Bildnachweis: WS Studio 1985_AdobeStock, EY.

Die weltweiten IPO-Aktivitäten sind weiter zurückgegangen – trotz der haussierenden Aktienmärkte. Dr. Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY, gibt einen Überblick über die aktuellen Tendenzen im Emissionsgeschäft. Von Gian Hessami

GoingPublic: Herr Steinbach, das Marktumfeld für Börsengänge könnte eigentlich kaum besser sein. Große Aktienindizes wie S&P 500 (USA) oder DAX (Deutschland) haben in diesem Jahr Rekordstände erreicht. Für Unternehmen müsste es daher attraktiv sein, in diesem Jahr an der Börse Geld einzusammeln. Die Zahlen zeigen jedoch, dass sich verhältnismäßig wenig Firmen aufs Parkett getraut haben. Warum ist das so?

Quelle: EY

Steinbach: Nach einem guten Jahresauftakt hat seit Beginn des zweiten Quartals die Dynamik aus geopolitischen Spannungen und Zollkonflikte die Märkte in Atem gehalten. Dies verdeutlichen die hohen Volatilitätsniveaus und gestiegene Unsicherheiten, die eine Bremsspur in der IPO-Aktivität hinterlassen haben. Gerade Europa ist hier besonders exponiert durch die Abhängigkeit zu wichtigen Exportmärkten wie USA und China. Viele Börsenkandidaten haben daraufhin den IPO zeitlich verschoben oder erstmal abgesagt.

Werbung

Das von Ihnen entwickelte IPO-Barometer zeigt, dass die Zahl der Börsengänge in Europa in der ersten Jahreshälfte um 24 % gegenüber dem Vorjahr auf 51 Platzierungen gesunken ist. Das Emissionsvolumen erreichte lediglich 5,9 Mrd. USD – im gleichen Vorjahreszeitraum waren es 14,7 Mrd. USD gewesen. Was muss sich ändern, dass sich das IPO-Sentiment in diesem Jahr deutlich aufhellt?

Wir glauben, dass sich das IPO-Sentiment in der zweiten Jahreshälfte bei Investoren wieder aufhellt. Möglicherweise hat der Markt dann mehr Klarheit über Lösungen in den Zollkonflikten und zu geopolitischen Entwicklungen. Rückenwind geben der Rückgang der Zinsniveaus und die hohen Indexstände. Investoren sind jedoch selektiver geworden. Neben einer attraktiven Equity Story und einem erfahrenen Management gewinnen die Resilienz des Geschäftsmodells und eine gute Vorbereitung – kurz IPO-Readiness – an Bedeutung. So kann man flexibel offene IPO-Fenster in einem dynamischen Umfeld besser nutzen.

Quelle: EY (li), Dealogic (re)

Wie sieht es mit dem deutschen IPO-Markt aus? Nicht nur der DAX, auch die Indizes aus der zweiten (MDAX) und dritten (SDAX) Reihe sind in diesem Jahr hervorragend gelaufen. Nur drei Firmen sind bislang aber aufs Parkett gegangen. Pfisterer, Tin Inn und Innoscripta. Welche IPO-Aussichten gibt es Ihrer Einschätzung nach für die zweite Jahreshälfte?

Die Pipeline ist gut gefüllt und diversifiziert. Mit drei Börsengängen liegen wir bisher unter den Markterwartungen von 10 bis12 für 2025. Unter den Börsenaspiranten sind Unternehmen aus Portfolien von Private Equity, Abspaltungen von multinationalen Unternehmen, Familienunternehmen, Gründer-geführte Unternehmen und Unternehmen aus dem Mittelstand. Wann diese Börsenneulinge tatsächlich die heiße Phase der Vermarktung und Platzierung von Aktien starten, hängt von vielen Faktoren ab. Es kommt eben auf das richtige Timing an. Und dazu zählen neben dem Marktsentiment auch eine nachvollziehbare Motivation des Schritts an die Börse und das Aufzeigen von Wertsteigerungspotenzialen nach dem erfolgreichen IPO.

Welche regionalen Unterschiede gibt es? Und welche Branchen stehen im IPO-Fokus?

Es gibt deutliche Unterschiede in der Entwicklung der regionalen IPO-Aktivität. Derzeit erholt sich Asien als größter regionaler IPO-Markt, weiterhin gestützt von wirtschaftlichem Wachstum und Finanzierungsbedarf. In den USA zeigt sich ein gemischtes Bild mit Zuwachs an IPOs, aber einem Rückgang an Volumen. Bemerkenswert ist: 58 % der US-IPO-Aktivität stammt von Cross Border IPOs und primär asiatischen Unternehmen. Man profitiert vom internationalen Image als Primärmarkt und ist damit unabhängiger von nationalen IPOs. In der Gunst der Investoren liegen derzeit die folgenden Branchen: Technology, Advanced Manufacturing, Hospitality & Construction, Retail, Mobility und Life Sciences.

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch, Herr Dr. Steinbach.

Das Interview führte Gian Hessami


Zum Interviewpartner

Dr. Martin Steinbach ist Partner bei EY und Head of IPO and Listing Services in Deutschland. Außerdem ist er EY EMEIA (Europe, Middle East, India & Africa) IPO Leader. Steinbach konzentriert sich bei seiner Tätigkeit auf ganzheitliche IPO Readiness Beratung, Boardroom Advisory und Investor Relations Implementierung. Seine Erfahrung vereint unterschiedliche Disziplinen und Perspektiven: die eines Investors, Emittenten, Beraters ebenso wie die einer Bank, eines Eigenkapital aufnehmenden Unternehmens und einer Börse.

Autor/Autorin

Gian Hessami
Finanzjournalist at  | Website

Gian Hessami ist freiberuflicher Finanzjournalist und schreibt für GoingPublic Beiträge rund um Aktien und den Kapitalmarkt. Dabei stehen die Perspektive des Anlegers sowie die Chancen und Risiken der Investments im Vordergrund. Mit den Finanzmärkten beschäftigt sich der gelernte Zeitungsredakteur bereits seit 2004. Bei Investments fokussiert er sich auf Anlageklassen wie Aktien, Anleihen und Rohstoffe. Darüber hinaus hat er sich auf Derivate wie Zertifikate und Hebelprodukte spezialisiert.