Fondsmanager Ingo Speich (r.) während des Interviews mit Oliver Bönig vom HV Magazin in den Räumen von Union Investment. Foto: Maximiliane Worch

Regelmäßige Besucher von Hauptversammlungen kennen Ingo Speich. Der Fondsmanager von Union Investment ist meist einer der ersten Redner in der Generaldebatte. Auch seine Vorträge bleiben im Gedächtnis. Denn er legt besonderen Wert auf die gerne zitierte Nachhaltigkeit, weiß aber auch, wovon er spricht. Im Interview mit dem HV Magazin erläutert Speich, worauf es ihm dabei ankommt, und blickt auf die kommende HV-Saison hinaus.

HV Magazin: Herr Speich, Nachhaltigkeit spielt sowohl bei Ihren Investmententscheidungen als auch bei Ihren Redebeiträgen auf Hauptversammlungen eine große Rolle. Was sind dabei die wichtigsten Kriterien?
Speich: Speziell bei Hauptversammlungen haben wir die Herausforderung, dass Nachhaltigkeit kein eigener Tagesordnungspunkt ist. Das heißt, auch wenn Verstöße stattgefunden haben, sind Nachhaltigkeitskriterien in der HV-Agenda nicht vorgesehen. Daher behandeln wir die Themen natürlich in unseren Redebeiträgen. Nachhaltigkeitsthemen können allerdings nur indirekt abgebildet werden, z.B. indem man den Vorstand nicht entlastet, wenn Verstöße gegen solche Kriterien vorliegen. Bei der Vergütung sollten übrigens immer nachhaltige Faktoren berücksichtigt werden.

HV Magazin: Wie reagieren die Unternehmen darauf?
Speich: Mir gegenüber sind die Unternehmen sehr offen. Das hängt sicher damit zusammen, dass wir keine ideologischen oder emotionalen Beweggründe haben. Es ist schon sehr konkret. Dabei geht es um die Risiko- und Ertragskomponenten des Unternehmens, die wir ansprechen. Wir versuchen dabei, unseren Standpunkt immer durch konkrete Zahlen zu untermauern. Selbst bei kritischeren Unternehmen kommt so immer eine vernünftige Diskussion zustande.

Entscheidungen zu nachhaltigen Investments sind inzwischen mehr als eine moralische Frage, ihre Widerspiegelung in HVs lässt aber noch zu wünschen übrig. Foto Panthermedia/KrishnaKumar Sivaraman

HV Magazin: Wie häufig kommunizieren Sie mit den Unternehmen?
Speich: Die Hauptversammlung ist nur ein Baustein in der Kommunikation mit den Unternehmen. Gerade von den großen DAX-Unternehmen besuchen uns regelmäßig der CEO oder der CFO. Sie wissen, dass wir zur HV kommen, und sprechen die Themen, die uns beschäftigen, im Einzelgespräch selbst an. Die HV ist von der Wirkungsweise sicher medial wichtig, ein einstündiges One-on-One bringt uns aber inhaltlich natürlich viel mehr. Wir führen jährlich mehr als 4.000 Gespräche mit Unternehmensvertretern. Die HV ist ein weiterer Kommunikationskanal – aber für mich in der Kommunikation mit dem Management nicht der wichtigste.

HV Magazin: Sprechen Sie auch mit den Aufsichtsräten?
Speich:
Die Hauptversammlung ist häufig die einzige Möglichkeit, die Aufsichtsräte gezielt anzusprechen – auch was die Unternehmensstrategie angeht. Sonst sind wir meist mit den IR-Managern oder Vorständen in Kontakt. Da wir häufig bei HVs vorne auf der Rednerliste sind, erregt das auch entsprechend Aufmerksamkeit beim Aufsichtsrat. In einigen Fällen wurden wir im Anschluss an die HV bewusst vom Unternehmen angesprochen, weil der Aufsichtsrat noch Fragen hatte. Bei einigen Gesellschaften gehört es zudem inzwischen zum guten Ton, dass sich der Aufsichtsratsvorsitzende mit uns unterhält.

HV Magazin: Schließen Sie sich bei Abstimmungen auch schon mal im Vorfeld der HVs mit anderen Investoren zusammen?
Speich: Man tauscht sich natürlich aus. Es ist aber nicht so, dass wir gebündelt abstimmen. Über die Clearing-Plattform der UN-PRI schließen wir uns mit anderen internationalen Investoren zusammen und bilden ein sogenanntes „collaborative engagement“, indem wir ein spezielles Themenfeld bearbeiten. Nachhaltige Fischerei war z.B. ein Thema, das wir über diese Initiative in den letzten zwölf Monaten bearbeitet haben. Die Unternehmen, mit denen man sich beschäftigt, werden unter den Investoren aus z.B. Nordamerika, Australien und Europa aufgeteilt. Wenn wir also beispielsweise die Metro ansprechen, stehen die Aktien der gesamten Initiative hinter uns. Im Gegenzug spricht unser australischer Partner eine vergleichbare Supermarktkette in seiner Heimat an.

HV Magazin: Was erwarten Sie konkret von der kommenden HV-Saison – zwischen Eurokrise und vollen Auftragsbüchern?
Speich: Aus meiner Sicht wird sich die nächste HV-Saison ähnlich gestalten wie die diesjährige. Es sind also bestimmte Dauerbrenner, die dominieren werden: CO2-Ausstoß, Arbeits- und Menschenrechte und bei den sozialen Komponenten die Komplex Diversity – hier bewusst aber nicht nur die Frauenquote, sondern auch etwa Internationalität und Qualifikation. Zudem werden wir die Aufsichtsratsvergütung ansprechen, wo wir noch Nachholbedarf in der Berichterstattung und der Ausgestaltung der Programme sehen. In der Vorstandsvergütung treten wir in eine interessante Phase, nachdem 2009 durch VorstAG der Rahmen gesetzt wurde und nun erste Erfahrungen vorliegen. Hier wird zu prüfen sein, bei welchem Unternehmen Nachbesserungen nötig sind – entweder weil die Programme zu lax sind oder weil sie in die falsche Richtung laufen. Wir fordern, dass nachhaltige Komponenten auch in der Vergütung berücksichtigt werden, insbesondere bei Long-Term-Incentive-Plänen. Generell ist zu hinterfragen, ob die Hürden für diese Programme richtig gesetzt sind. Der dritte große Punkt neben Umwelt- und sozialen Fragestellungen sind die fundamentalen Themen. Inwieweit führen Konjunkturentwicklung und Eurokrise zu Risiken für das Geschäftsmodell?

HV Magazin: Welche HVs könnten besonders spannend werden? Welche Branchen werden besonders im Visier der Investoren sein?
Speich: Prinzipiell sind die HVs spannend, die zu Beginn des Jahres stattfinden, weil sie die Richtung vorgeben. Daneben finde ich Hauptversammlungen besonders interessant, die groß sind, wie Siemens oder Daimler, und wo es emotional und kontrovers zugeht, wie zuletzt in der Versorgerbranche.

HV Magazin: Inwiefern engagieren Sie sich auch bei ausländischen Emittenten?
Speich: Ich war selbst im letzten Jahr bei Iberdrola in Spanien, wo ich auch eine Rede gehalten habe. Insgesamt stimmen wir jährlich bei über 1.100 Hauptversammlungen über Proxy Voting ab – sowohl für unsere Eigenbestände als auch für unsere Kunden. Und das weltweit.

HV Magazin: Wie nehmen Sie ausländische HVs wahr? Was ist dort anders?
Speich: Es ist zum einen häufig ein kultureller Unterschied, und zum anderen weichen die gesetzlichen Vorgaben von den deutschen ab. Teilweise gibt es kein Rederecht, oder die Hauptversammlungen werden innerhalb von einer halben Stunde abgewickelt. Dann ist es nicht sinnvoll, die Hauptversammlung als Medium für unsere Botschaften zu verwenden.

HV Magazin: Welche Weichenstellungen wünschen Sie sich, um die Aktionärsrechte in Deutschland noch effektiver wahrnehmen zu können?
Speich: Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann sollten die Nachhaltigkeitsinhalte in den Deutschen Corporate Governance Kodex einfließen. Der Trend geht ganz klar in Richtung von Umwelt- und sozialen Themen. Das muss auch in der Hauptversammlung Berücksichtigung finden. Derzeit ist es für die Unternehmen jedoch rechtlich schwierig, das umzusetzen, selbst wenn sie es wollen. Der deutsche Nachhaltigkeitskodex ist ein erster Schritt. Nur leider wurde es versäumt, ihn in den Deutschen Corporate Governance Kodex zu integrieren. Von den Unternehmen und Depotbanken würde ich mir wünschen, dass wir ein Feedback bekommen, wie abgestimmt wurde. Wir stecken sehr viel Aufwand in die Analyse für unser Abstimmungsverhalten, was wir über Proxy Voting weitergeben, bekommen aber keine Rückmeldung, wie abgestimmt wurde. Das würde aber der Qualitätssicherung dienen.

HV Magazin: Herr Speich, vielen Dank für das interessante Gespräch!

Dieses Interview ist erschienen im HV Magazin 3/2012.

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