GoingPublic: Herr Szabo, Wien zählt im Fixed-Income-Bereich zu den erfolgreichsten Börsenplätzen Europas. Welche regulatorischen Rahmenbedingungen sprechen Emittenten an, wie sorgen Sie für Liquidität und Transparenz?

Szabo: Als Marktinfrastrukturanbieter verfolgen wir das Ziel, Unternehmen und Investoren den bestmöglichen Zugang zum Kapitalmarkt zu bieten effizient, attraktiv im Preis und im Einklang mit den regulatorischen Anforderungen. Anleihen, die zur Zulassung eingereicht werden, können an der Wiener Börse in unterschiedlichen Marktsegmenten notieren. In jedem Fall profitieren Emittenten stets von einem schnellen und reibungslosen Notierungsverfahren sowie größtmöglicher Sichtbarkeit der Anleihen. Da sich Marktgegebenheiten oft sehr rasch ändern, ist es für Unternehmen entscheidend, schnell zu reagieren, um Emissionsfenster nutzen zu können. Die Wiener Börse punktet hier mit kurzer Reaktionszeit, hoher Flexibilität und Verlässlichkeit. Derzeit sind mehr als 18.000 Anleihen mit einem Volumen von rund 800 Mrd. EUR an der Wiener Börse gelistet. Alle zugelassenen Wertpapiere sind über XETRA T7 handelbar.

Wie positionieren Sie die Börse Wien hinsichtlich der Gebühren für die Notierung als auch der laufenden Kosten?

Transaktionskosten spielen bei Anleiheemissionen eine große Rolle. Wenngleich die Gebühren für die Börsenzulassung vor allem bei größeren Anleiheemissionen im Verhältnis zu anderen Kosten z.B. Platzierung oder rechtliche Dokumentation niedrig ausfallen, gelingt es uns, auch hier im internationalen Vergleich sehr wettbewerbsfähig zu sein. Ein Listing an der Wiener Börse ist beispiels-weise deutlich günstiger als ein Listing an der Börse Luxemburg. Gleichzeitig bieten wir eine hohe Servicequalität für unsere Emitten-ten, die uns von anderen Börsen abhebt.

Wird der Anleihemarkt in Wien ausschließlich von institutionellen Investoren dominiert oder spielen auch Privatanleger eine Rolle? Was tun Sie, um Privatanleger zu erreichen?

Der Anleihemarkt wird generell stark von institutionellen Investoren dominiert, sowohl in Österreich als auch in ganz Europa. Platzierungen erfolgen häufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit, was eine Abwicklung innerhalb kürzester Zeit und mit reduziertem regulatorischem Aufwand ermöglicht.

Die Wiener Börse bietet mit dem Premiumsegment „corporates prime“ eine spezielle Plattform für Unternehmensanleihen, die sich dezidiert an Privatanleger richtet. Dabei sind Emissionen an strenge Auflagen gebunden: Die Platzierung muss mit einem Prospekt erfolgen und die Stückelung darf 10.000 EUR nicht überschreiten. In diesem Segment gelten erhöhte Transparenzvorschriften, die dem Schutz und der Information der Privatanleger dienen. Aktuell notieren 38 Unternehmensanleihen in diesem Segment, darunter bekannte Emittenten wie UBM, Wienerberger, CA Immo und WEB Windenergie.

Die ersten neun Monate 2024 waren historisch sogar die besten. Welche Einflüsse (Internationalisierung?) treiben das Wachstum?

2017 haben wir eine strategische Initiative gestartet, mit dem Ziel, ein führender europäischer Listinghub für Anleihen zu werden. In kurzer Zeit ist es uns gelungen, eine beeindruckende Anzahl an Emittenten und transaktionsbegleitenden Beratern von den Vorteilen der Wiener Börse zu überzeugen von der Servicequalität, der Kosteneffizienz und unbürokratischen Notierungsprozessen. Seit 2023 zählen wir in Bezug auf Neulistings zu den drei größten Listingplätzen für Anleihen in Europa und haben dabei sogar die Deutsche Börse hinter uns gelassen. Ein wesentlicher Faktor unseres Erfolgs ist die Internationalisierung: 97% der Neunotierungen im laufenden Jahr stammen von Emittenten aus dem Ausland. Auch nach dem Brexit bleibt London, trotz zunehmender Dezentralisierung, das bedeutendste Finanzzentrum. In der Londoner City hat sich die Wiener Börse mittlerweile unter Kapitalmarktanwälten und Debt-Capital-Markets-Bankern bestens positioniert. Aktuell servicieren wir mehr als 1.000 Emittenten aus 39 Ländern und erwarten in den nächsten Jahren noch weiteres Wachstum.

Sehr erfolgreich war das ESG-Segment angelaufen. Wer sind aktuell die aktiven Player im ESG-Segment, wer nutzt die Möglichkeit, nachhaltige Anleihen zu emittieren? Welche Arten von nachhaltigen Anleihen werden begeben?

In der Tat sind in unserem ESG-Segment bereits mehr als 120 Anleihen aktiv. Mit diesen Anleihen wurden Finanzierungen in Höhe von rund 30 Mrd. EUR für nachhaltige Zwecke aufgenommen. Unter den Emittenten befinden sich neben der Republik Österreich auch Finanzinstitute und Unternehmen, vorrangig aus dem Immobilien- und Energiebereich. Kürzlich begab die voestalpine mit einem Volumen von 500 Mio. Euro als erstes europäisches Stahlunternehmen einen Green Bond.

Die fortschreitende Weiterentwicklung der regulatorischen Vorgaben, insbesondere die EU-Taxonomie, führt zu einer zunehmenden Harmonisierung, die Investoren prinzipiell gutheißen. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Anleiheformen: Neben klassischen Green- und Social Bonds, die zur (Re-)Finanzierung von Projekten mit positiven ökologischen bzw. sozialen Effekten dienen, können auch Unternehmen aus Branchen mit hohen Treibhausgasemissionen über Transition Bonds Kapital beschaffen, um ihre Geschäftstätigkeiten nachhaltiger zu gestalten. Sustainability-Linked Bonds wiederum sind an vor-definierte Nachhaltigkeitsziele gebunden, beispielsweise zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien, Verbesserungen im Abfallmanagement, Verringerung der Treibhausgasemissionen etc. Werden diese Ziele nicht erreicht, führt dies in der Regel zu höheren Zinsen für die Investoren, was einer finanziellen Sanktion für die Emittenten entspricht.

Green Bonds und weitere ESG-Anleihen bedürfen wegen der versprochenen nach-haltigen, sozialen und organisatorischen Eigenschaften einer steten Überprüfung (KPIs, „do no substantial harm“ etc.); Ihre Ausführungen unterstreichen dies deutlich. Bis zu welchem Grad können und wollen Sie das als Börse kontrollieren?

Bei der grünen Transformation der Wirtschaft kommt Börsen eine zentrale Rolle zu, indem sie den Kapitalfluss in Richtung nachhaltiger Aktivitäten unterstützen. Mit dem Relaunch unseres ESG-Segments im Jahr 2022 haben wir ein umfassendes Regelwerk entworfen, welches sich an den üblichen Branchenstandards (unter anderem den Green and Social Bond Principles der International Capital Markets Association) orientiert. Emittenten von ESG-Anleihen sind neben der Einholung eines neutralen Gut-achtens (Second Party Opinion) zu erhöhter Transparenz und laufender Berichterstattung verpflichtet. Anleger können darauf vertrauen, dass sie mit der Investition in eine ESG-konforme Anleihe ein verantwortungsbewusstes und ökologisch nachhaltiges Investment tätigen, bei dem die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen eine Rolle spielen. Die laufende Offenlegung über die Verwendung des Emissionserlöses soll es Investoren ermöglichen, eine qualifizierte Investitionsentscheidung zu treffen.

Abb. 1: Die Wienerberger AG hat als erstes österreichisches Unternehmen einen Sustainability-Linked Bond begeben. Der Zinssatz ist an das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele gekoppelt. Quelle: Wienerberger AG Nachhaltigkeitsbericht 2023

Welches der unterschiedlichen Finanzierungsinstrumente, die Unternehmen zur Verfügung stehen, wird in den nächsten Jahren in der CEE-Region Ihrer Einschätzung nach am schnellsten wachsen?

Unternehmensanleihen könnten zu einem immer wichtigeren Instrument der Unternehmensfinanzierung werden. Unsere Ansicht wird durch die folgenden drei Gründe gestützt:

  1. Börsennotierte Unternehmensanleihen sind eine effiziente Möglichkeit, Fremdkapital grenzüberschreitend zu beschaffen, da sie einen breiteren Zugang zu institutionellen Anlegern und eine Ergänzung zur klassischen Bankenfinanzierung bieten.
  2. Der von der EZB initiierte Zinssenkungszyklus bietet Unternehmen wieder attraktivere Marktkonditionen als noch vor einem Jahr bei nach wie vor hoher Investorennachfrage.
  3. Um eine Wirtschaft widerstandsfähiger zu machen, ist eine ausreichende Eigenkapitalfinanzierung von entscheidender Bedeutung. Die Emission einer börsen-notierten Anleihe schärft das Kapitalmarktprofil privater Unternehmen und kann ein erster Schritt auf dem Weg zu einem späteren Börsengang sein.

Die kommenden Jahre werden neue Herausforderungen für unsere Gesellschaft mit sich bringen. Transformation erfordert Innovation, Innovation wiederum erfordert Kapital. Volkswirtschaften, die die Kapital-märkte zu nutzen wissen, werden schneller und nachhaltiger wachsen.

Sehr geehrter Herr Szabo, vielen Dank für die interessanten Einblicke.
Das Interview führte Stefan Preuß.

ZUM INTERVIEWPARTNER

Matthias Szabo verantwortet mit seinem Team bei der Wiener Börse den internationalen Anleihenbereich. In dieser Rolle forciert er federführend die Ausrichtung zu einem europäischen Listinghub für Anleihen und berät internationale Kapitalmarkt-experten im Emissionsgeschäft.

Autor/Autorin

Stefan Preuß
Redaktionsleiter at  | Website

Stefan Preuß arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Redakteur im Kapitalmarktumfeld. Der gelernte Tageszeitungsredakteur sammelte zudem Erfahrung als Investor Relations Manager. Der Redaktion der GoingPublic Media AG gehört er als ständiger Mitarbeiter mit den Schwerpunktthemen IPOs, Vermögensanlage und Nachfolgelösungen an. Er betreut als Redaktionsleiter die jährlichen Spezialausgaben "Mitarbeiterbeteiligung" sowie "M&A Insurance".