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Diverse geopolitische Spannungen, internationale Handelskonflikte der USA mit Handelspartnern, infolgedessen vereinbarte und drohende Handelszölle (sogenannte Tariffs), volatile Lieferketten und Märkte: Insbesondere international agierende Unternehmen, der M&A-Markt und damit auch der W&I-Markt stehen vor neuen Herausforderungen. Wie reagieren ­Underwriter auf diese neuen Risiken? Von Dr. Heiko Bertelmann und Marcel Gießler

Die Weltwirtschaft befindet sich im Wandel: Militärische und wirtschaftliche Kriege bzw. Konflikte und protektionistische Maßnahmen beeinflussen zunehmend die Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende M&A-Transaktionen. Besonders im Fokus stehen ­dabei sogenannte Tariffs – also Zölle und handelspolitische Barrieren –, die nicht nur operative Geschäftsmodelle, sondern auch Businesspläne, Bewertungsannahmen und Risikoprofile von Zielgesellschaften ­erheblich beeinflussen können.

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Neue geopolitische Unsicherheiten – alte Prinzipien?

Zwar haben die EU und die USA in ihrem Handelskonflikt inzwischen eine Einigung erzielt, die US-Zölle in Höhe von grundsätzlich 15 % bei gleichzeitiger Zusage der EU zum Import von Energie (im Wert von 750 Mrd. USD) und Rüstungsgütern (in unbekannter Höhe) aus den USA sowie Investi­tionen in den USA (in Höhe von 600 Mrd. USD) vorsieht. Jedoch dürften auch Zölle von 15 % erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen nach sich ziehen. Darüber ­hinaus bleibt abzuwarten, ob und wie lange diese Einigung Bestand haben wird – insbesondere, inwieweit – aus Sicht der USA – die EU ihren Zusagen zufriedenstellend nachkommen wird.

Tariffs sind staatlich festgelegte Abgaben, die beim grenzüberschreitenden ­Warenverkehr erhoben werden – meist beim Import von Waren. Sie dienen dem Schutz der heimischen Wirtschaft, der Steuerung von Handelsströmen oder als politisches Druckmittel in internationalen Beziehungen. Sie können erheblichen Einfluss auf Unternehmen und ihre Lieferketten haben. Ausgangspunkt ist, dass Tariffs importierte Vorprodukte und Waren verteuern. Diese Teuerung stellt betroffene Unternehmen vor die Entscheidung, ­inwieweit sie (i) lokale Produktionsstandorte eröffnen oder ausbauen, (ii) ihre Lieferketten modifizieren oder (iii) die Mehrkosten entweder an ihre Kunden weiter­geben (soweit kommerziell möglich) oder selbst zulasten der Gewinnmarge tragen. Diese Problematik kann in jedem Glied ­einer globalen Lieferkette – vom Zulieferer eines Vorprodukts bis hin zum Endkunden – auftreten und damit Lieferketten stören oder unprofitabel machen. Die teilweise drastischen Ankündigungen und Umsetzungen von erheblichen Tariffs, wie sie seit dem Liberation Day in der jüngeren Vergangenheit immer häufiger anzutreffen sind, erschweren Investitionsentscheidungen, den Abschluss und die Durchführung von langfristigen Verträgen und führen zur Verunsicherung aller ­betroffenen Märkte und Marktteilnehmer.

W&I-Versicherungen sehen sich damit einem neuen Risikospektrum gegenüber. Underwriter waren in der jüngeren Vergangenheit bereits mit geopolitischen ­Risiken – z.B. der COVID-19-Pandemie und dem Ukrainekrieg – konfrontiert, die ­zumindest von der Mehrheit durch Standardausschlüsse vom Versicherungsschutz ausgenommen wurden. Die aktuellen und zentralen Fragen lauten: Wie ­gehen die W&I-Märkte mit dem Thema ­Tariffs um, und inwieweit lässt sich dieses volatile, schwer kalkulierbare Risiko im Rahmen von W&I-Policen versichern?

Betroffene Garantien

Zwar dürften Tariffs in der Regel unter die Steuerdefinition des entsprechenden Kaufvertrags fallen und damit unmittelbar von der Steuerfreistellung und ggf. den einschlägigen Steuergarantien betroffen sein. Jedoch wirken Steuerfreistellung und Steuergarantien rückblickend, während Tariffs zukünftige Kosten darstellen (und als ­solche nicht unmittelbar versichert sind), sodass Tariffs derzeit in der Regel kein ­unmittelbares erhöhtes Steuerrisiko ­begründen dürften – wohl aber perspektivisch für Tax Underwritings, spätestens 2026. Im Folgenden konzentrieren wir uns daher auf die Garantien (Business Warranties), für die Tariffs bereits heute ein ­erhöhtes Risiko im Legal Underwriting ­darstellen können.

Die wichtigsten Auswirkungen dürften Tariffs auf Garantien im Bereich „Material Agreements“ haben. Über den Kern­bereich hinaus, der die Abwesenheit von Vertragsverletzungen und erklärten oder angedrohten Kündigung garantiert, werden immer häufiger zudem auch Garan­tien versichert, die darauf abzielen, dass kein (wesentlicher) Kunde oder Lieferant eine Anpassung der Vertragskonditionen verlangt bzw. angekündigt hat, oder angekündigt hat, seinen Geschäftsumfang mit der Zielgesellschaft zu reduzieren; oder in Einzelfällen sogar noch weitergehend, dass keine Indizien oder Umstände bestehen, die dies erwarten lassen.

Die latente Gefahr, dass Tariffs eingeführt oder erhöht werden, dürfte bereits zu einer steigenden Anzahl solcher Verlangen und Ankündigungen bzw. Indizien oder Umständen geführt haben – und auch künftig führen. Wird ein solches ­Verlangen oder eine solche Ankündigung durch den Verkäufer nicht offengelegt, liegt eine Garantieverletzung vor, die eine Eintrittspflicht der W&I-Versicherung ­begründet.

Darüber hinaus können die Auswirkungen von Tariffs – abhängig von der Formulierung der Garantien im Einzelfall – auch eine Verletzung der „Ordinary-Course-of-Business-Garantie“ oder, soweit vorhanden, der „No-Material-Adverse-Effect-­Garantie“ darstellen.

Daneben ergeben sich durch die Auswirkungen von Tariffs komplexe und ­besonders streitanfällige Auslegungsfragen zu bestehenden Kunden- und Lieferantenverträgen, die im Rahmen der „Litigation-Garantien“ relevant werden können – insbesondere wenn diese (wie im Regelfall) nicht nur auf bereits rechtshängige oder (schriftlich) angedrohte Streitigkeiten ­beschränkt sind, sondern auch garantieren, dass keine Umstände bestehen, die zu Rechtsstreitigkeiten führen könnten.

Soweit die Verträge keine Regelung enthalten, welche Vertragspartei die Tariffs zu tragen hat, stellt sich bereits im ­Ausgangspunkt die Frage, zu wessen ­Lasten sich die Tariffs kommerziell auswirken. Selbst wenn eine solche vertrag­liche Regelung besteht, kann sich darüber hinaus die Frage stellen, ob die betroffene Vertragspartei ein Recht hat, entweder eine entsprechende Anpassung des Vertrags (insbesondere des Preises) zu ­verlangen oder sogar den Vertrag außerordentlich zu kündigen.

Zudem dürfte zumindest teilweise die Versuchung bestehen, hohe Tariffs durch eine alternative Gestaltung der Lieferkette zu umgehen. So hat beispielsweise die
US-Fluggesellschaft Delta Air Lines einen werksneuen Airbus A350 nicht direkt in die USA, sondern zunächst nach Japan und erst von dort in die USA überführt, um die ansonsten anfallenden Tariffs zu vermeiden. Hier stellt sich die Frage, inwieweit solche Umgehungsversuche recht­lich zulässig sind oder einen Verstoß ­gegen die „Compliance-with-Law-Garantie“ darstellen.

Außerdem begründet die – im aktuellen Markt inzwischen wieder regel­mäßig(er) anzutreffende – „Catch-All-­Garantie“ zur vollumfänglichen und aktuellen Informationsoffenlegung des Verkäufers über das Zielunternehmen ein ­abstrakt höheres Verletzungsrisiko.

Ausschluss von tariffsbezogenen Risiken?

Vor dem Hintergrund, dass das Risikoprofil einer Vielzahl von einzelnen Garantien ­erhöht sein kann und perspektivisch auch noch Steuerrisiken dazukommen, stellt sich die Frage: Werden Tariffs-Risiken zu ­einem weiteren Standardausschluss in den W&I-Versicherungspolicen führen – oder werden nur in besonders begründeten ­Einzelfällen breite oder maßgeschneiderte spezifische Ausschlüsse zur Anwendung kommen?

Andere Jurisdiktionen und Märkte ­haben tariffsbezogene Risiken bereits ­prominent aufgegriffen. Im Hinblick auf die W&I-Märkte in den USA, Kanada und Italien hat sich ein Standardausschluss (zumindest bislang) nicht durchgesetzt. Vielmehr werden diese Risiken im Rahmen des Underwritings sorgfältig und ­gezielt analysiert. Nur bei solchen Ziel­gesellschaften, bei denen ein spezifisches und erhöhtes Risiko identifiziert wird (z.B., weil die Zielgesellschaft den Großteil ihrer Waren in den US-Markt importiert), hat dies im Einzelfall einen Versicherungsausschluss zur Folge. Diese aktuelle Marktbeobachtung deckt sich damit, dass im Rahmen einer Befragung des Brokers Willis Towers Watson die interviewten ­Underwriter angaben, derzeit nicht zu ­beabsichtigen, einen generellen Ausschluss für tariffsbezogene Risiken einzuführen.

Tariffs und andere geopolitische Unsicherheiten stellen Underwriter vor neue Herausforderungen.

Für den deutschen W&I-Markt kommt hinzu, dass ein erheblicher Wettbewerbsdruck zwischen den Underwritern besteht. Dies hat in der jüngeren Vergangenheit bereits dazu geführt, dass – obwohl die Anzahl der geltend gemachten Ansprüche gestiegen ist – der Deckungsumfang nicht etwa gesunken, sondern im Gegenteil umfangreicher und versicherungsnehmerfreundlicher geworden ist. Vor diesem Hintergrund dürfte ein Standardausschluss ohne Prüfung des Einzelfalls kommerziell im deutschen und wohl auch europäischen Markt schwer durchsetzbar sein.

Fazit

Tariffs und andere geopolitische Unsicherheiten stellen Underwriter vor neue Herausforderungen. Ein genereller Deckungsausschluss erscheint gegenwärtig jedoch eher unwahrscheinlich. Vielmehr dürften diese Risiken im Rahmen des Under­writings zunehmend stärker in den Fokus rücken. Soweit bei einer Zielgesellschaft im Einzelfall ein spezifisches und erhöhtes Risiko identifiziert wird, erscheint ein individueller Ausschluss jedoch naheliegend und möglich. Ebenso ist vorstellbar, dass diese spezifischen Ausschlüsse zunächst breit und mit zunehmendem Erfahrungswert und Marktdruck im weiteren Verlauf enger formuliert werden. Die Antwort wird aber letztlich der dynamische und sehr ­anpassungsfähige deutsche W&I-Markt ­geben.

Autor/Autorin

Dr. Heiko Bertelmann

Dr. Heiko Bertelmann ist als Partner im Bereich Corporate / M&A bei der internationalen Kanzlei Norton Rose Fulbright tätig. Im Bereich W&I-Versicherungen berät er seit mehr als zehn Jahren Versicherer und MGAs bei Underwritings und Claims.

Marcel Gießler

Marcel Gießler ist als Associate im Bereich Corporate / M&A bei der internationalen Kanzlei Norton Rose Fulbright tätig. Im Bereich W&I-Versicherungen berät er Versicherer und MGAs bei Underwritings und Claims.