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Der Gesetzgeber muss genaue Instruktionen geben, dann können auch kleinere und mittlere Unternehmen die Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) der EU umsetzen, fordert Claudia Herzog-Kamensky. Ein Gespräch mit der neuen ESG-Spezialistin bei Kirchhoff Consult über Aufforderungen, Anforderungen und 1.144 Datenpunkte in den Entwürfen der European Sustainability Reporting Standards, die Emittenten viel abverlangen.

GoingPublic: Frau Herzog-Kamensky, ESG, CSRD, Nachhaltigkeitsberichterstattung, das sind gerade für viele kleinere Unternehmen erst einmal Schlagworte, mit denen sie sich schwertun, diese mit Leben zu erfüllen. Wie erkennen Sie, auf den ersten Blick betrachtet, ein Unternehmen, das beim Thema ESG gut bzw. noch nicht gut aufgestellt ist?

Herzog-Kamensky: Zunächst schauen wir, ob in einem Unternehmen bereits gewisse Organisationsstrukturen für Nachhaltigkeit vorhanden sind. Wenn ja, dann ist davon auszugehen, dass das Thema in der Organisation Fuß fassen und Eingang in die strategische Ausrichtung finden wird. Entsprechende Maßnahmen können dann Schritt für Schritt umgesetzt werden. Die Keimzelle ist häufig eine Person im mittleren Management, die schon mit Aufgaben des betrieblichen Umweltschutzes betraut ist und das Thema ESG dann ganzheitlich operationalisieren soll. Was allerdings oft fehlt, sind interdisziplinär besetzte Entscheidungsgremien und die Verankerung der Nachhaltigkeit auf höchster Führungsebene.

Mit der CSRD wird eine verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung innerhalb des Lageberichts nun bis 2026 für bis zu 15.000 kapitalmarktorientierte Unternehmen eingeführt. Alle müssen dieselben Anforderungen erfüllen. Da wird es schwer, sich auf diesem Feld durch gute Performance zu profilieren, oder? 

Zum einen gibt es die obligatorischen Themen, z.B. Klimaschutz oder Menschenrechte, die alle berichtspflichtigen Unternehmen offenzulegen haben. Zum anderen gibt es aufgrund unterschiedlicher Geschäftsmodelle und der damit verbundenen Wesentlichkeit von Themen eine Varianz bei Umfang und Detailtiefe der Berichterstattung. Qualitative Unterschiede werden sich vor allem darin zeigen, wie sorgfältig ein Unternehmen seine Hausaufgaben gemacht hat. Wie oberflächlich oder gründlich war der Prozess der Identifikation der wesentlichen Themen? Wie wurden interne und externe Interessengruppen eingebunden? Ist die Formulierung der auf das Unternehmen zugeschnittenen ESG-Strategie mit ihren Zielsetzungen, Maßnahmen und Leistungsindikatoren nur eine Fingerübung oder gelebte Realität? Und nicht zu vergessen: Transparenz – wie viel davon lässt das Unternehmen tatsächlich zu und wo versteckt es sich hinter pseudotransparenter Berichterstattung von nichtssagenden Kennzahlen? Transparenz und gute ESG-Performance werden am Ende belohnt, z.B. durch ein gutes Nachhaltigkeitsrating. Das eröffnet wiederum neue Geschäftschancen oder niedrigere Finanzierungskosten.

Sie haben vor Ihrem Einstieg bei Kirchhoff Consult beim Schweizer Konzern Clariant ein integriertes Reporting eingeführt und auch verantwortet. Bestehen große Unterschiede zwischen den Schweizer Richtlinien diesbezüglich und denen der EU? Wenn ja, welche?

Mein Eindruck: Was die Anforderungen an die nichtfinanzielle Berichterstattung anbelangt, ist die Schweiz abwartend. Der Schweizer Gesetzgeber wird die Entwicklungen innerhalb der EU beobachten, bevor er wieder tätig wird. Am 1. Januar 2022 sind die Bestimmungen in Kraft getreten, die Unternehmen zur Berichterstattung über nicht-finanzielle Angelegenheiten (Art. 964a ff. OR) sowie zu Sorgfalts- und Berichtspflichten in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit (Art. 964j ff. OR) verpflichten. Die Berichte sind erstmals für das Geschäftsjahr 2023 zu erstellen und müssen im Folgejahr 2024 erscheinen. Die Schweizer Bestimmungen sind weitgehend an die derzeit in der EU geltenden Bestimmungen angeglichen. Es ist davon auszugehen, dass die Schweiz mit einer gewissen Verzögerung auch der CSRD folgen wird.

Gerade für kleinere Unternehmen, die sich keine ESG-Manager neben dem operativen Geschäft leisten können, ist es aufwendig, die Anforderungen so nebenher zu erfüllen. Was können Sie raten, um das Ziel dennoch zu erreichen?

Wir sehen diese Herausforderung nicht nur bei kleinen Unternehmen, sondern auch im Mittelstand. Einerseits ist es wichtig, dass die höchste Führungsebene und Entscheider Verantwortung für das Thema Nachhaltigkeit übernehmen, Ressourcen bereitstellen und dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen nach einem integrierten Ansatz gesteuert wird. Die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks muss so nachdrücklich verfolgt werden wie die Marge. Auch sind die Komplexitätsreduktion und Standardisierung wichtig. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sollten am Anfang Berichtsstrukturen aufsetzen und wesentliche Themen identifizieren, die über mehrere Jahre Bestand haben. Wichtige Hilfestellung können auch Berater leisten, die Industrieerfahrung mitbringen und wissen, wie sich die gesetzlichen Anforderungen in der Praxis am effizientesten umsetzen lassen.

Gibt es Wünsche an die Bundesregierung oder auch an die EU, die in der Umsetzung das ESG-Reporting für das Gros der Unternehmen erleichtert würde? Und: Rechnen Sie auf Basis der aktuellen Gesetzgebung mit einer fristgerechten Umsetzung bei den meisten Firmen?

In den derzeit veröffentlichten Entwürfen der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) sind 1.144 quantitative und qualitative Datenpunkte in 84 Berichtsanforderungen aufgeführt. Eine solch umfangreiche Berichterstattung kann kein Unternehmen leisten. Umso wichtiger ist es, dass der Gesetzgeber genaue Instruktionen gibt, wie die für das Unternehmen und seine Berichterstattung wesentlichen Themen zu ermitteln sind. Wünschenswert wäre z.B. auch ein branchenspezifischer Mindestberichtsstandard für KMU. Derzeit arbeitet die EFRAG an der Entwicklung eines generellen KMU-Standards (LSME ESRS).

Die Fragen stellte Simone Boehringer


Zur Interviewpartnerin

Claudia Herzog-Kamensky

Claudia Herzog-Kamensky ist seit April dieses Jahres Head of ESG/Sustainability bei der Kirchhoff Consult AG. Zuvor war sie bei der Schweizer Clariant AG als Teamlead Corporate Publishing and Branding u.a. verantwortlich für die Einführung eines integrierten Reportings.

 

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.