderungen. Nachdem im Entwurf für die Überarbeitung der EU-Marktmanipulationsverordnung vom 20.10.2011 die Unterscheidung zwischen lediglich Insiderhandelsverbote auslösenden „relevanten“ Insiderinformationen und Ad-hoc-veröffentlichungspflichtigen „präzisen und wahrscheinlich erheblich kursbeeinflussenden“ Insiderinformationen vorgesehen ist, steht nun ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs bevor.

Das Verfahren vor dem BGH und EuGH

In dem Fall geht es um zwei Fragen, welche der BGH dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat. Der BGH hatte im Fall DaimerChrysler/Schrempp zu entscheiden, ob die DaimlerChrysler AG die Ad-hoc-Mitteilung über das bevorstehende Ausscheiden ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp zu spät veröffentlicht hat. Das Ausscheiden vollzog sich in mehreren Zwischenschritten, von der ersten Ankündigung des Rückzugsgedankens gegenüber der eigenen Büroleiterin über Unterredungen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, der Information weiterer Aufsichtsratsmitglieder sowie des Präsidialausschusses bis zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats mit anschließender Ad-hoc-Mitteilung. Der BGH legte dem EuGH zwei Fragen zur Entscheidung vor:

  1. Können bei einem zeitlich gestreckten Vorgang auch Zwischenschritte Insiderinformationen sein, die veröffentlicht werden müssen?
  2. Hängt bei der Definition der zur Ad-hoc-Pflicht führenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit das erforderliche Maß der Wahrscheinlichkeit vom potenziellen Ausmaß der Auswirkungen einer Information auf den Emittenten ab?

Der Schlussantrag des Generalanwalts des EuGH vom 21. März 2012 sieht als Antwort auf die zwei Vorlagefragen des BGH im Wesentlichen Folgendes vor:

Durch Insiderinformationen kann Manipulationen an bevorstehenden Ereignissen Vorschub geleistet werden. Foto: PantherMedia / Hans Slegers

Zwischenschritte bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen

Bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen können auch Zwischenschritte, etwa die Unterzeichnung von Vorfeldvereinbarungen oder Vorstands- bzw. Aufsichtsratsbeschlüsse, veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen darstellen. Der Generalanwalt begründet diese Sichtweise vor allem damit, dass nach der EU-Insiderrichtlinie auch alle erheblichen Veränderungen im Hinblick auf bereits offengelegte Insiderinformationen unverzüglich bekannt zu geben sind und dass die Insiderrichtlinie bei zeitlich gestreckten Vorgängen beim Vorliegen berechtigter Interessen ausdrücklich die Möglichkeit der Befreiung von der Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht vorsieht. Aus diesen Vorschriften lässt sich nach Ansicht des Generalanwalts der Wille des europäischen Gesetzgebers erkennen, dass grundsätzlich auch wesentliche Zwischenschritte von der Definition der Insiderinformation umfasst sein sollen.

Anforderungen an hinreichende Wahrscheinlichkeit

Zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit vertritt der Generalanwalt die Auffassung, dass keine überwiegende oder hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts des zugrundeliegenden Ereignisses erforderlich ist. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit wird nach Auffassung des Generalanwalts vielmehr von zwei wesentlichen Faktoren bestimmt, nämlich der Eintrittswahrscheinlichkeit und den potenziellen Auswirkungen eines Ereignisses.

Das Maß der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses ist demnach in ein Verhältnis zu setzen zu den potenziellen Auswirkungen des Ereignisses auf den Emittenten. Jedes dieser beiden Kriterien kann dabei im konkreten Fall gegenüber dem anderen die größere Bedeutung gewinnen. Sofern eine Information aufgrund ihrer großen Bedeutung in hohem Maße geeignet ist, den Aktienkurs zu beeinträchtigen, reicht es schon aus, wenn der Eintritt des der Information zugrundeliegenden Ereignisses nicht unmöglich oder unwahrscheinlich, aber noch offen ist.

Grundsätzlich kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob eine Insiderinformation veröffentlicht werden muss, nach Ansicht des Generalanwalts auf eine ex-ante-Prognose an. Ex-post-Informationen können jedoch genutzt werden um zu prüfen, ob eine Information ex-ante kurserheblich war.

Fazit

Sollte der EuGH wie üblich dem Schlussantrag des Generalanwalts folgen, dürfte dies auch die Verwaltungspraxis der deutschen BaFin beeinflussen. Der Anwendungsbereich veröffentlichungspflichtiger Ad-hoc-Informationen wird durch das Urteil erweitert. Bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen, z.B. der internen Ausverhandlung von Vorstandsneubestellungen oder -amtsniederlegungen, sowie im Vorfeld vertraulicher Transaktionen wird nunmehr schon zu früheren Zeitpunkten vom Vorliegen veröffentlichungspflichtiger Ad-hoc-Information auszugehen sein. Damit wird insbesondere der Möglichkeit der Selbstbefreiung von der Ad-hoc-Mitteilungspflicht noch größere Bedeutung zukommen. Die BaFin lässt hier keine „stillschweigende“ Selbstbefreiung genügen, sondern verlangt für die Selbstbefreiung einen ausdrücklichen Beschluss der Gesellschaft, an dem mindestens ein Vorstandsmitglied beteiligt sein muss. Vorstand und Aufsichtsrat sowie Investor-Relations-Abteilungen betroffener Unternehmen sollten sich frühzeitig auf die zu erwartenden Rechtsänderungen einstellen.

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