Ausnahme vom Verbot der unbefugten Weitergabe von Insiderinformationen

Die Marktmissbrauchsverordnung, die am 3. Juli 2016 in den EU-Mitgliedsstaaten wirksam werden wird (Market Abuse Regulation – MAR), regelt das Marktmissbrauchsrecht fortan europaweit einheitlich. Erstmals wird dabei auch das Institut der Marktsondierung (Market Sounding) normiert und damit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Informationsbedürfnis potenzieller Investoren und dem Verbot der unbefugten Weitergabe von Insiderinformationen Rechnung getragen. Von Dr. Mirko Sickinger und Lena Pfeufer

Im Rahmen von Marktsondierungen werden ausgewählte potenzielle Investoren im Vorfeld von geplanten Platzierungen von Wertpapieren – etwa im Vorfeld von Anleiheemissionen, aber auch im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen – angesprochen, um deren Interesse an der Emission und damit die Chancen für eine erfolgreiche Platzierung abschätzen zu können. Das Informationsbedürfnis der potenztiellen Investoren führt jedoch nicht selten zu dem Dilemma, dass es im Rahmen von Marktsondierungen zweckmäßig sein kann, (auch) Insiderinformationen offen zu- legen. In der bisherigen Praxis haben daher jedenfalls größere Emissionshäuser mit Hilfe von internen Richtlinien darauf hingewirkt, das Risiko der unbefugten Weitergabe von Insiderinformationen im Rahmen von Marktsondierungen zu minimieren.

Der europäische Gesetzgeber hat jetzt reagiert. Nach der Neuregelung in der MAR, die an die bisherige Marktpraxis angelehnt ist, soll die Offenlegung von Insiderinformationen im Rahmen von Marktsondierungen bei Einhaltung der dort normierten Prüf-, Verhaltens- und Dokumentationspflichten grundsätzlich zulässig sein.

Technische Standards zu den Marktmissbrauchsregelungen

Die MAR wird ergänzt durch Technische Standards der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – ESMA), die als Entwurf Ende September 2015 veröffentlicht wurden. Die Technischen Standards sollen von der Europäischen Kommission in delegierten Verordnungen umgesetzt werden.

WavebreakMediaMicro - stock.adobe.com
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Die ESMA hat darin klargestellt, dass auch ein Marketsounding vor Block
Trades sowie Privatplatzierungen den Regelungen über die Marktsondierung unterfallen kann. Die konkrete Durchführung einer Platzierung ist hingegen nicht als Marktsondierung im Sinne der MAR zu werten. Gleiches soll auch dann gelten, wenn der Anfragende aus Eigeninteresse und ohne Befassung des wirtschaftlich Berechtigten tätig wird.

Zudem merkt die ESMA in den Entwürfen der Technischen Standards an, dass nach ihrer Auffassung auch solche Marktsondierungen von den Neuregelungen erfasst sein sollen, bei denen nach Auffassung der Akteure gerade keine Insiderinformationen offengelegt werden. Bislang ist die Umsetzung der Technischen Standards in Bezug auf Marktsondierungen durch die Europäische Kommission im Wege einer delegierten Verordnung noch nicht erfolgt.

Folge: Umfassende Prüf-, Verhaltens- und Dokumentationspflichten

Nach den Regelungen der MAR und der Technischen Standards treffen den Sondierenden umfassende Prüf-, Verhaltens und Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit der Durchführung von Marktsondierungen:

Vor Beginn des Soundings trifft den Sondierenden dabei zunächst die Pflicht zur Prüfung, ob in den offenzulegenden Dokumenten Insiderinformationen enthalten sind. Das Ergebnis dieser Prüfung ist schriftlich zu begründen und zu dokumentieren. Auch muss der Sondierende vor der Offenlegung die Zustimmung des Adressaten, d.h. desjenigen, gegenüber dem er Insiderinformationen offenlegen möchte, einholen und diesen über die Vertraulichkeit und das ihn treffende Insiderhandelsverbot belehren.

Im Rahmen des eigentlichen Market Sounding hat der Sondierende insbesondere zu beachten, dass die offenzulegenden Informationen allen angesprochenen Investoren gegenüber gleichermaßen zugänglich gemacht werden müssen. Der Sondierende hat sorgfältig zu dokumentieren, an wen und wann er die Informationen übermittelt hat.

Auch im Nachgang einer erfolgten Marktsondierung treffen den Sondierenden weitere Pflichten. So muss er, falls nach der Offenlegung die Eigenschaft der offengelegten Information als Insiderinformation im Sinne der Marktmissbrauchsverordnung entfällt, dies den jeweiligen Adressaten mitteilen (Cleansing).

In der Praxis werden für die Durchführung von Marktsondierungen künftig wohl zwei wesentliche Dokumentensammlungen notwendig sein. Dabei handelt es sich zum einen um solche Dokumente, die im Vorfeld der eigentlichen Marktsondierung benötigt werden, wie etwa Dokumente zur Einholung der Zustimmung der Adressaten und deren Belehrung über die Vertraulichkeit und über das Insiderhandelsverbot. Zum anderen wird es weiterhin eine einheitliche Sondierungsunterlage für die konkrete Ansprache der Investoren geben.

Fazit und Ausblick

Im Grundsatz ist es begrüßenswert, dass der europäische Gesetzgeber die Relevanz der Marktsondierungen für das ordnungsmäßige Funktionieren der Finanzmärkte erkannt und nunmehr umfassend normiert hat. Dabei kann die Neuregelung mit den umfassenden Prüf-, Verhaltens- und Dokumentationspflichten und den stark formalisierten Verfahrensregelungen aber Fluch und Segen zugleich sein. Einerseits verschafft die Neuregelung den beteiligten Parteien Rechtssicherheit bezüglich der Zulässigkeit der Weitergabe von Insiderinformationen in Fällen der Marktsondierung. Anderseits führt die Neuregelung zu einem nicht unerheblichen Dokumentationsaufwand, der insbesondere bei Emissionen mit nur einem kleinen Volumen unverhältnismäßig sein kann. Für die Anwendung in der Praxis in Deutschland wird insbesondere die künftige Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) maßgebend sein. Dabei ist zu vermuten, dass die BaFin zeitnah Unterlagen und gegebenenfalls auch Formulare zur weiteren Konkretisierung der Neuregelung auf ihrer Internetseite zur Verfügung stellen wird.

Zu den Autoren
Dr. Mirko Sickinger, LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner im Kölner und Frankfurter Büro der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek. Er berät schwerpunktmäßig im Kapitalmarktrecht, im Bereich Gesellschaftsrecht sowie M&A. Die von ihm beratenen Transaktionen umfassen IPOs und Secondary Offerings, Anleiheplatzierungen in den Mittelstandssegmenten, öffentliche Übernahmeangebote und Unternehmenskäufe privat gehaltener Gesellschaften.   ist Rechtsanwältin und Senior Associate im Kölner Büro der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek. Sie berät im Team von Herrn Dr. Sickinger schwerpunktmäßig im Kapitalmarktrecht, im Bereich Gesellschaftsrecht sowie M&A.