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Der Koalitionsvertrag 2025 der Union und SPD setzt ambitionierte Ziele, um Deutschland zum weltweit innovativsten Chemie-, Pharma- und Biotechnologiestandort zu machen. Die Biotechnologie wird im Vertrag explizit als Schlüsselindustrie beschrieben, mit einem Fokus auf Technologien wie „genomische Techniken“ und „Entwicklung neuer Wirkstoffe und Therapien durch die lebenswissenschaftliche, molekularbiologische und pharmazeutische Forschung“. Auch Begriffe wie „regulatorische Erleichterungen“ oder „Präventions-, Präzisions- und personalisierte Medizin“ verdeutlichen die Absicht, innovative Ansätze zu fördern.[1] All diese Formulierungen zeigen die Bereitschaft, die deutsche Biotechbranche zu unterstützen. Doch wie kann Deutschland seine Biotechposition im Vergleich zu Europa und den USA nachhaltig stärken? Von Charlotta Winter und Dr. Fábia Lobo

Das Investitionsklima in Deutschland spielt eine wesentliche Rolle für die Entwicklung des Biotechsektors.

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Deutsches Investitionsklima

Die finanzielle Performance des deutschen Biotechsektors zeigt laut EY-Report 2025 ein gemischtes Bild aus Stagnation bis hin zu Rückgang.[2] Obwohl im Jahr 2024 ein Firmenzuwachs von 2% und ein Anstieg der Ausgaben für Forschung und Innovation (FuI) von 4% zu verzeichnen waren, stehen diesem Fortschritt auch Herausforderungen gegenüber. Ein Rückgang von -5% bei den Mitarbeiterzahlen und ein Umsatzabfall von -8% spiegeln strukturelle Schwächen wider. Dabei ist die Zahl der privaten Biotechfirmen auf 785 (+3%), mit 39 Start-Ups (+63%), gestiegen. Die Zahl der Beschäftigten ist jedoch um -9% auf 56.093 gesunken. Im Jahr 2024 verzeichnete der deutsche Biotechsektor zudem einen erheblichen Anstieg der Finanzierungen, wobei die Gesamtfinanzierung auf 1,9 Mrd. EUR (+78) anstieg. Dieser Aufwärtstrend wurde aber bereits im ersten Quartal 2025 deutlich gebremst, als insgesamt nur 130 Mio. EUR (-78%) aufgebracht wurden (siehe Abbildung 1). Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit Investitionen von 0,02% des BPI deutlich hinter den USA, die 0,07% investierten.

Abbildung 1: Kapitalaufnahme deutscher Biotechfirmen (2019-Q1 2025) BPI basierend auf © EY Biotech Report
Abbildung 1: Kapitalaufnahme deutscher Biotechfirmen (2019-Q1 2025) BPI basierend auf © EY Biotech Report 2025

In diesem komplexen Umfeld bleibt die Onkologie ein wichtiger Investitionsschwerpunkt. Acht der zehn größten Finanzierungsrunden entfielen auf diesen Bereich. Dies ist ein klarer Hinweis auf den hohen medizinischen Bedarf und das Renditepotenzial dieses Sektors. Besonders gefragt waren Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, die die Hälfte der Top-Deals ausmachten, getrieben von starken M&A- und Lizenzaktivitäten. Zudem gewinnen auch Radiopharmazeutika sowie immunonkologische Ansätze und bifunktionale Antikörper zunehmend an Bedeutung. Dieses Interesse an der Onkologie zeigt, dass trotz der Herausforderungen im deutschen Biotechsektor, in bestimmten Bereichen weiterhin robuste Investitionen fließen.

… europäische Chancen …

Im Gegensatz zur Stagnation in Deutschland verdeutlichen die Zahlen aktueller Studien[2], dass europäische und auch US-amerikanische börsennotierte Biotechfirmen ein Umsatzwachstum von 7% und ein Umsatz von 205,4 Mrd. US-Dollar verzeichnen. Europa hat die Dringlichkeit und das Potenzial eines Biotech-Boosts erkannt und erarbeitet derzeit nicht nur den EU Biotech Act, um die Wettbewerbsfähigkeit und die strategische Autonomie des EU-Biotechsektors zu stärken. Auch andere Initiativen, wie die Life Science Strategie, das neue EU-Forschungsrahmenprogramm FP10, der geplante European Competitiveness Fund für FuI-Finanzierungen oder der European Innovation Act stehen aktuell auf der Agenda. All diese Initiativen schaffen ein attraktives Umfeld für Biotechinnovationen.[2]

… und ein Blick in die USA

Die USA hingegen kennzeichnen sich durch eine außerordentlich risikobereite Investitionslandschaft und eine flexible Zulassungsbehörde. Zudem erreichen sie höhere Dealvolumina (im Median 10,8 Mio. EUR) im Vergleich zu Europa (4,6 Mio. EUR) und Deutschland (6,8 Mio. EUR). Darüber hinaus ist das Gesamtkapital, das in den USA in börsennotierte Biotechunternehmen investiert wird mit 14,7 Mrd. EUR viermal so hoch wie in Europa. Dies unterstreicht ihre marktorientierte Herangehensweise, Innovationen im Biotechsektor zu unterstützen und auf den Markt zu bringen.[2] Zu der hohen Risikobereitschaft profitiert der US-Markt aber auch von seiner agilen Zulassungsbehörde. Die Food and Drug Administration (FDA) beschleunigt nach internen Reformen wieder Genehmigungsprozesse.[3] Laut dem Stifel Biopharma Market Update trieb dies die Biotech-Börsenkurse global seit April 2025 um bis zu 61% nach oben.[4] Für europäische Firmen bietet dies Chancen, erfordert aber Expertise in US-Regulatorik und Marktzugang.

Wünsche für die nächsten vier Jahre

Damit Deutschland in den nächsten vier Jahren im globalen Wettbewerb aufholt, sind mehrere strategische Schritte nötig. Die Politik sollte konkrete Förderprogramme für Start- und Scale-Ups, Small und Mid Caps oder Hochrisiko-FuI auflegen, dazu gehören nicht nur steuerliche Anreize, sondern auch spezielle Fonds. In diesem Zusammenhang sollten wir dafür sorgen, dass Finanzierungslücken insbesondere in der Frühphase, etwa durch Venture Capital oder Public-Private-Partnerships geschlossen werden. Eine effizientere Nutzung europäischer Synergien ist ebenfalls notwendig, um den deutschen Biotechsektor zu stärken.[5]

Innovationen, Kapital und Politik sind der Schlüssel

Die deutsche Biotechindustrie ist stark und hat das Potenzial im internationalen Vergleich aufzuholen. Politisch scheint die Richtung klar zu sein und auch die europäischen Rahmenbedingungen stimmen. Doch nur durch entschlossene Maßnahmen kann der Standort im internationalen Wettbewerb dauerhaft gestärkt werden. In den kommenden vier Jahren kommt es also darauf an, die strategisch orientierte Biotechpolitik konsequent umzusetzen, gezielt Förderprogramme zu nutzen und verstärkt auf europäische Integration zu setzen. Deutschland kann seine Biotechnologiebranche nachhaltig und international konkurrenzfähig machen, wenn es die richtige Mischung aus Innovation, Investitionen und politischer Unterstützung findet.

Quellen:

[1] https://www.koalitionsvertrag2025.de/sites/www.koalitionsvertrag2025.de/files/koav_2025.pdf
[2] German Biotechnology Report 2024. Can the German biotech sector catch up in the global race? German Biotechnology Report 2025
[3] https://www.stifel.com/newsletters/investmentbanking/bal/marketing/healthcare/biopharma_timopler/2025/BiopharmaMarketUpdate_042825.pdf
[4] https://www.stifel.com/newsletters/investmentbanking/bal/marketing/healthcare/biopharma_timopler/2025/BiopharmaMarketUpdate_071425.pdf
[5] 2025-06-10_BPI_StN_Biotech_Act_Call_for_evidence.pdf

Autor/Autorin

Charlotta Winter
Charlotta Winter
Referentin Innovation & Forschung at  | Website

Charlotta Winter ist Referentin für Innovation & Forschung im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI e.V.).

Dr. Fábia Lobo
Dr. Fábia Lobo
Referentin Innovation & Forschung at  | Website

Dr. Fábia Lobo ist Referentin im Bereich Innovation & Forschung im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI e.V.).