Im Übernahmeverfahren hat der Bieter zunächst die Mindestpreisvorschriften des WpÜG zu beachten. Doch auch die ­nachgelagerte Vereinbarung einer (höheren) Abfindung bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen (Beherrschungs- und ­Gewinnabführungsvertrag (BGAV), Squeeze-out etc.) kann nach der „STADA-Rechtsprechung“ des BGH mittlerweile ­mindestpreisrelevant sein und einen Nachbesserungsanspruch auslösen. Von Dr. Lars-Gerrit Lüßmann

Gewährt der Bieter während des Angebotsverfahrens eine höhere Gegenleistung, ist er verpflichtet, diese auch allen anderen Angebotsadressaten zu gewähren. Wenn der Bieter innerhalb eines Jahres nach Ende des Angebots außerhalb der Börse Aktien der Zielgesellschaft erwirbt und hierfür eine höhere Gegenleistung gewährt, ist er gegenüber den Aktionären, die das Angebot angenommen haben, zur Zahlung der Differenz verpflichtet. Dies gilt nicht für den Erwerb von Aktien im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung. Vereinbarungen, aufgrund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann, sind dem Erwerb in diesen Fällen gleichgestellt.

Laut BGH handelt es sich bei der Vereinbarung über die Zustimmung zu einem BGAV für den Fall einer bestimmten Abfindungshöhe sehr wohl um eine dem Erwerb gleichgestellte Vereinbarung. Diese setze entgegen der herrschenden Meinung in der Literatur nicht voraus, dass der Bieter die Übereignung verlangen könne. Wer aus der Vereinbarung berechtigt und verpflichtet ist, sei unerheblich. Damit erstreckt der BGH im Interesse eines allgemeinen Umgehungsschutzes den Anwendungsbereich faktisch auch auf den Fall einer dem Aktionär eingeräumten Put-Option.

Dieser Beitrag stammt aus dem kürzlich erschienenen GoingPublic 3/25.

Eine dem Erwerb gleichzustellende Vereinbarung liege bereits vor, wenn der Bieter die Bereitschaft zum Ausdruck bringe, eine bestimmte Gegenleistung für den Aktienerwerb zu erbringen. Dies treffe auch auf eine Vereinbarung zu, mit der sich der Bieter die Zustimmung eines Aktionärs zum BGAV gesichert hat, wenn eine bestimmte Mindestabfindung vereinbart wird. Anders als bei der gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer ­Abfindung komme hier eine freiwillige Selbstbindung des Bieters zum Ausdruck, sodass die Privilegierung für aktienrechtlich verpflichtende Abfindungen nicht eingreife.

Aus der Perspektive des Kapitalmarkts ist die Ansicht des BGH kritisch zu bewerten. Verallgemeinert führt sie zu einer unangemessenen Risikoverlagerung, da auch denjenigen Aktionären ein Nachbesserungsanspruch zusteht, die ihre Aktien bereits im Übernahmeverfahren angedient haben und das Risiko einer möglicherweise, weil aufgrund anderer Bewertungsmaßstäbe ermittelten, niedrigeren Abfindung unter dem BGAV nicht in Kauf nehmen wollten. Sie werden damit denjenigen Aktionären gleichgestellt, die im Vertrauen auf eine gesetzlich zu gewährende höhere Abfindung (intrinsischer Wert) in der Gesellschaft verblieben und in der Hoffnung auf Synergien ein höheres (unternehmerisches) Risiko eingegangen sind.

Die weite Auslegung des BGH führt zu einer dogmatischen Vermischung zweier unterschiedlicher Regelungssysteme: Während das Übernahmerecht auf Transparenz und Gleichbehandlung zielt, dient das Konzernrecht dem Schutz vor unangemessener Einflussnahme und struktureller Benachteiligung. Mit der Überdehnung kapitalmarktrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsätze werden die strukturelle Vereinheitlichung und das Heben von Synergien im Konzern erschwert: Transaktionen werden verteuert, Planbarkeit und ­Rechtssicherheit sinken. Ein weiterer Hemmschuh für das Zustandekommen des wichtigen „Market for Corporate Control“.

Allein weil im BGH-Fall die ­Abfindungsvereinbarung vor Abschluss des Übernahmeverfahrens getroffen wurde, sodass der ­Paketaktionär frühzeitig von der Unternehmensbewertung unter dem BGAV profitieren, sein Risiko begrenzen und sich so nicht schutzwürdige Arbitragemöglichkeiten eröffnen konnte, mag die Entscheidung im Einzelfall gerechtfertigt sein.

Autor/Autorin

Dr. Lars-Gerrit Lüßmann

Dr. Lars-Gerrit Lüßmann ist ­Partner für Gesellschaftsrecht und M&A und Co-Lead of Germany bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Gowling WLG. Er berät schwerpunktmäßig im Aktien- und ­Kapitalmarktrecht, insbesondere bei öffentlichen Übernahmen und Takeover Defence.