Dr. Martin Sonnenschein, Partner und Managing Director Central Europe, A.T. Kearney

Im Interview mit dem GoingPublic Magazin spricht Dr, Martin Sonnenschein, Partner und Managing Director für Central Europe bei A.T. Kearney über Nachhaltigkeit, Innovationen und die Zukunft der Kapital- und Finanzmärkte.

GoingPublic: Herr Dr. Sonnenschein, denken wir in puncto Kapitalmärkte mal an Nachhaltigkeit und Innovation. Sind das überhaupt Begriffe, die sich auf Finanz- und Kapitalmärkte übertragen lassen?
Sonnenschein: Sicherlich. Innovationen gibt es regelmäßig. Insbesondere im Bereich Kapitalmarktprodukte sind sie jedoch in jüngerer Zeit zusehends kritisch gesehen worden, da innovative Finanzkonstrukte und Anlageprodukte sehr häufig mit einem Mehr an Komplexität einhergehen. Die Komplexität ist dabei kaum noch beherrschbar, erst recht für den privaten Anleger oder Laien. Verbriefungsmöglichkeiten haben die Werte der Underlyings – ursprünglich Vermögenswerte – teilweise so verschleiert, dass eine Bewertung des innovativen Vermögenstitels schwierig bis unmöglich geworden war. Auswüchse der Verbriefungsproblematik sind die jüngsten Finanzkrisen, die immer mehr toxische Wertpapiere zutage gefördert haben. Das ist aber nur eine Seite.

GoingPublic: Folgt jetzt die gute oder schlechte Nachricht?
Sonnenschein:
Die andere Seite spielt auf positive Trends im Rahmen der Innovation an. Technologische Innovationen beispielsweise im Bereich von Zahlungsmöglichkeiten und Transaktionsabwicklungen ermöglichen Kunden ein stetig steigendes Maß an Bequemlichkeit. Sie können Bankgeschäfte von zuhause erledigen, bargeldlos bezahlen, Zahlungen mit mobilen Endgeräten und Kartentechnologien sind auf dem Vormarsch. Im Kapitalmarktbereich sind mittlerweile Rekordzeiten zur Abwicklung automatisierter Transaktionen erreicht.

GoingPublic: Und wie nachhaltig sind derartige Entwicklungen?
Sonnenschein:
Nachhaltige Produktlösungen werden für Kunden auch attraktiver und sind mehr nachgefragt, z.B. Öko-Investments, Windparkbau etc. Neben dem Renditeaspekt treten Umwelt- und Nachhaltigkeitsgedanken in den Vordergrund. Nachhaltigkeit für Finanzmarktteilnehmer, Banken, Asset Manager und Versicherer soll zusehends durch regulatorische Regelungen bedacht werden. So sind Kreditinstitute durch die Baseler Konvergenzkriterien zur Vorhaltung von Eigenkapital in Proportion zu den von ihnen eingegangenen Kreditrisiken verpflichtet. Im neuen Kapitalakkord treten Liquiditätsvorgaben hinzu, die vor Bank Runs bewahren sollen. Die Baseler Regeln wirken letztlich in einem gewissen Rahmen, sie verhindern keine Bankenkrisen, sondern sind letztlich nur in der Lage, die Risikodisposition einer Bank transparenter zu machen und die Bankstrategen beim Eingehen von Risiken durch Auflagen zum Überdenken ihrer Geschäftspolitik zu bewegen.

GoingPublic: „Innovative Regulierung“, „Next Economy“ – wie sehen Sie die Zukunft in, sagen wir, 10, 15 oder 20 Jahren in Bezug auf Kapital- und Finanzmärkte?
Sonnenschein: Erstens Trends: Nachhaltigkeitsinvestments, ökologisch motivierte Kapitalanlagen, religiös motivierte Anlagen, z.B. Islamic Banking. Zweitens: Regulierung kann Bankenkrisen nicht verhindern, nur Ansteckungseffekte und systemische Risiken begrenzen. Und drittens das Problem Shadow-Banking: Finanzdienstleister am Auge des Regulierers vorbei.

GoingPublic: Sind Kapitalmärkte Ihrer Ansicht nach Treiber von Entwicklungen oder eher Getriebene?
Sonnenschein:
Sowohl als auch. Finanzdienstleister sind grundsätzlich wenig fortschrittlich bei der Adaption technologischer und prozessualer Innovation. Getrieben werden sie durch technologische Neuerungen, die sie aber auch zur Differenzierung im Wettbewerb gerne einsetzen, z.B. auch Fernberatung über Notebooks und Tablet PCs etc. Trends im Bereich Social Commerce und Trading halten auch Einzug im Banking und Handel, z.B. ayondo – Follow your Trader, eine Social-Trading-Plattform. Produktseitig ist der Innovationsbegriff zu häufig gebraucht, teilweise werden Nuancen einer Produktänderung schon als Innovation bezeichnet. Das hat auch in der Vergangenheit zu mehr Komplexität und Verwirrung geführt. In Zukunft werden wirkliche Innovationen wieder mehr auf Transparenz und Vereinfachung abzielen.

GoingPublic: Herr Dr. Sonnenschein, vielen Dank für Ihre interessanten Einblicke!

Dieser Artikel ist erschienen im GoingPublic Magazin 1/2013.

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