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Das Interesse von Privatanlegern am Börsengeschehen hält sich seit 2020 auf seinem höheren Niveau. Vor allem junge ­Menschen interessieren sich zunehmend für Wertpapieranlagen. Die „Generation Aktie“ tickt aber anders als die bislang engagierten Investoren.*

Nathalie Richert, Baader Bank

Die jüngsten Zahlen des Deutschen Aktieninstituts (DAI) belegen den Trend: Viele Erwachsene unter 30 Jahren haben auch 2023 zum ersten Mal eine Aktie, einen Fonds oder einen ETF gekauft. Insgesamt waren dadurch zum Jahresende 4,7 Millionen Menschen direkt in Aktien investiert. Fast jeder fünfte Deutsche ab 14 Jahren ist mittlerweile über die verschiedenen Wertpapiere am Aktienmarkt dabei; vor zehn Jahren war es nur jeder Siebte. Positiv aus Sicht von Unternehmen: Mehrere Studien besagen, dass das wichtigste Anlageziel der jungen Generation ein langfristiger Vermögensaufbau (unter anderem für die Altersvorsorge) sei – ohnehin die Grundidee eines Aktieninvestments.

Eine sehr erfreuliche Entwicklung, die bei vielen Firmen aber auch ein Umdenken im Umgang mit (potenziellen) Investoren erfordert. „Die Aktienkultur in Deutschland hat sich in den vergangenen drei Jahren stark verändert“, erklärt Nathalie Richert von der Baader Bank. Durch neue, digitale Plattformen ist das Investieren zugänglicher gemacht worden. Anleger haben zudem mehr Möglichkeiten, sich breit und über Geografien hinweg zu informieren. „Privatanleger sind aktiver geworden“, fasst die Börsenspezialistin zusammen.

Quelle: Deutsches Aktieninstitut

Socials im Fokus der Kommunikation

Die am häufigsten genutzte Informationsquelle sind dabei die sozialen Medien. Kurz, prägnant, präzise und multimedial werden Informationen dort aufbereitet. Audiovisuelle Formate wie Videos, Podcasts und Infografiken sind im Vergleich zu klassischen Texten deutlich beliebter. Eine ­bedeutende Rolle haben mittlerweile die sogenannten Finfluencer eingenommen. Der Kontakt zu den Unternehmen bleibt hingegen weitestgehend aus. Einer unter anderem vom DAI durchgeführten empirischen Untersuchung zufolge wird zwar die Zuverlässigkeit der IR-Angebote geschätzt, der hohe subjektive Aufwand und die Angst vor fehlender eigener Kompetenz verhindern oft aber die Kontaktaufnahme.

Konzerne wie Bechtle oder die Deutsche Telekom haben sich vor diesem Hintergrund dazu entschieden, proaktiv auf die neue Zielgruppe zuzugehen. Beide ­Unternehmen veranstalten dafür z.B. ­spezielle Events für Privatanlegende und nehmen dabei auch gezielt professionell arbeitende Finfluencer mit ins Boot. „Wir wollen einen noch besseren Zugang zu den Privatanlegenden finden und ihnen einen Austausch auf Augenhöhe bieten“, so Christoph Greitemann aus dem IR-Team der Deutschen ­Telekom. Die Bonner haben mit 1,3 Millionen Privatanlegenden die mit Abstand meisten in Deutschland, aber ­außerhalb der Hauptversammlungszeit kommen auf den herkömmlichen Wegen wie Telefon oder ­E-Mail trotzdem nur
ca. 20 Privatanlegende aktiv auf die
IR-Abteilung zu. „Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie sind“, sagt ­Greitemann, der mit seinem Team deshalb intensiv an den passenden Formaten vor ­allem für junge Leute arbeitet.

Luft nach oben

Solche Aufgaben warten auch auf Unternehmen, die sich bei ihrem Börsengang dafür entscheiden, die Gruppe der privaten Aktionäre verstärkt mit ins Boot zu nehmen. Bislang war dies eher die Ausnahme. Der Fokus der Börsenneulinge lag überwiegend auf den Institutionellen. Bei den größeren IPOs der jüngeren Vergangenheit (thyssenkrupp nucera, IONOS Group, Porsche) erhielten die Kleinanleger bis zu 7,7% der zugeteilten Aktien. Das passt zu bisherigen Erfahrungswerten, wonach Investmentbanken je nach Emissionsgröße bislang maximal 10% für diese sogenannten Retailkunden vorsehen. Richert erkennt hier jedoch eine Weiterentwicklung. „Natürlich bleiben institutionelle Investoren die wichtigste Basis – jedoch sehen wir sowohl bei IPO-Kandidaten als auch bei ­gelisteten Unternehmen, dass ein gestiegenes Interesse besteht, die Zielgruppe Retail­investoren aktiver anzusprechen bzw. die Ansprache auszubauen.“ Schon beim Börsengang sei es aus ihrer Sicht sinnvoll, die Zielgruppe der Retailanleger bewusst in die Überlegungen miteinzubeziehen sowie die Platzierungskanäle um Onlinebroker oder Neobroker zu erweitern.

Hilfreich könne dabei das Tool „DirectPlace“ sein, die Zeichnungsfunktionalität direkt über die Deutsche Börse. Damit können Unternehmen beim IPO einen breiten Investorenkreis ansprechen. Neben Banken, Versicherungen und Investmentfonds werden gezielt Retailinvestoren, Family Offices und Vermögensverwalter eingebunden. Die Nach­frage von Privatanlegern ist komplementär zu der institutionellen Nachfrage. Darüber hinaus kann eine bedeutende Allokation an Privatanleger auch eine höhere Liquidität im späteren Börsenhandel gewährleisten. Zudem steigern die Börsen­neulinge den ­Bekanntheitsgrad ihres Unternehmens am Kapitalmarkt sowie in der breiten Öffentlichkeit – ein Punkt, der in Zeiten des Fachkräftemangels und beim Wettbewerb um ­Visibilität nicht unterschätzt werden sollte. Deshalb lädt z.B. Bechtle zu seiner jähr­lichen Hauptversammlung immer auch Schulklassen aus der Region ein, die im ­Anschluss die Möglichkeit haben, sich über die Karrieremöglichkeiten bei dem Konzern zu informieren.

2023 übersteigt die Zahl der Aktiensparerinnen und -sparer mit 12,3 Mio. im vierten Jahr in Folge die 12-Mio.-Marke. Der Rückgang von 570.000 im Vergleich zum Vorjahr ändert nichts am langfristigen Trend nach oben. Quelle: Deutsches Aktieninstitut

Die Aktie als Kommunikations­instrument

Generell gilt für die Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern, dass die aus Unternehmenssicht wünschenswerte Identifikation mit dem Arbeitgeber durch ein Listing an der heimischen Börse und die damit verbundene transparente Berichterstattung deutlich gestärkt werden kann. Als ­direkte Aktionäre bieten Privatanlegende den Unter­nehmen ihrerseits Vorteile. Gerade in kritischen Zeiten können sie durch ihr zumeist loyales und oftmals auch antizyklisches Agieren zu einer Beruhigung volatilen Markt­geschehens beitragen.

So sorgt diese Klientel in vielen Fällen auch für die nötige Liquidität im Handel. Vor allem für kleinere Unternehmen ist dies ein wichtiger Punkt, denn im KMU-Segment machen die Privaten einen stetig wachsenden Anteil am Handelsvolumen aus. In Frankreich etwa sind Kleinanleger laut Guillaume Morelli von der Euronext für bis zu 50% des Handelsvolumens von KMU verantwortlich.

Wie gut es mit den Privaten als Aktionären funktionieren kann, zeigt auch das Beispiel der Nasdaq Nordic, unter deren Dach sich die Börsen Skandinaviens und des Baltikums angesiedelt haben. Mehrere Dutzend Unternehmen jährlich bewerkstelligen hier ihren Börsengang, vor allem kleinere. Dabei stellen Privatanleger bis zur Hälfte der Investments und des Handelsvolumens. Unterstützt wird dieser Trend vonseiten der Politik, die durch verschiedene Maßnahmen für ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit an Aktieninvestments gesorgt hat. In Schweden etwa sind Arbeitnehmer dazu verpflichtet, 2,5% ihres Bruttoeinkommens für ihre private Altersvorsorge aufzuwenden.

Fazit

Auch hierzulande hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, in Deutschland ausreichend privates Kapital für die Altersvorsorge zu mobilisieren. Das Zukunftsfinanzierungsgesetz soll die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür verbessern. Doch auch ohne politische Anreize sind Privatanlegende bei uns in Deutschland zunehmend offener gegenüber einem Direktinvestment. Diese Chance gilt es schon bei der Vorbereitung eines angedachten oder konkret geplanten Börsengangs zu nutzen. Dafür müssten die Unternehmen ihre Kommunikationskanäle frühzeitig (auch) auf diese Zielgruppe ausrichten.


*) Der Beitrag basiert auf einem Artikel der Deutsche Börse AG vom November 2023.

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