Bildnachweis: bagus_ – stock.adobe.com.
Stakeholder und potenzielle Aktionäre achten heute nicht nur auf Finanzzahlen, sondern auch auf nachhaltiges Wirtschaften; unabhängig von politischen und regulatorischen Änderungen. Die Erfüllung von ESG-Vorgaben, etwa durch Offenlegungspflichten, ist essenziell – doch erst eine klare Vision von Nachhaltigkeit und strategisch verankerte Ziele machen das Geschäftsmodell resilient und zukunftssicher. Von Dr. Martin Steinbach, Caroline Pfaff und Andrea Weinberger
Eine effektive ESG-Organisationsstruktur verankert Nachhaltigkeit an den Stellen des Unternehmens, an denen die Umsetzung operativ stattfindet. So gelingt es, Prozesse und Technologien effizient zu integrieren und den steigenden Erwartungen der Stakeholder – auch im Rahmen eines Börsengangs – gerecht zu werden.
ESG als Erfolgsfaktor beim Börsengang
Gerade im Kontext eines IPOs ist es entscheidend, die Sprache des Kapitalmarkts zu sprechen und überzeugend eine Perspektive auf nachhaltiges Wachstum zu vermitteln. Neben regulatorischen Berichtspflichten wie der CSRD kommt es vor allem darauf an, klar aufzuzeigen, welche Themen für das Geschäftsmodell heute und in Zukunft relevant sind und mit welchen strategischen Maßnahmen sich das Unternehmen vorbereitet.
Für ein resilientes Geschäfts- und Betriebsmodell ist die Integration von ESG in das Risikomanagement unerlässlich, um Risiken wie jene durch den Klimawandel frühzeitig zu erkennen und zu bewerten und den wachsenden Anforderungen von Kapitalgebern gerecht zu werden. Regularien wie die EU Green Bond Standards erhöhen den Druck auf Finanzinstitute, ESG-Kriterien systematisch in ihre Kreditvergabeprozesse zu integrieren, um Finanzflüsse auf nachhaltige Projekte zu lenken. Gleichzeitig gewinnen Nachhaltigkeitsaspekte auch im Rahmen der Proxy Voting Guidelines institutioneller Investoren zunehmend an Bedeutung.
Für börsennotierte Unternehmen sind das Aktiengesetz und der Deutsche Corporate Governance Kodex von zentraler Bedeutung. Sie fordern, dass im Aufsichtsrat Expertise zu unternehmensrelevanten Nachhaltigkeitsthemen vorhanden ist und die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtet wird.
Eine EY-Studie zeigt, dass im Jahr 2022 bei 85% der DAX40-Unternehmen spezifische ESG-Ziele in der Vorstandsvergütung verankert waren. Darüber hinaus wird bereits im Rahmen des IPO-Prozesses erwartet, dass Unternehmen ESG-Aspekte adressieren. Alle Unternehmen, die 2024 in den Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse aufgenommen wurden, haben in ihren Wertpapierprospekten eine ESG-Strategie ausgewiesen – meist mit konkreten Zielen zu Themen wie Diversität und Dekarbonisierung.
ESG-Organisationsstruktur
Wie Unternehmen ESG in ihrer Organisationsgestaltung berücksichtigen und welche Faktoren zu einer erfolgreichen ESG-Organisationsstruktur beitragen, zeigt eine aktuelle Studie von EY. Analysiert wurden die ESG- und Geschäftsberichte von 15 MDAX- und 15 DAX40-Unternehmen hinsichtlich beschriebener Governance-Strukturen und der Integration von ESG. Aus der Beratungspraxis werden fünf wesentliche Erfolgsfaktoren für die Verankerung von ESG in den Dimensionen Strategie, Implementierung, Steuerung und Berichterstattung definiert:
1. Ausgewogene Mischung aus zentralisierten und dezentralen Verantwortlichkeiten
90% der Unternehmen haben eine ESG-Abteilung eingerichtet, wobei 78% diese Abteilung als Kompetenzzentrum betrachten und die restlichen 22% sie als Koordinationsabteilung ansehen, die dezentrale ESG-Aktivitäten steuert. Der Zentralisierungsgrad hängt dabei sowohl von der Unternehmensgröße als auch der bestehenden Kultur von zentraler/dezentraler Kompetenzverteilung ab. Erfahrungswerte zeigen, dass in mittelgroßen Unternehmen in der Regel zwei bis fünf Vollzeitäquivalente (FTE) in der ESG-Abteilung tätig sind, während es bei großen börsennotierten Unternehmen zwischen zehn und 30 FTE sind.
2. Klare Definition von ESG-Rollen und Verantwortlichkeiten
Dieser Punkt klingt so simpel – und ist doch so entscheidend. Nachhaltigkeit ist nie nur ein Thema eines zentralen Teams, sondern braucht Kollaboration über verschiedene Funktionen hinweg. Um diese Zusammenarbeit zu orchestrieren, ist es entscheidend, klare Rollen und das Zusammenspiel von Bereichen festzulegen. Mit einer RASCI-Matrix können Unternehmen ESG-Rollen und Verantwortlichkeiten klar definieren sowie Schwachstellen identifizieren.
3. Volle Zustimmung und Unterstützung des Managements
Bereits 97% der untersuchten Unternehmen geben an, die Verantwortung für ESG im Vorstand zu verankern, wobei entweder der CEO (23%), der CFO (17%), der CHRO (7%) oder ein Vorstandsmitglied mit anderer Haupttätigkeit (13%) für ESG verantwortlich ist. Von den befragten Unternehmen geben 53% jedoch an, einen Chief Sustainability Officer (CSO) zu haben, welcher in 20% der Fälle direkt an den CEO berichtet. Die Unterstützung des Managements ist entscheidend, um sicherzustellen, dass ESG-Rollen etabliert werden und Leiter von ESG-Initiativen feste Kontaktpersonen im Top-Management haben.
4. Strukturierte funktionsübergreifende Zusammenarbeit
Angesichts des funktionsübergreifenden Charakters von ESG ist es unerlässlich, Verantwortlichkeiten dort zu verankern, wo sie mit der größten Schnittmenge in die bestehende Organisation integriert werden können. Um eine bereichsübergreifende Abstimmung und Koordination sicherzustellen, sind sowohl spezialisierte ESG-Teams als auch funktionsübergreifende Gremien entscheidend – über solche verfügen bereits über 90% der untersuchten Unternehmen.
5. Starke Abstimmung zwischen Finanz- und Nachhaltigkeitsabteilungen
Mit der zunehmenden Bedeutung von ESG in der Finanzberichterstattung wird eine enge Zusammenarbeit zwischen Finanz- und ESG-Abteilungen zu einem konsequenten und notwendigen Schritt. Bei 26% liegt die Hauptverantwortung für die ESG-Berichterstattung in der Hand des CFOs und bei der Finanz- bzw. Controlling-Abteilung; ein Trend, der wahrscheinlich über die Jahre zunehmen wird.
Fazit
ESG ist mehr als Regulierung – es ist ein strategischer Erfolgsfaktor. Wer Nachhaltigkeit wirksam in der Organisation verankert, stärkt die Resilienz des Geschäftsmodells, erhöht die Kapitalmarktattraktivität und sichert den Zugang zu Finanzierung. Besonders für Unternehmen mit Börsenambitionen ist eine klare ESG-Ausrichtung entscheidend, um im IPO-Prozess zu überzeugen. Investoren schätzen zukunftsorientierte Unternehmen, während Banken belastbare Klimatransitionspläne zunehmend voraussetzen.