Prof. Dr. Peter Bofinger

Die Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi, Anleihen von Krisenländern unbegrenzt zu kaufen, verdrängte die Euro-Krise. Doch ein Ende der Krise scheint noch lange nicht in Sicht. Im Gespräch mit dem GoingPublic Magazin erklärt der Wirtschaftsweise Prof. Peter Bofinger, warum sich Europa weiterhin mitten in der Krise befindet und wie man den Euroraum langfristig stabilisieren könnte.

GoingPublic: Herr Prof. Bofinger, die Euro-Krisenländer, u.a. Irland und Spanien, haben sich frisches Geld zu guten Konditionen am Kapitalmarkt besorgt. Liegt damit der schlimmste Teil der Eurokrise hinter uns?
Bofinger:
Hier muss man zwei Teile der Krise unterscheiden: den finanz- und den realwirtschaftlichen Teil. Die Ankündigungen von EZB-Chef Mario Draghi, notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenländern an den Börsen zu kaufen, haben durchaus geholfen, die Finanzmarktlage zu entspannen. Aber im realwirtschaftlichen Bereich befinden wir uns nach wie vor mitten in der Krise. Und ein Ende ist nicht in Sicht, wie die Zahlen für das vierte Quartal gezeigt haben. Da stellt sich natürlich die Frage, woher so viele Leute den Optimismus nehmen, dass im Verlauf des Jahres alles besser wird. Es gibt viele objektive Faktoren, die dagegen sprechen.

GoingPublic: … die da wären?
Bofinger:
Ungünstig ist auf jeden Fall die Wechselkurswicklung. Hinzu kommen Lohnsenkungen in den Problemländern und natürlich auch die massive Sparpolitik, die in den meisten Euroländern betrieben wird. Aktuell macht die Finanzpolitik genau das Gegenteil von dem, was eigentlich erforderlich wäre. Daher wäre es ein kleines ökonomisches Wunder, wenn der Euroraum im Laufe dieses Jahres wie ein Phönix aus der Asche wieder aufsteht.

GoingPublic: Wann könnte denn dieses Wunder passieren?
Bofinger: Das wird noch eine Weile dauern. Die Prozesse, die momentan in vielen Ländern in Gang sind, machen diese ja nicht unbedingt stärker. Die hohe Arbeitslosigkeit führt zu einer Verschlechterung des Humankapitals. Die klugen Menschen wandern aus. Darüber hinaus bleiben Investitionen im Bildungssektor sowie im öffentlichen Bereich aus. Daher ist es aktuell schwer zu erkennen, wie und wann die Wende zum Besseren kommen soll. Die Krise geht durchaus an die Substanz der Länder. Es gibt zwar Ökonomen, die sagen, das sei gerade wie eine Art Fastenzeit und man gehe gestärkt und entschlackt aus dem Ganzen wieder hervor. Aber meines Erachtens ist es eher eine Art Magersucht, bei der der Organismus am Ende eher geschwächt dasteht.

GoingPublic: Die Sorge wächst, dass nach Italien auch Frankreich das neue Sorgenkind der EU werden könnte. Wie gefährlich wäre das für die Eurozone?
Bofinger:
Der Euroraum befindet sich in einer Rezession, und wenn der Wasserspiegel sinkt, sitzen immer mehr Länder auf dem Trockenen. Frankreichs Hauptabsatzmarkt ist vor allem Südeuropa.

GoingPublic: Und wann könnte der Wasserspiegel aufhören zu sinken?
Bofinger:
Vielleicht sollte man ihn nicht weiter sinken lassen, sondern den Teich am besten fluten, um den Spiegel zu halten. Länder wie Amerika verfolgen genau diesen Ansatz. Hier wurde versucht, die nach der Immobilienkrise unvermeidliche Restrukturierung der Wirtschaft mit hohen Defiziten durchzuführen – mit Erfolg.

GoingPublic: Wie sinnvoll ist es, kleinere, wirtschaftlich schwächere Staaten – vielleicht sogar für sich nicht lebensfähige – auf Biegen und Brechen im Euro zu halten?
Bofinger:
Die Schwierigkeit ist, dass wir es in diesem Fall mit vielen Ländern zu tun haben. Und sollte ein Land ausscheiden, wird schnell darüber spekuliert, wer der nächste sein könnte. Die Befürchtung eines Auseinanderbrechens des Euroraums hat Draghi mit dem Anleihekaufprogramm aus dem Weg geräumt. Sollte diese Angst aber wieder hochkochen, kommen die ganzen Kapitalfluchtphänomene wieder zurück. Daher halte ich es für ein Spiel mit dem Feuer. Man sollte versuchen, Ländern wie Griechenland die Mittel zu geben, damit sie einigermaßen über die Runden kommen.

GoingPublic: D.h. den Euro weiterhin zu unterstützen?
Bofinger:
Ja, denn gerade Deutschland hat ein starkes ökonomisches Interesse daran, dass der Euro zusammenbleibt. Und dieser Fakt müsste uns dann – eigentlich – auch einiges wert sein….

GoingPublic: Setzt 2013 eine Konsolidierungswelle in den schuldengeplagten Staaten ein oder wird der öffentliche Widerstand zu groß werden?
Bofinger:
Es sind ja schon viele Maßnahmen zur Rückführung der Defizite geplant. Das Problem ist eher, dass die Maßnahmen wegen ihrer Bremswirkungen auf die Konjunktur nicht zu der Konsolidierung führen, die man sich wünscht.

GoingPublic: Wie gefährlich wäre eine europäische Rezession für die deutsche Wirtschaft – immerhin war das Q4-BIP schon leicht negativ?
Bofinger:
Man muss hier klar sehen, dass Deutschland in den letzten Quartalen nur durch die Außenwirtschaft gewachsen ist. Die Binnenwirtschaft hingegen hat sich negativ entwickelt. Die Vorstellung, dass die Bundesrepublik eine Konjunkturlokomotive für Europa ist, hat sich einfach nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, wir importieren wirtschaftliche Dynamik aus dem Ausland, das heißt wir lassen uns von anderen Lokomotiven ziehen. Gerade die Amerikaner haben uns in den letzten fünf Monaten gezogen. Dort hat unsere Wirtschaft im letzten Jahr die stärksten Zuwächse im Export erzielen können.

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