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Der Gesetzgeber bietet seit dem 21. Juli 2019 Aktiengesellschaften die Möglichkeit, eine Bezugsrechtsemission bis zu ­einem Volumen von 8 Mio. EUR mit einem Wertpapier-Informationsblatt (WIB) durchzuführen.1 Eine erhebliche ­Erleichterung – zumal auf einen aufwendigen Wertpapierprospekt verzichtet werden kann. Ob allerdings ein Mehrbezug von Aktien – also der Bezug von Aktien über das gesetzliche Bezugsrecht hinaus – im Rahmen einer Bezugsrechtsemission durch ein WIB abgewickelt werden kann, entscheidet die BaFin. Die Verwaltungspraxis ist dabei nicht einheitlich.

Die Bezugsrechtsemission ist nicht nur die aktionärsfreundlichste Form der Eigenkapitalbeschaffung von Aktiengesellschaften, da sie allen ­Aktionären eine Teilnahme an der Kapitalmaßnahme einräumt, sondern auch für ­Emittenten und Aktionäre gleichsam ­angenehm.

Bedeutung von Bezugsrechts­emissionen und des Überbezugs

Zunächst ist ein Bezugsangebot praktisch für alle Emittenten, die ihre Aktien in die Girosammelverwahrung einbezogen haben. Das Verfahren ist standardisiert. Aktionäre werden automatisch über ihre Depot­banken über ein im Bundesanzeiger veröffentlichtes Bezugsangebot informiert. Die Zeichnung neuer Aktien ist denkbar einfach: Aktionäre müssen nur die Anzahl an neuen Aktien, die sie beziehen möchten, in ein Formular eintragen und es ihrer ­Depotbank zurücksenden.

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Die Banken sammeln die Aufträge ihrer Kunden und melden am Ende der Bezugsfrist die Anzahl gezeichneter Aktien der Emissionsbank, die für die Emittentin als Bezugsstelle tätig ist. Die Depotbanken überweisen das Geld an die Bezugsstelle. Nach Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister und Gutschrift der ­Globalurkunde auf dem Konto der Clearstream Banking AG liefert die Bezugsstelle die Aktien an die Depotbanken, die ­wiederum ihren Kunden eine Wertpapierabrechnung für die Zeichnung der jungen Aktien erstellen.

Überbezug absorbiert zusätzliches Angebotsvolumen

In der Praxis werden am Ende nicht alle angebotenen Aktien durch die Aktionäre gezeichnet und ein Teilemissionserlös bleibt offen (Shortfall). Um diese Lücke zu schließen, eignen sich verschiedene­ ­Strategien. Eine Variante ist die Gewährung eines Mehrbezugs, auch Überbezug genannt. Aktionäre werden im Rahmen des Bezugsangebots aufgefordert, über ihre Quote hinaus einen weiteren Auftrag zur Zeichnung neuer Aktien über ihre ­Depotbank einzureichen (die Bezugs­anmeldung wird um eine Zeile erweitert). Die Praxis zeigt, dass ein Überzug eine ­bedeutende zusätzliche Nachfrage nach Aktien generiert.

Dieser Umstand ist für Emittenten und Aktionäre gleichsam charmant. Für Emittenten bedeutet der Mehrbezug keinerlei zusätzlichen Aufwand – und er ist prinzipiell kostengünstig, da keine neuen Investoren eingeworben werden müssen, für die eine Selling Fee an die begleitende Emissionsbank zu zahlen ist. Aktionäre können ihre Quote an der Gesellschaft zu einem oftmals attraktiven Bezugspreis ausbauen. Sollte das Bezugsrecht selbst nicht handelbar sein, so sind Aktionäre oftmals mit einem Bezug zusätzlicher ­Aktien in der Lage, einen Mehrwert zu ­erzielen. Die Praxis zeigt zudem, dass eine Überbezugsvariante den Aktienkurs vor einer Kapitalmaßnahme steigen lässt – ein weiterer Effekt, eine Kapitalerhöhung leichter zu platzieren.

Ungleichbehandlung

In den Jahren 2019 und 2020 wurden von der BaFin 150 WIBs gebilligt, darunter zahlreiche Bezugsrechtsemissionen. Eine Auswertung von WIBs der vergangenen zwei Jahre hat ergeben, dass die BaFin auch Kapitalmaßnahmen mit Überbezug in diese Regelung einbezieht, siehe z.B. die Bezugsrechtsemissionen der amalphi AG2 (2019) und der Spielvereinigung ­Unterhaching Fußball GmbH & Co. KGaA3 (2020).

Einer Recherche des Autors zufolge hatte jedoch eine ganze Reihe weiterer Emittenten einen Mehrbezug bei der ­BaFin im Rahmen der WIB-Gestattung beantragt. Die BaFin hatte diesen allerdings ­abgelehnt.

Nachfrage Bezugsangebote ohne Überbezug und mit Überbezug

Auf Nachfrage teilte die BaFin im ­September 2021 mit, dass kein Rechts­anspruch auf den Überbezug bestehe. Die BaFin äußerte sich weiter, dass künftig kein Überbezug mehr genehmigt werden solle. Im Oktober 2021 wurde jedoch entgegen der Aussage eine weitere Bezugsrechtsemission mit Überbezug genehmigt (siehe OAB Osnabrücker Anlagen- und ­Beteiligungs-Aktiengesellschaft).4

Gesetzestext

Der Gesetzestext selbst unterscheidet nicht zwischen Bezug und Überbezug und spricht nur von Wertpapieren, „die den Aktionären im Rahmen einer Bezugsrechts­emission angeboten werden“. Auch die ­Gesetzesbegründung unterscheidet nicht zwischen Bezug und Überbezug.

Die Argumente, die man gegen eine ­Anwendung des § 6 WpPG und damit ­gegen die Einzelanlageschwellen für nicht-qualifizierte Anleger ins Feld führen könnte, haben auch bei einem Überbezug ihre ­Berechtigung. So hatte die Gesetzes­begründung argumentiert, dass die Zuteilung von Bezugsrechtsemissionen an ­bestehende Aktionäre in einer Weise vorgenommen werde, in der eine Anlageberatung oder Anlagevermittlung regelmäßig nicht stattfindet, bzw. zu Interessenkonflikten führen könne. Auch seien die ­Aktionäre weniger schutzbedürftig als ­andere potenzielle Anleger, da sie Auskunftsrechte über Angelegenheiten der Aktiengesellschaft hätten.

Der Grundgedanke der Kapitalmarkt­union, die hinter nahezu allen gegenwär­tigen gesetzlichen Erleichterungen steht und insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt ermöglichen und vereinfachen will, spricht hier für eine weite Auslegung der Norm.

Aktuell führt die Europäische Kommission eine Konsultation zum sogenannten Listing Act durch, in der eine Vielzahl von weiteren Erleichterungen für das Listing von KMU diskutiert werden. Europäisch geht die Tendenz klar zu mehr Erleich­terungen beim Kapitalmarktzugang für kleine und mittlere Unternehmen. Eine enge Auslegung beim Überbezug geht ­jedoch in eine andere Richtung und ist nicht sachgerecht.

Nachteile

Firmen sind oftmals auf die generierte Nachfrage des Überbezugs angewiesen. Dies betrifft Kapitalmaßnahmen mit einer erheblichen Erhöhung des Aktienkapitals. Ohne einen standardisierten Überbezug können die nicht gezeichneten Aktien nicht über den Interbankenverkehr via die Bezugsstelle abgewickelt werden. Dies ­bedeutet, dass diese Aktien im Rahmen ­einer Privatplatzierung angeboten werden. Dazu müssen Aktionäre separate Zeichnungsscheine manuell ausfüllen und im Original an die Emittentin senden ­sowie den Zeichnungsbetrag anweisen.

Das kostet Zeit. Einmal muss das Ende der Bezugsfrist abgewartet werden, damit man weiß, wie viele Aktien man anbieten kann, und im Anschluss muss man vorsichtig bei den Aktionären nachfragen, ob sie weitere Aktien zeichnen wollen. Die ­notarielle Anmeldung erfolgt sodann nicht mit einem Zeichnungsschein der ­Bezugsstelle, der das gesamte Emissionsvolumen umfasst, sondern mit einer Vielzahl an Zeichnungsscheinen. Ein solches alternatives Vorgehen ist ineffizient, zeitraubend, fehleranfällig und verschiebt die HR-Eintragung um einige Wochen.

Fazit

Eine unterschiedliche Verwaltungspraxis der BaFin benachteiligt Emittenten, denen der Überbezug verwehrt wird. Es ist nicht zu begründen, warum der Überbezug versagt wird. Das Argument des Anlegerschutzes greift nicht. Soll ein Aktionär etwa ­geschützt werden, der beabsichtigt, am Überbezug teilzunehmen? Es handelt sich dabei um seine eigene Entscheidung: Er ­bestimmt, welche Anzahl an Aktien er zeichnet. Allerdings sollte dies in einem einheit­lichen Verfahren geschehen. Ein manueller Überbezug als Privatplatzierung benachteiligt die meisten Aktionäre, denen diese Möglichkeit nicht geboten wird, die aber gerne zeichnen würden. Die Versagung der Gestattung des Über­bezugs stellt also eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes von Emittentin und ihren Eigen­tümern dar. Eine einheitliche Vorgehensweise zugunsten des Überbezugs sollte ­daher baldmöglichst Praxis werden.

1) Möglich wurde dies durch eine Gesetzesänderung mittels des Gesetzes zur weiteren Ausführung der EU-Prospektverordnung und zur Änderung von Finanzmarktgesetzen.
2) www.amalphiag.com/index.php/newsreader/wertpapier-informationsblatt-nach-3a-wertpapierprospektgesetz.html
3) www.spvggunterhaching.de/assets/Brse/WpPGUnterhachingWertpapapier-Informationsblatt.PDF
4) https://oab-ag.de/pflichtmitteilungen/

Autor/Autorin

Dr. Andreas Beyer

Dr. Andreas Beyer ist Small-Cap-Experte und publiziert im GoingPublic Magazin seit vielen Jahren Standpunkte, Kommentare und Fachartikel.