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Aufgrund der Coronapandemie hatte der Gesetzgeber im März 2020 gewissermaßen im Blitzverfahren allen Gesellschaften unabhängig von einer entsprechenden Satzungsregelung die virtuelle Hauptversammlung ermöglicht. Diese war (bzw. ist) eine Ausnahmeregelung, die auf den pandemiebedingten Besonderheiten beruhte und die grundlegende Aktionärsrechte wie das Frage- und Rederecht sehr weitgehend begrenzte. Die Regelung wurde seitdem leicht geändert und mehrfach verlängert. Sie soll nunmehr zum 31. August 2022 auslaufen.

Zur virtuellen bzw. Online-HV außerhalb einer Pandemie haben sich SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP auf S. 112 des Koalitionsvertrags wie folgt verständigt: „Wir ermöglichen dauerhaft Online-Hauptversammlungen und wahren dabei die Aktionärsrechte uneingeschränkt.“

Das Justizministerium hatte am 9. Februar 2022 einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften vorgelegt. Dieser orientierte sich sehr weitgehend an den pandemiebedingten Ausnahmeregelungen, woraufhin eine Vielzahl von Stellungnahmen aus dem Kreise von Aktionärsvertretern die Beschneidung der Aktionärsrechte kritisierte. Beifall kam hingegen von der Emittentenseite, die sich im virtuellen Format bequem eingerichtet hatte und z.B. die Vorverlagerung der Fragen und Antworten ins Vorfeld der Versammlung und die arg reduzierten Artikulationsmöglichkeiten der Aktionäre fortsetzen möchte.

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Die kritischen Anregungen indes wurden im Regierungsentwurf vom 10. Mai 2022 aufgegriffen, welcher aktuell zur Debatte steht. Am 22. Juni 2022 fand eine Anhörung im Rechtsausschuss statt, das weitere parlamentarische Verfahreninkl. Beratung im Plenum soll bis 31. August 2022 abgeschlossen sein.

Die virtuelle HV bedarf nach dem vorliegenden Entwurf der Satzungsregelung. Sie ist zudem in jedem Fall auf längstens fünf Jahre befristet, sodann ist zur Fortsetzung des virtuellen Formats eine erneute Satzungsregelung erforderlich.

Zur Beurteilung des aktuellen Entwurfs bietet es sich an, den materiellen Gehalt der bestehenden Regelungen zur Präsenzversammlung bzw. deren Handhabung und die Entwurfsregelungen in Bezug auf die einzelnen Aktionärsrechte nebeneinanderzulegen.

Teilnahmerecht

Das Teilnahmerecht zur Präsenzhauptversammlung nach § 118 Abs. 1 Satz 1 AktG umfasst mindestens das Recht auf Anwesenheit (Anwesenheitsrecht) und das Recht, sich zu den Tagesordnungspunkten zu äußern (Rederecht). Da das Rederecht der virtuellen HV mit § 130a RegEAktG gesondert geregelt werden soll, bietet sich an, das Teilnahmerecht zunächst in Form der Anwesenheit zu untersuchen, d.h. in Form der passiven Verfolgung sämtlicher Vorgänge, der Erlangung der dargebotenen Informationen wie der Berichte von Vorstand und Aufsichtsrat, des Jahresabschlusses und der auslegungspflichtigen Unterlagen.

Nach § 118a Abs. 1 Ziff. 1 RegEAktG ist die Übertragung der gesamten Versammlung mit Bild und Ton eine der einzuhaltenden Grundvoraussetzungen der virtuellen Hauptversammlung.

Der Aktionär kann damit die Verhandlungen am heimischen Bildschirm mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser wahrnehmen als vor Ort – nachdem in der Präsenzversammlung eine Übertragung in den gesamten Präsenzbereich nicht erforderlich ist, könnte er z.B. im Foyer sogar u.U. weniger mitbekommen als im Rahmen der virtuellen HV.

Nach § 118a Abs. 6 RegEAktG sind weiter auch die Unterlagen den der Hauptversammlung elektronisch zugeschalteten Aktionären während des Zeitraums der Versammlung über die Internetseite der Gesellschaft oder die eines Dritten zugänglich zu machen. Der Aktionär kann also diese Unterlagen während der HV problemlos einsehen und ggf. sogar downloaden – Wartezeiten am Unterlagentisch gibt es in der virtuellen HV nicht.

Das Teilnahmerecht in Form der passiven Verfolgung der Verhandlungen wird also in der virtuellen HV nach dem Referentenentwurf mindestens ebenso, wenn nicht sogar faktisch besser vermittelt als in der Präsenzversammlung.

Stimmrecht

Das Stimmrecht ist das Recht, durch Stimmabgabe am Zustandekommen von Hauptversammlungsbeschlüssen mitzuwirken. In der Präsenz-HV wird das Stimmrecht nach §§ 118, 134 AktG im Rahmen des Abstimmungsvorgangs in technisch höchst unterschiedlicher Weise ausgeübt: Sei es durch aktives Abgeben von beleghaften Stimmkarten oder -coupons, sei es durch Antippen auf einem Tablet, sei es durch Handaufheben oder gar durch lediglich passives Verhalten im Zuge des Subtraktionsverfahrens. Auch juristisch wird dem Aktionär neben der persönlichen Stimmabgabe im Rahmen des aufgerufenen Abstimmungsvorgangs flächendeckend die Bevollmächtigung der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft nach § 134 Abs. 3 Satz 5 AktG angeboten, was viele Aktionäre wertungsmäßig einer Stimmabgabe gleichsetzen.

Zur virtuellen HV ist gemäß § 118a Abs. 1 Ziff. 2 RegEAktG eine elektronische Stimmrechtsausübung zu ermöglichen, namentlich über elektronische Teilnahme oder elektronische Briefwahl sowie Vollmachtserteilung.

Die praktische Umsetzung dürfte für den Aktionär genau wie bei der aktuellen virtuellen HV nach COVMG im Anklicken der Ja-/Nein- und ggf. Enthaltungsfelder zu den einzelnen Beschlussvorschlägen bestehen.

In beiden Konstellationen werden die Stimmgewichte zuverlässig, präzise und nachvollziehbar ermittelt und gewertet. In Bezug auf die Abstimmungen zu den aufgerufenen Beschlussvorschlägen ist also in der virtuellen HV ebenfalls keine materielle Einschränkung von Aktionärsrechten ersichtlich.

Fragerecht

In der herkömmlichen Hauptversammlung kann der Aktionär nach § 131 AktG mündlich Fragen zu allen Gegenständen der Tagesordnung stellen. Da in der ordentlichen Hauptversammlung der Jahresabschluss für das vergangene Geschäftsjahr und die Entlastung der Organe anstehen, ist der Kreis der möglichen Fragen sehr weit gezogen. Zudem kann der Aktionär nicht nur Fragen stellen, sondern auch Nachfragen, und zwar nicht zu seinen eigenen Fragen, sondern auch zu den Fragen von Mitaktionären.

Das Fragerecht wird außer durch die Auskunftsverweigerungsrechte nach § 131 Abs. 3 AktG lediglich durch die sachlichen Gegebenheiten begrenzt: Da naturgemäß für Fragen nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, führt eine Vielzahl von Fragestellern zur Notwendigkeit einer Frage- und Redezeitbeschränkung und damit einer Begrenzung der Fragezeit. Zudem wird nach der Rechtsprechung eine zu große Anzahl von Fragen pro Aktionär durchaus als missbräuchlich angesehen. Andere, insbesondere gesetzliche Beschränkungen bestehen hingegen nicht.

Während das Fragerecht nach dem Referentenentwurf in Bezug auf den Umfang, die Frist und die Nachfragemöglichkeit deutlich eingeschränkt war, ergibt sich für den Regierungsentwurf nunmehr folgendes Bild:

Nach § 131 Abs. 1a RegEAktG kann bestimmt werden, dass elektronisch eingereichte Fragen nur zu beantworten sind, wenn sie bis zu einer Frist von längstens drei Tagen vor der Versammlung zugehen. Nicht fristgerecht eingereichte Fragen müssen nicht berücksichtigt werden. Die Norm ist im Zusammenhang mit § 131 Abs. 1c RegEAktG zu sehen, wonach die oben genannten Fragen bereits vorab einen Tag vor der Versammlung beantwortet und die so gegebenen Antworten nicht mehr in der HV vorgetragen werden müssen. Es werden also nicht nur die Fragen, sondern auch die Antworten ins Vorfeld der Versammlung verlagert, was für die Versammlung selbst eine deutlich zeitliche Entlastung bedeutet und den Weg für aktuelle Fragen, Nachfragen und die Debatte freimacht.

Nach § 131 Abs. 1b RegEAktG kann der Umfang der Einreichung von Fragen bereits in der Einberufung angemessen beschränkt werden. Das Recht zur Einreichung von Fragen kann auf ordnungsgemäß zur Versammlung angemeldete Aktionäre beschränkt werden.

In § 131 Abs. 1d RegEAktG ist vorgesehen, dass jedem elektronisch zu der Versammlung zugeschalteten Aktionär in der Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation ein Nachfragerecht zu allen vorab eingereichten Fragen, den vor und in der Versammlung gegebenen Antworten des Vorstands sowie zu in der Versammlung in Redebeiträgen gestellten Fragen einzuräumen ist. Eine Begrenzung auf bestimmte Fragen oder ein Ausschluss von Nachfragen, die in keinem sachlichen Zusammenhang zu der vorab eingereichten Fragen und zur Antwort des Vorstands stehen, ist nicht vorgesehen. Allerdings verweist § 131 Abs. 1d Satz 2 RegEAktG auf § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG, der den Versammlungsleiter zur Begrenzung der Rede- und Fragezeit ermächtigt.

Gemäß § 131 Abs. 1e RegEAktG ist jedem elektronisch zugeschalteten Aktionär das Recht einzuräumen, Fragen zu Sachverhalten zu stellen, die sich erst nach Ablauf der Frist nach Abs. 1a Satz 1 ergeben haben. Sofern innerhalb des angemessenen Zeitraums der Versammlung möglich, sind sogar Fragen, die bis spätestens drei Tage vor der Versammlung hätten gestellt werden können, zuzulassen.

Zwar hält der Regierungsentwurf an der angemessenen Beschränkung des Fragenumfangs fest und er statuiert weiterhin eine Übersendungsfrist; mit der Vorabbeantwortung und der umfassenden Nachfragemöglichkeit wird die Grundlage zu einer einerseits qualifizierten Beantwortung (Vorabfragen) und einer lebendigen Debatte (Nachfragen, aktuelle Fragen) geschaffen. Mit dem Auskunftsverweigerungsrecht bzgl. Vorabfragen und der Verweisung auf die Begrenzungsmöglichkeiten des Versammlungsleiters wird den Bedenken gegen eine Fragen- bzw. Nachfragenflut Rechnung getragen.

Insgesamt sieht der Entwurf zwar gegenüber der Präsenz-HV das eine oder andere Minusvor – durch die Vorverlagerung von Fragen und Antworten bei gleichzeitiger Ermöglichung von Nachfragen und aktuellen Fragen dürfte im Ergebnis aber kein wesentliches Minus zu verzeichnen sein. Ggf. könnte das Modell der Vorverlagerung von Fragen und Antworten künftig sogar für die Entlastung der Präsenz-HV sinnvoll und dienlich sein.

Rederecht

In der Präsenz-HV hat jeder Aktionär das Recht, im Rahmen der Debatte nicht nur Fragen zu stellen, sondern auch seine Auffassung zur Tagesordnung kundzutun – Rederecht im Rahmen des Teilnahmerechts. Er kann Lob und Kritik äußern, er kann für seinen Standpunkt werben, er kann Alternativen aufzeigen und im Rahmen seines Beitrags Anträge stellen. Auch kann der Aktionär auf Beiträge der Mitaktionäre eingehen. Begrenzt wird auch dieses Recht nur durch die praktischen Gegebenheiten vor Ort. Da für die Debatte nur begrenzte Zeit zur Verfügung steht, muss die Rede- und Fragezeit angemessen verteilt werden, was die Dauer der Ausführungen des einzelnen Aktionärs bei zahlreichen Wortmeldungen naturgemäß einschränkt.

Nach § 118a Abs. 1 Ziff. 7 RegEAktG ist den Aktionären in der virtuellen Versammlung eine Rederecht im Wege der Videokommunikation nach § 130a Abs. 5 einzuräumen.

Im Referentenentwurf war hierbei eine Vielzahl von Restriktionen in Bezug auf Zeit, Umfang, Anzahl, Reihenfolge und Inhalte durch geradezu geschäftsordnungsartige Regularien vorgesehen. Der Regierungsentwurf sieht hiervon vollständig ab, sodass das Rederecht im Wege der Videokommunikation nunmehr lediglich ebensolchen Begrenzungen ausgesetzt ist wie dasjenige der Präsenz-HV, also insbesondere der Möglichkeit der angemessenen Begrenzung des Rede- und Fragerechts durch den Versammlungsleiter.

Antragsrecht

In der herkömmlichen Versammlung kann der Aktionär eine Vielzahl von Anträgen stellen: Sowohl zum Verfahren als auch zu den Tagesordnungspunkten stehen ihm etliche Themenkreise offen. Zwar mögen die meisten Geschäftsordnungsanträge bereits an der Zuständigkeit z.B. des Versammlungsleiters scheitern und oft haben die inhaltlichen Anträge auch wenig Aussicht auf Erfolg, jedoch besteht hier ein ganz wesentliches Initiativrecht, aufgrund dessen schon so manche Versammlung eine unerwartete Wendung genommen hat.

Die Einräumung eines Antragsrechts im Wege der elektronischen Kommunikation für Anträge und Wahlvorschläge ist nach § 118a Abs. 1 Ziff. 3 RegEAktG Voraussetzung für die virtuelle HV.

Zulässige Gegenanträge gelten in der virtuellen HV bereits nach § 126 Abs. 4 RegEAktG von vornherein als gestellt. Sofern der Aktionär, der den Antrag gestellt hat, nicht ordnungsgemäß legitimiert und, sofern eine Anmeldung erforderlich ist, nicht ordnungsgemäß zur Hauptversammlung angemeldet ist, muss der Antrag in der Versammlung aber nicht behandelt werden.

Auch hier nimmt der Regierungsentwurf die im Referentenentwurf vorgesehenen Restriktionen nicht auf. Es wird auch nicht mehr zwischen Gegenanträgen und anderen Anträgen unterschieden, auch in der Versammlung sind somit inhaltliche Gegenanträge noch möglich.

Über die so gestellten Anträge hat der Versammlungsleiter sodann ebenso zu entscheiden wie in der Präsenz-HV, sodass das Antragsrecht nach dem Regierungsentwurf im Ergebnis ebenso wie in der Präsenz-HV gewährleistet ist.

Widerspruchsrecht

Das Recht, Widerspruch zu den Beschlüssen der Versammlung nach § 245 Ziff. 1 AktG zu erklären, kann in der Präsenzversammlung sowohl im Rahmen der Wortmeldung in der Debatte als auch direkt gegenüber dem Notar oder einer Hilfsperson des Notars ausgeübt werden. Im ersten Fall ist die Einlegung für alle Mitaktionäre transparent, im zweiten Fall bleibt dies eher unbemerkt.

Nach § 118a Abs. 1 Ziff. 8 RegEAktG gehört auch die Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation zu den Grundvoraussetzungen der virtuellen HV. Diesen Widerspruch sehen die Mitaktionäre im Normalfall nicht.

Abgesehen von der teilweise fehlenden Transparenz gegenüber den Mitaktionären ist für die Einlegung des Widerspruchs keine Einschränkung ersichtlich.

Zusätzliche bzw. weitergehende Rechte der Online HV

Der Gesetzentwurf beinhaltet zwei zusätzliche bzw. weitergehende Aktionärsrechte, die bislang zur Präsenz-HV nicht bzw. nicht in diesem Umfang anzutreffen sind:

Nach § 118a Abs. 1 Ziff. 6 RegEAktG wird den Aktionären das Recht eingeräumt, Stellungnahmen nach § 130a Abs. 1 bis 4 im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen. Hierbei handelt es sich um Textnachrichten, die spätestens fünf Tage vor der HV einzureichen und sodann spätestens Spätestens vier Tage vorher den anderen Aktionären zugänglich zu machen sind.

Das Recht zur Stellungnahme ist völlig neu, in der herkömmlichen Präsenz-Hauptversammlung existiert nichts Vergleichbares. Allerdings ist sein materieller Gehalt auf die Übersendung einer Textbotschaft begrenzt, welche die Gesellschaft grundsätzlich den anderen Aktionären zur Verfügung stellen muss. Angesichts der Vielzahl anderweitiger Kommunikationsmöglichkeiten, gerade in einschlägigen Foren im Internet, kann man den Umfang dieses neuen Rechts durchaus als überschaubar bezeichnen.

Nach § 118a Abs. 1 Ziff. 5 RegEAktG soll den Aktionären der Bericht des Vorstands oder dessen wesentlicher Inhalt bis spätestens sieben Tage vor der Versammlung zugänglich gemacht werden. In der Präsenzversammlung erfolgt der Vorstandsbericht gerade nicht vorab, sondern unmittelbar in der Hauptversammlung. Allerdings beinhaltet der Bericht auch in der Präsenz-HV schon aus Gründen der Vorsicht – insbesondere der Vermeidung von Ad-hoc-Publizität – normalerweise nichts wirklich Neues; vielmehr wird üblicherweise der bereits mit den Abschlussunterlagen veröffentlichte schriftliche Bericht in mehr oder weniger gelungener Form wiedergekäut. Allerdings erlaubt die Pflicht zur Bereitstellung der Inhalte der Vorstandsrede den Aktionären das hierauf bezogene Stellen von inhaltlich qualifizierten Fragen und bildet somit einen weiteren Baustein der begrüßenswerten Vorverlagerung einer inhaltlich fundierten Fragen-und-Antwort-Runde ins Vorfeld der HV.

Persönlicher Kontakt und Festzeltatmosphäre der HV

Im Aktiengesetz wird man kein Aktionärsrecht auf persönlichen Kontakt mit der Verwaltung der Gesellschaft oder untereinander finden. Auch die Festzeltatmosphäre der HV sucht man eher in der einschlägigen Fachliteratur. Nun sollte aber nicht ganz in Vergessenheit geraten, dass der Urkern der Hauptversammlung die im BGB niedergelegte Vereinsversammlung ist und dass auch die Aktiengesellschaft nichts anderes ist als ein regulierter Zusammenschluss des Kapitals der Gesellschafter mit dem Interesse der Gewinnerzielung durch Erfüllung des Gesellschaftszwecks. In diesem Sinne ist es durchaus angelegt, dass die Geschäftsführung persönlich bei den Gesellschaftern Rechenschaft abzulegen hat, um die Entlastung nachzusuchen hat und sich der persönlichen Aussprache und ggf. Kritik zu stellen hat. Diese persönliche Auseinandersetzung hat durchaus auch die Funktion, ggf. allzu abgehobene Unternehmensführer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, und bildet somit ein ganz wesentliches emotionales Korrektiv im kollektiven Unternehmensinteresse. Debatte, Applaus, Stimmung, Zwischenrufe, Spontaneität, vielleicht sogar Buhrufe oder Sprechchöre als Ausdruck einer Unzufriedenheit mit einzelnen Vorgängen bilden ebenfalls wichtige Bestandteile lebendiger Aktionärsdemokratie.

Auch wenn es sich hierbei um eher ungeschriebene, tradierte Elemente der Aktionärsdemokratie und damit der Aktionärsrechte handelt, wird man schnell einsehen, dass dies geradezu unmöglich virtualisiert werden kann.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Gesetzentwurf die virtuelle HV für alle Hauptversammlungen, seien es ordentliche Hauptversammlungen, seien es außerordentliche Versammlungen, eröffnet. Ob ein Vertrauensentzug (§ 84 Abs. 3 AktG), eine Anzeige eines Verlusts der Hälfte des Grundkapitals (§ 92 Abs. 1 AktG), ein Squeeze-out (§§ 327a ff. AktG), eine Sonderprüfung oder eine Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§§ 142 ff., 147 AktG) im virtuellen Format vernünftig darstellbar ist, kann man durchaus bezweifeln. Spätestens wenn gemäß § 122 Abs. 3 AktG im Rahmen einer gerichtlichen Ermächtigung zur Einberufung einer HV der Minderheitsaktionär an die Stelle des einberufenden Vorstands tritt, dürfte das virtuelle Format seine Grenzen überschritten haben.

Hierzu statuiert § 118a Abs. 1Satz 2 RegEAktG, dass die Satzung bestimmte Gegenstände vorsehen kann, die nicht in einer virtuellen Hauptversammlung behandelt werden dürfen. Dies bleibt jedoch dem Satzungsgeber, also der Hauptversammlung, vorbehalten. Die virtuelle HV ohne Begrenzung auf bestimmte Gegenstände bleibt insofern möglich.

Fazit

Wenn man die Rechte der Aktionäre in der Präsenz-HV und der virtuellen HV nach dem Regierungsentwurf nebeneinanderlegt, wird deutlich, dass die Koalition nach dem reichlich missglückten Referentenentwurf im Regierungsentwurf die Aktionärsrechte durchaus ernst nimmt. Die Regelungen berücksichtigen zudem die Praktikabilität der virtuellen Versammlung und sind somit als ausgewogen anzusehen. Das Ziel der uneingeschränkten Wahrung der Aktionärsrechte aus dem Koalitionsvertrag kann somit durchaus als erreicht bezeichnet werden.

Mit welchen konkreten Satzungsregelungen und welchen konkreten Gestaltungen die Gesellschaften die virtuellen Möglichkeiten ausschöpfen werden, dürfte durchaus noch spannend werden. Unter Umständen lässt sich künftig durch den Einsatz noch stärker virtualisierter Versammlungsräume z.B. in 3D-Technik auch die Atmosphäre der Hauptversammlung stärker virtualisieren als bisher.

Autor/Autorin

Gastautor Matthias Höreth
Matthias Höreth

Matthias Höreth ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Hauptversammlung.