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Künstliche Intelligenz (KI), das war immer ganz weit weg. Und plötzlich ist sie da – in vielfacher Verwendung, quer durch alle Industrien und Berufszweige. An der Spitze der öffentlichen Wahrnehmung: ChatGPT, eine kreative künstliche Intelligenz, die im Chatstil zu jedem erdenklichen Thema auf Nutzereingaben antwortet. Was das für die ­Finanzkommunikation bedeutet. 

Hinter ChatGPT steht das US-amerikanische Unternehmen OpenAI, das künstliche Intelligenz so ent­wickeln möchte, dass sie der Gesellschaft Vorteile bringt. Mit Microsoft hat das ­Unternehmen zudem einen namhaften ­Investor hinter sich. Neben ChatGPT entstehen nahezu täglich neue Anwendungen, die auf kreativer künstlicher Intelligenz ­basieren. Sie interagieren mit Menschen und erstellen auf deren Befehle hin Texte, Bilder, Videos oder Audios.

ChatGPT gewinnt weltweit schneller Nutzer, als es je eine andere Anwendung geschafft hat. Um die Schwelle von einer Million Nutzer zu erreichen, benötigte Netflix knapp dreieinhalb Jahre. Instagram schaffte das immerhin in drei Monaten. Und ChatGPT? Fünf Tage. Ende Januar 2023 nutzten mehr als 100 Millionen Menschen die Anwendung, Tendenz weiter steigend.

Galten die Wissens- und Kreativberufe lange als sichere Bastion vor der Digitalisierung, hat sich das schlagartig geändert. Kreative künstliche Intelligenz wird den Kapitalmarkt verändern. Wie genau, das kann niemand mit Bestimmtheit vorher­sagen – aber man kann sich aus unterschiedlichen Perspektiven nähern.

Kreative KI für Investoren attraktiv

Unternehmen, die künstliche Intelligenz entwickeln oder sie gewinnbringend einsetzen können, werden für Investoren ­attraktiv. Zwar nehmen viele Unternehmen für sich schon heute in Anspruch, künstliche Intelligenz in ihren Prozessen einzusetzen – reine KI-Entwickler sucht man bislang auf dem Kurszettel jedoch vergebens. Das wird sich ändern.

Aber nicht nur als Investitionsobjekt spielt künstliche Intelligenz eine Rolle, auch bei Investitionsentscheidungen wird sie stärker zum Einsatz kommen. Bisher setzten Investoren und Analysten stark auf maschinelles Lernen, um Vorhersagen über die Performance von Unternehmen zu treffen. Kreative künstliche Intelligenz wird diesen Trend beschleunigen und ­darüber hinaus gänzlich neue Anwendungsfelder eröffnen. Investoren werden sich künftig schneller in neue ­Themenfelder einarbeiten und sich zu ­aktuellen Entwicklungen einen Überblick verschaffen können.

Einfachere Aufgaben werden automatisiert

Für Unternehmen und Emittenten bietet die neue Technologie das Potenzial, bislang händische Arbeit im Alltag von Kommunikations- und Investor-Relations-Teams zu automatisieren, etwa bei der Erstellung von internen oder externen Berichten, Textpassagen oder Bebilderungen für ­Präsentationen.

Eine mit den letzten 30 Quartalsmitteilungen oder Pressemitteilungen gefütterte künstliche Intelligenz wird künftig in der Lage sein, mindestens ein solides Grundgerüst für die nächste Mitteilung vorzubereiten. Kommunikationsmanager können somit mehr Zeit in strategische Aufgaben investieren, sei es in die Entwicklung ­eines Narrativs oder in die Beziehungspflege zu Investoren, Analysten oder Journalisten.

Diese Anspruchsgruppen können künftig passgenauer mit Informationen versorgt werden. Chatbots sind bereits heute ein innovatives Investor-Relations-Werkzeug – eine mit Unternehmensdaten angereicherte künstliche Intelligenz wird ­künftig deutlich präzisere Antworten ­geben können.

KI beeinflusst das Image – wer beeinflusst die KI?

Die von öffentlich zugänglichen KI-Anwendungen erstellten Texte werden die Reputation und Wahrnehmung von Unternehmen zukünftig stark beeinflussen – und Kommunikationsteams vor große Herausforderungen stellen. Der Kontrollverlust über die eigenen Botschaften war durch das Aufkommen sozialer Medien schon beachtlich, weil sich jeder äußern konnte; für Unternehmen bestand zumindest die Möglichkeit, über die eigenen Kanäle zu reagieren. Die beispielsweise von ChatGPT generierten Texte sind nicht ­öffentlich, sondern bleiben privat in der Konversation mit dem Nutzer, ohne ­Chance für Unternehmen, korrigierend einzugreifen.

Heute bestimmt weitestgehend Google, wie schnell eine Information über ein ­Unternehmen auffindbar ist. Durch die Optimierung der eigenen Website können Unternehmen daran arbeiten, ihre Inhalte im Ranking zu verbessern. Und im Zweifel kann man mit Geld für bezahlte Google-Werbung nachhelfen.

Die Frage, die sich zukünftig stellt, ist also: Woher zieht die künstliche Intelligenz ihr Wissen und wie bewertet sie ­unterschiedliche Quellen? Sind Aussagen auf der eigenen Website vertrauenswür­diger als Aussagen in renommierten Medien? Wie schaffe ich es als Unternehmen, die KI mit meinen Botschaften zu erreichen – um darüber meine Zielgruppen zu erreichen?

Deep Fakes: Risiko für den Aktienkurs

Zum allgemeinen Kontrollverlust gesellen sich handfeste Risiken. Schon heute sind KI-Anwendungen problemlos in der Lage, täuschend echte Videos von prominenten Persönlichkeiten zu erstellen. Der Schritt zur Wirtschaftskriminalität ist nicht weit. Man stelle sich nur vor, ein krimineller Hedgefonds veröffentlicht in sozialen ­Medien ein Deep-Fake-Video eines CEO, der drastische Sparmaßnahmen oder die Übernahme eines Konkurrenten ankündigt. Der Kurs würde sofort reagieren. Bis das Unternehmen die Fälschung aufklären kann, wurde mit der Kursbewegung längst Geld verdient.

Noch viel Zukunftsmusik

Bei allem Hype und aller Hoffnung: Kreative künstliche Intelligenz ist limitiert. Noch – denn auch wenn das Potenzial groß ist, die Technologie steckt noch in den ­Kinderschuhen. Algorithmen müssen aufwendig und teilweise von Hand trainiert werden. Die Software muss laufend mit neuen Daten gefüttert werden, um tagesaktuell einen Mehrwert liefern zu können. Das Wissen von ChatGPT endet beispielsweise im Jahr 2021. Vom Ukrainekrieg hat ChatGPT noch nicht gehört.

Auch ist mittlerweile in zahlreichen Studien belegt, dass künstliche Intelligenz voreingenommen ist und die bewussten und unterbewussten Vorurteile ihrer Programmierer und Trainer reflektiert. Das schließt beispielsweise Diskriminierung nach Geschlecht, Alter oder Herkunft ein – ein unhaltbarer Zustand. Und dann ist da noch die Frage der Moral: ChatGPT ­argumentiert je nach Eingabe des Nutzers und erfindet mitunter Argumente und vermeintliche Fakten, die plausibel klingen.

Die Büchse der Pandora ist geöffnet

Kreative künstliche Intelligenz ist nicht mehr aufzuhalten und wird alle Lebens­bereiche durchdringen. Nach dem Hype kommt irgendwann die Desillusion, bevor die Technologie in die breite Masse getragen wird. Für Unternehmen kann sie eine große Hilfe sein, händische Prozesse in der Kapitalmarktkommunikation zu automatisieren und Freiräume für strategische Aufgaben zu schaffen.

In welcher Ausgestaltung auch immer, kreative künstliche Intelligenz wird ein Werkzeug. Und wie mit allen Werkzeugen, analog oder digital, will der Umgang ­gelernt sein. Fangen wir also an, uns damit zu beschäftigen.

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Autor/Autorin

Alexander Styles

Alexander Styles ist selbstständige Berater für Unternehmens- und Finanz­kommunikation und Certified Investor Relations Officer (CIRO). Zuletzt leitete­ er bis 2022 die Wirtschafts- und Finanz­kommunikation der Onlineplattform Zalando SE und war zuvor für die strategische Kommunikationsberatung Kekst CNC in Frankfurt und London tätig.