Bildnachweis: pixelkorn_AdobeStock.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit der Wirksamkeit von Verfallklauseln in einem virtuellen Aktienoptionsprogramm (ESOP) befasst, das einem ausgeschiedenen Mitarbeiter unter bestimmten Voraussetzungen virtuelle Beteiligungen zugesprochen hatte. Im Zentrum der Entscheidung stand die Frage, ob die im ESOP enthaltenen Klauseln zum Verfall bereits gevesteter virtueller Optionen bei Eigenkündigung des Mitarbeiters einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle standhalten.
I. Zugrunde liegender Sachverhalt
Dem Kläger waren von der Beklagten auf Grundlage eines virtuellen Aktienoptionsprogramms (ESOP) mit einem bestimmten Basispreis virtuelle Optionen zum 01.06.2019 zugeteilt worden. Aufgrund seiner Eigenkündigung schied der Kläger zum 31.08.2020 bei der Beklagten aus.
Der ESOP sah folgendes vor:
- Eine vierjährige Vesting-Periode mit einem Cliff von 12 Monaten für 25% der virtuellen Optionen und anschließend ein monatliches Vesting zur 1/36, wobei für Zeiten der Freistellung von der Arbeitspflicht die Vesting-Periode ausgesetzt sein sollte.
- Nicht gevestete virtuelle Optionen sollten bei Beendigung des Arbeits- oder Dienstverhältnisses ungeachtet des Grundes für dieses Ende (einschließlich dauerhafter Arbeitsunfähigkeit oder Tod) verfallen.
- Gevestete virtuelle Optionen sollten nach Ziff. 4.2 verfallen, wenn das Anstellungs- oder Dienstverhältnis „vor einem Ausübungsereignis [sc.: Share oder Asset Deal oder IPO-Exit] durch Kündigung des Berechtigten oder durch verhaltensbedingte Kündigung oder Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB … endet.“
- Ferner sollten alle gevesteten und nicht gevesteten virtuellen Optionen 15 Jahre nach dem Zuteilungstag verfallen (Ziff. 4.4.6).
- Schließlich sollten nach Ziff. 4.5 im Zeitpunkt der Beendigung der Anstellung gevestete virtuelle Optionen anschließend quartalweise mit 12,5% verfallen, weshalb den Berechtigten nach 24 Monaten keinerlei ausübbare virtuelle Optionen mehr verblieben, sofern nicht zwischenzeitlich ein „Ausübungsereignis“ eingetreten sein sollte.
II. Die Entscheidung des BAG
Bei dem Aktienoptionsprogramm handelt es sich um AGB, die der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unterliegen. Sie sind danach unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Dies ist insb. dann der Fall, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Ist dies der Fall, entfällt die Regelung ersatzlos.
Das BAG sieht sowohl in der Regelung des Verfalls sämtlicher virtueller Optionen im Fall der Eigenkündigung (Ziff. 4.2 ESOP) als auch in der Gestaltung des anschließenden Verfalls bei Beendigung der Tätigkeit bereits gevesteter virtueller Optionen eine unangemessene Benachteiligung iSv § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und hält sie daher für unwirksam:
Die gevesteten virtuellen Optionen stellen eine Gegenleistung für die in der Vesting-Periode (Wartezeit) erbrachte Arbeitsleistung dar. Dies folgt auch daraus, dass die Vesting-Periode für Zeiten der Freistellung des Berechtigten ausgesetzt ist. Damit steht die Verfallklausel in Widerspruch zu § 611a Abs. 2 BGB, wonach der Arbeitgeber zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist, soweit der vorleistungspflichtige Arbeitnehmer die ihm obliegende Arbeitsleistung erbracht hat. Ob der weitere Zweck andauernder Betriebszugehörigkeit erfüllt wird, ist hierfür unerheblich.
Hinzu komme, dass die Verfallklausel nach ihrem Wortlaut auch den Fall einer Eigenkündigung erfasst, selbst wenn diese auf ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers zurückzuführen ist (Rn. 43).
Die Verfallklausel führe daher auch zu einer übermäßigen Erschwerung des durch Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) geschützten Kündigungsrechts des Arbeitnehmers. Wegen der Frist von 15 Jahren, bei deren Ablauf alle virtuellen Optionen verfallen, wenn nicht vorher ein Ausübungsereignis eintritt, müsse der Berechtigte so lange von einer Kündigung absehen, um einen Vermögensnachteil zu vermeiden.
Zwar erscheine eine Verfallsregelung nicht unangemessen, wenn der zurückliegende Einsatz des ausgeschiedenen Arbeitnehmers auf den durch das spätere Ausübungsereignis erzielten Exit-Erlös keinen Einfluss mehr haben kann (Rn. 51). Dies hänge idR von der dazwischenliegenden Zeitspanne ab. Zu einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers führe aber die Verfallregelung von Ziff. 4.5 ESOP deshalb, weil der dort vorgesehene sukzessive Verfall in keinem angemessenen Verhältnis zur Dauer der im Arbeitsverhältnis verbrachten Vesting-Periode stehe. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche es nur, wenn dem Arbeitnehmer die Erwerbschance zumindest solange erhalten werde, wie er für das Erarbeiten der gevesteten Optionen aufgewandt hat. Der doppelt so schnelle Verfall sei daher unangemessen (Rn. 59 f.).
III. Folgerungen für die Gestaltung von virtuellen Beteiligungsprogrammen
- Dass bei Beendigung des Anstellungs- oder Dienstverhältnisses noch nicht gevestete virtuelle Optionen oder Anteile verfallen, war in dem vom BAG entschiedenen Fall nicht streitig und wurde auch nicht als obiter dictum vom BAG beanstandet.
- Die Verfallregelung von Ziff. 4.2 war zeitlich nicht auf die Vesting-Periode begrenzt. Vielmehr entfielen hiernach auch gevestete Optionen, wenn der Berechtigte nach Ablauf der Vesting-Periode, aber vor einem Exit selbst kündigte. Wird nur ein Verfall während der Vesting-Periode vorgesehen, lässt sich die Angemessenheit einer solchen Regelung zwar durchaus vertreten. Will man dem vom BAG angeführten Grundsatz des Austauschverhältnisses von Arbeit und Vergütung vollumfänglich gerecht werden, sollte aber zur Sicherheit die Kündigung nicht als Bad Leaver-, sondern nur als Good Leaver-Fall vorgesehen werden, dann aber auch zusammen mit einer entsprechend ausgestalteten De-Vesting-Regelung.
- Ein De-Vesting hält das BAG für angemessen, wenn es zumindest im gleichen zeitlichen Rhythmus verläuft wie das Vesting.
IV. Sonstige Folgen des Urteils
Sofern nicht bereits bei Ausscheiden eines Mitarbeiters entsprechende Abgeltungsvereinbarungen getroffen sind, bleibt denkbar, dass durch derartige Verfallklauseln betroffene Mitarbeiter gegenüber der Gesellschaft weiterhin Ansprüche aus virtuellen Beteiligungen innerhalb der dreijährigen Regelverjährungsfrist geltend machen können, sofern nicht arbeitsvertraglich spezielle Verfallregelungen mit zeitlich bestimmten Ausschlussfristen vorgesehen sind.
Sofern zwischenzeitlich ein Exit eingetreten ist, würden sich etwaige Forderungen eines berechtigten Mitarbeiters weiterhin ausschließlich gegen die Gesellschaft richten. Gesellschafter/Investoren, die ihre Anteile im Rahmen des Exits verkauft haben, würden allenfalls dann haften, wenn sie den Käufer von jedweden weitergehenden Ansprüchen aus einem Mitarbeiterbeteiligungsprogramm freigestellt oder für deren Nichtbestehen Garantien abgegeben haben.
Autor/Autorin
Dr. Wolfgang Weitnauer
Dr. Wolfgang Weitnauer ist Partner der Kanzlei WIPIT Partnerschaft mbB Rechtsanwälte Steuerberater. Er berät schwerpunktmäßig Beteiligungsgesellschaften und junge Technologieunternehmen in allen rechtlichen Themen von Finanzierungsrunden und bei Verkaufstransaktionen.