Dr. Alexandra Tretter, Partnerin, GRAF KANITZ, SCHÜPPEN & PARTNER

Nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot sind dem Bieter, dem Aktien in Höhe von mindestens 95% des Grundkapitals gehören, auf seinen Antrag die übrigen stimmberechtigten Aktien gegen Gewährung einer angemessenen Abfindung durch Gerichtsbeschluss zu übertragen. Das Gesetz enthält Vorgaben zum Angebotspreis, insbesondere muss dieser mindestens dem gewichteten durchschnittlichen Börsenpreis der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung entsprechen. Erwirbt der Bieter aufgrund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90% des vom Angebot betroffenen Grundkapitals, wird nach § 39a Abs. 3 WpÜG vermutet, dass der Übernahmepreis als angemessene Abfindung für den Squeeze-out anzusehen ist (sog. Markttest). Ein Spruchverfahren findet nicht statt.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG schützt Art. 14 Abs. 1 GG das Anteilseigentum, und es ist für den Ausschluss von Minderheitsaktionären erforderlich, dass diese voll entschädigt werden und hinsichtlich der Wertfestsetzung gerichtlichen Rechtsschutz erlangen können.

Die Beschwerdeführer waren Aktionäre der Deutsche Hypothekenbank AG, deren Aktien Gegenstand eines freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebots der NordLB waren. Die angebotene Gegenleistung betrug 36,09 EUR je Aktie und lag damit um fast 6 EUR über dem gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs der Aktie während der letzten drei Monate vor Veröffentlichung. Das Übernahmeangebot wurde von 97,46% des Grundkapitals angenommen, darunter 44,34% sog. Irrevocable Undertakings (vor dem Angebot eingegangene Verpflichtungen von Großaktionären).

Das rechtliche Problem lag insbesondere bei der umstrittenen Frage, ob und mit welchen Mitteln die Vermutung des § 39a Abs. 3 WpÜG widerleglich ist. Im Streitfall führte eine Unternehmensbewertung nach der Ertragswertmethode zu einem um ca. 10% höheren Abfindungswert. Das LG hatte in verfassungskonformer Auslegung eine widerlegliche Vermutung angenommen. Das OLG entschied, dass selbst bei Annahme einer widerleglichen Vermutung diese nur mit Rügen gegen die Aussagekraft des Markttests erschüttert werden könne, nicht aber mit systemwidrig auf die Ertragswertmethode gestützten Rügen.

Entscheidung des BVerfG
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführer sind durch die Zurückweisung des Nachweises eines höheren Abfindungsbetrags mit einer anderen Bewertungsmethode nicht in ihren Grundrechten verletzt. Es hat dabei im Wesentlichen angeführt, dass

  • verfassungsrechtlich nur sichergestellt sein muss, dass der Verkehrswert nicht unterschritten wird und dieser durch jede geeignete aussagekräftige Methode, die gerichtlich überprüfbar ist, bestimmt werden kann;
  • es kein verfassungsrechtliches Gebot gibt, dass der Wert stets mit der Ertragswertmethode festzustellen ist, und auch nicht, dass die Abfindung nach dem    Meistbegünstigungsprinzip zu berechnen wäre;
  • gesichert ist, dass die Aktionäre mindestens den Börsenwert der Aktie erhalten und dass insbesondere durch das 90%-Quorum der Verkehrswert belegt sei;
  • effektiver Rechtsschutz auch ohne Spruchverfahren durch das Erfordernis einer gerichtlichen Entscheidung gegeben ist.

Fazit
Das BVerfG hat es sich einfach gemacht und sich darauf zurückgezogen, dass die Auslegung des § 39a Abs. 3 WpÜG durch das OLG den verfassungsrechtlichen Erfordernissen gerecht wird. Zuzugeben ist, dass für die Qualifizierung der Vermutungsregelung der EuGH zuständig ist. Richtigerweise ist die Regelung richtlinien- und damit verfassungskonform als widerleglich anzusehen. Hierzu dürfte auch das BVerfG tendiert haben, indem es pragmatisch feststellt, dass effektiver Rechtsschutz durch die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit gegeben ist.

Das BVerfG bestätigt das OLG darin, dass die Vermutung nicht durch ein Bewertungsgutachten angegriffen werden kann. Die mit unsicheren Prognosen arbeitende Ertragswertmethode soll nicht zu „richtigeren Ergebnissen“ führen. Vom BVerfG nicht erörtert wurde, ob die Vermutungsvoraussetzungen gegeben waren und Irrevocable Undertakings in die Berechnung der 90%-Schwelle einzubeziehen sind.

Dieser Artikel ist erschienen im HV Magazin 4/2012.

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