Dr. Andreas Meyer-Landrut, Partner, DLA Piper

Die Frage, ob ein Unternehmen beherrscht wird, hat weitreichende Folgen u.a. für das Vorliegen eines faktischen Konzerns (§§ 311 ff. AktG), die Zurechnung von Stimmrechten für Mitteilungspflichten (§§ 20, 21 AktG, §§ 21, 22 WpHG), den Begriff des „kontrollierenden Aktionärs“ i.S.v. Ziff. 5.4.2 DCGK sowie etwaige Konsolidierungspflichten. In seiner Entscheidung vom 15.12.2011 hat sich der BGH mit den Anforderungen einer Beherrschung insbesondere aufgrund einer faktischen Hauptversammlungsmehrheit auseinandergesetzt.

Beklagte war in dem vom BGH entschiedenen Fall die Deutsche Post AG, deren größter Einzelaktionär mit einem Anteil von 30,5% die in Bundes- und Landeseigentum stehende Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ist. Interessenverbände der Zeitungsverleger und Anzeigenblätter beanstandeten, dass die Deutsche Post AG über ihre Zusteller eine Werbesendung verteilt, die auch redaktionelle Beträge enthält, was einen Verstoß gegen das aus der Pressefreiheit abgeleitete Gebot der Staatsferne der Presse darstelle. Eine solche Grundrechtsbindung der Deutsche Post AG würde allerdings voraussetzen, dass die Gesellschaft staatlich, also vom Bund und den Ländern (mittelbar über die KfW), beherrscht wird.

Die Prüfung dieser Frage gab dem 1. Zivilsenat des BGH nach längerer Zeit wieder Gelegenheit, Aussagen zum Abhängigkeitstatbestand nach § 17 Abs. 1 AktG zu machen. Gemäß der bisherigen Linie der BGH-Rechtsprechung kann ein beherrschender Einfluss trotz fehlender Mehrheitsbeteiligung vorliegen, wenn die abstrakte Möglichkeit einer beständigen und umfassenden gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflussnahme besteht. Diese könne unter anderem auch dann gegeben sein, wenn die Hauptversammlungen einer Aktiengesellschaft aufgrund der Höhe des Streubesitzes erfahrungsgemäß so schlecht besucht sind, dass die unter 50% liegende Beteiligung eines Aktionärs regelmäßig ausreicht, um für einen längeren Zeitraum Beschlüsse mit einfacher Mehrheit durchzusetzen.

Ein 30,5%-Anteil der Stimmrechte reicht im Allgemeinen nicht für eine faktische Mehrheit auf der HV. Foto: PantherMedia / ginasanders

Hier lag der Fall relativ klar, da die HV-Präsenz der Gesellschaft „in den letzten Jahren“ mind. 67% betrug, sodass der 30,5%-Anteil der KfW eindeutig nicht zu einer faktischen HV-Mehrheit führte. Auch eine mögliche Einflussnahme bei der Besetzung des Postens des Vorstandsvorsitzenden sowie der Umstand, dass ein Staatssekretär/Vorstandsmitglied der KfW im Aufsichtsrat der Gesellschaft vertreten sei bzw. die Möglichkeit, ein Mitglied des Aufsichtsrats zu bestellen, waren nach Ansicht des BGH nicht ausreichend, um eine Beherrschung zu begründen. Das gleiche gelte für eine Kontrolle i.S.d. § 29 Abs. 2 WpÜG (mind. 30% der Stimmrechte), da der formale Kontrollbegriff des Übernahmerechts an den spezifischen Zwecken des WpÜG (Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts) ausgerichtet sei.

Die Frage, die sich in der Praxis immer wieder stellt, nämlich ab wie vielen Hauptversammlungen mit faktischer Präsenzmehrheit von einer beständigen und umfassenden Einflussnahmemöglichkeit auszugehen ist, konnte der BGH also offen lassen. In der (insbesondere bilanzrechtlichen) Literatur wird dazu teilweise unter Verweis auf die Wertung in § 9 S. 2 Nr. 2 WpÜG-AngebVO vertreten, dass eine Kontrolle nicht vorliegt, wenn aufgrund des in den zurückliegenden drei ordentlichen Hauptversammlungen vertretenen stimmberechtigten Kapitals nicht zu erwarten sei, dass ein Aktionär in der Hauptversammlung über mehr als 50% der vertretenen Stimmrechte verfügen werde. Wenn allerdings aufgrund eines Stimmrechtserwerbs sicher oder jedenfalls zu erwarten sei, dass der Aktionär in der nächsten Hauptversammlung über eine Mehrheit verfügen werde, solle bereits mit dem Erwerb ein beherrschender Einfluss angenommen werden können.

Fazit:
Schon mit Erreichen der Präsenzmehrheit in der Hauptversammlung, die nicht auf einmaligen Umständen beruht, ist sorgfältig zu prüfen, ob nicht ein beherrschender Einfluss mit allen damit verbundenen Konsequenzen vorliegt. Dabei ist ein Blick auf die vergangenen Hauptversammlungspräsenzen und eine Prognose der künftigen Hauptversammlungsmehrheiten erforderlich.

Dieser Artikel ist erschienen im HV Magazin 4/2012.

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