Bildnachweis: Wiener Börse.

Auch am österreichischen Kapitalmarkt hat Corona tiefe Spuren hinterlassen – Ein IPO hat es in diesem Jahr bisher noch nicht gegeben. Die Unternehmen sind aber optimistisch, dass ein Anknüpfen an das erfolgreiche IPO-Jahr 2019 bald wieder möglich ist. Zum einen geht die Wiener Börse mit Kandidaten professionell, unbürokratisch und serviceorientiert um; zum anderen hat sie mit direct market plus und direct market Segmente geschaffen, mit denen innovative und mittelständische Unternehmen einen einfacheren Weg zum Kapitalmarkt finden. Von Thomas Müncher

Der österreichische Kapitalmarkt ist überschaubar; hier sind in erster Linie die großen oder mittelständische einheimische Unternehmen zu finden. Deshalb sind die meisten Marktteilnehmer mit den einzelnen Aktien sehr gut vertraut. Die Wiener Börse unterstützt die Emittenten bei der Kapitalmarktbetreuung und bietet z.B. internationale Investorenkonferenzen unter ihrer Schirmherrschaft an.

Frischer Wind beflügelt Unternehmen

Die kompetente Betreuung und wirtschaftliche Aktivitäten im Heimatmarkt zählen deshalb zu den Hauptmotiven für die Börsennotierung im eigenen Land. „Als in Österreich verwurzeltes Logistikunternehmen war es die logische Wahl bei unserer Privatisierung im Jahr 2006“, bestätigt Harald Hagenauer, Head of Investor Relations der Österreichischen Post. Der Kapitalmarkt hat sehr geholfen, den Konzern auf Zukunftskurs zu bringen. „Ein frischer Wind, der uns im Unternehmen ständig fordert, besser zu werden“, skizziert Hagenauer die Vorteile. Bei einem heimischen Börsengang sei natürlich auch die Aufmerksamkeit der Medien bedeutend größer.

IPOAktien für Wachstumsstrategie nutzen

„Die Wiener Börse arbeitet mit einem der modernsten Handelsplattformen, sodass internationale Investoren jederzeit unsere Aktien handeln können“, benennt Pascal Schmidt, Chief Financial Officer bei Marinomed Biotech, einIPOen weiteren Pluspunkt. Die startup300 AG hatte vor ihrem Listing bereits einen Streubesitz von rund 210 Aktionären, sodass die Handelbarkeit der Aktie ein wichtiges Motiv für das Going Public darstellte. „Darüber hinaus bietet ein Listing die Möglichkeit, strukturierte Finanzinstrumente mithilfe des Kapitalmarkts zu nutzen und das weitere Wachstum bei M&A-Transaktionen mit Aktien als Akquisitionswährung zu unterstützen“, ergänzt startup300-Vorstand Michael Eisler.

Neues KMU-Segment mit Licht …

Mit direct market plus ist 2019 ein neues Segment der Wiener Börse ordentlich gestartet. „Generell bietet es KMU und Jungunternehmen eine gute Möglichkeit zur Kapitalaufnahme“, resümiert Dr. Daniel Folian, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Warimpex AG. Ein IPO stelle hohe Anforderungen an die Organisationsstruktur eines Unternehmens. „Ein potenzieller Vorteil von direct market plus sind deshalb die geringeren Zugangsvoraussetzungen und Folgepflichten“, betont Dr. Folian. Licht und Schatten sieht Schmidt von Marinomed: „Dass einige Unternehmen direct market plus genutzt haben, spricht für dieses Angebot.“ Emittenten dürfen hier aber nicht erwarten, eine Aktie für jeden Anleger zu werden. „Dafür sind die Regeln bewusst einfacher gehalten als im Prime-Segment“, gibt Schmidt zu bedenken.

… und Schatten

Kritischer sieht das KMU-Segment indes der startup300-Vorstand: „Für uns bietet der direct market plus zwar die Handelbarkeit der Aktie, jedoch ist nach anfänglich acht mit nur fünf Emittenten ein sehr bescheidener Markt entstanden, der mangels Liquidität und einem hohen Spread für wenige Investoren attraktiv ist.“ Erleichterungen wie der Wegfall der Pflicht, Jahresabschlüsse nach IFRS aufzustellen, könnten sich als Bumerang erweisen. „Um internationale Investoren zu finden, ist das eine zusätzliche Barriere“, kritisiert Eisler. Sehr positiv zu erwähnen sei jedoch, dass die Begleitung und Kundenorientierung durch die Wiener Börse als ausgesprochen gut und lobenswert wahrgenommen wird.

Unterstützungsmaßnahmen hilfreich

Die Coronapandemie hat die Marktbedingungen seit dem Frühjahr verschlechtert. Wegen der krisenbedingten Unsicherheiten sind die Finanzmärkte weltweit von starker Volatilität geprägt. In Wien war 2020 noch kein Börsengang mit öffentlichem Angebot (IPO) zu verzeichnen. Deshalb werden die Rufe nach „Hilfsmaßnahmen“ zunehmend lauter. „Es bleibt zu hoffen, dass die richtigen politischen Schlüsse gezogen werden und die Eigenkapitalaufnahme stärker gefördert wird“, regt Hagenauer an. Die aktuelle Lage ist für viele Unternehmen überaus schwierig; mit Fremdkapital allein wird diese Wirtschaftskrise nicht zu bewältigen sein. „Gerade in zyklischen Branchen benötigt es positive Impulse, um wieder nachhaltig erfolgreich zu sein“, weiß Hagenauer.

Aktienkultur noch nicht hinreichend entwickelt

Eine Initialzündung für das IPO-Geschäft wäre wohl auch, wenn sich mehr Privatanleger für Wertpapiere der Austro-AG interessieren würden. „Leider ist nur etwa jede fünfte Aktie an der Wiener Börse wirklich in Besitz der Österreicher“, beklagt Hannes Roither, Vice President Marketing der PALFINGER AG. „Das ist unserer Aktienkultur in Österreich geschuldet, die eigentlich nicht vorhanden ist.“ Bei PALFINGER beträgt der Streubesitzanteil 36%; dieser jedoch befindet sich überwiegend in Händen von institutionellen Investoren.

Finanzwissen bei Privatanlegern verbessern

Trotzdem bemüht sich der Hersteller von hydraulischen Hebe- und Ladevorrichtungen verstärkt um Privatanleger und wirbt auf zahlreichen Veranstaltungen um sie. „Seit unserem Börsengang im Juni 1999 sind wir regelmäßig auf der GEWINN-Messe in Wien und der Invest in Stuttgart“, berichtet Roither. „Außerdem besuchen wir noch den einen oder anderen Börsen- oder Geldtag in Österreich und Deutschland.“ Nach wie vor fehle aber in Österreich das erforderliche Finanzmarkt-Know-how, obwohl bereits einige Initiativen von der Wiener Börse zusammen mit Wirtschaft und Universitäten bzw. Fachhochschulen gestartet wurden. „Bis es allerdings in diesem Punkt zu einem Kulturwandel kommt, wird noch einige Zeit vergehen“, glaubt Roither.

Fazit

Die Alpenrepublik zeichnet sich durch eine solide Wirtschaftsstruktur mit großen Konzernen, mittelständischen Unternehmen und innovativen Start-ups aus. Ein weiterer Pluspunkt sind die engen Verbindungen zu Osteuropa. Nicht zuletzt kann Österreich mit einem hohen Lebensstandard punkten. Ein auch international attraktiver Kapitalmarkt ist unverzichtbar, damit der Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig bleibt und die heimische Wirtschaft wachsen kann. Mit ihren bisherigen Maßnahmen hat die Bundesregierung ein positives Umfeld für den Finanzplatz Wien geschaffen. Wegen der Baisse durch die Coronapandemie sind weitere Fördermaßnahmen nun aber wichtiger denn je: So könnte die Politik z.B. Unternehmen die Aufnahme von Eigenkapital erleichtern und die private Aktienanlage mit verschiedenen Maßnahmen fördern, so etwa der Befreiung von der Kapitalertragsteuer (KESt) nach einer Mindesthaltedauer.

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Autor/Autorin

Thomas Müncher

Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.