Standortwahl bei Börsenneulingen

Abseits der großen DAX-Unternehmen lohnt sich auch ein Blick auf die Börsenneulinge. Sie blicken schließlich meist auf keinerlei Erfahrungswerte zurück, wenn es um die Wahl der HV-Location geht. Abspaltungen wie die Energieunternehmen Innogy und Uniper sind da im Vorteil, da sie sich nach ihren einstigen Mutterkonzernen richten konnten. Insofern ist es keine Überraschung, dass die ersten Hauptversammlungen von Innogy und Uniper ebenso wie die Aktionärstreffen von RWE und E.ON jeweils in der Essener Grugahalle stattfanden.

Eine wesentlich anspruchsvollere Aufgabe dürfte die Premieren-HV für „echte“ Börsenneulinge sein, die nicht auf Erfahrungen und Synergien ehemaliger Konzernmütter zurückgreifen können. Das hessische Biotechnologieunternehmen Brain feierte im Februar 2016 sein Börsendebüt. Da das Geschäftsjahr bei Brain am 1. Oktober beginnt, fand die Premieren-HV am 9. März 2017 statt. Bei der Wahl der Location traf das Unternehmen eine naheliegende Entscheidung, wie Thomas Deichmann, Head of Public Relations bei Brain, erläutert: „Brain ist ein global agierendes Unternehmen der Bioökonomie und gleichzeitig in der Region Darmstadt und hessische Bergstraße fest verankert. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ein relativ hoher Anteil unserer Privataktionäre aus der Region kommt und viele davon an unserer ersten HV und der anschließenden Betriebsbesichtigung teilgenommen haben. Zwingenberg inmitten der Metropolregion Rhein-Main-Neckar ist zudem gut erreichbar, weshalb uns die Entscheidung leichtfiel, unsere HV in der Melibokushalle abzuhalten. Daran werden wir aller Voraussicht nach 2018 festhalten.“

Seit 30. September letzten Jahres ist das auf thermische Isolation spezialisierte Würzburger Technologieunternehmen va-Q-tec börsennotiert. Für die erste Hauptversammlung, die am 19. Juni 2017 stattfand, galt es also, einen passenden Veranstaltungsort zu ermitteln. „Wir haben eine ansprechende Tagungs-Location in Würzburg gesucht, die in der Lage sein sollte, die Hauptversammlung effizient und qualitätsbewusst umsetzen zu können“, berichtet Felix Rau, IR-Manager bei va-Q-tec. „Im CCW haben wir uns wegen der attraktiven, zentralen Lage, der sehr guten Beratung und der hervorragenden Umsetzung der HV besonders wohlgefühlt. Zusätzlich wurde flexibel und serviceorientiert auf Sonderwünsche bei unserer ersten Hauptversammlung als börsennotierte Gesellschaft reagiert.“ So steht bereits fest, dass auch das zweite Aktionärstreffen von va-Q-tec 2018 im Congress Centrum Würzburg stattfinden wird.

 

Nähe zum Firmensitz

Kurze Wege sind nicht nur für Börsenneulinge ein wichtiges Kriterium für die Standortwahl bei der Hauptversammlung. 63% der Aktionärstreffen finden nicht weiter als 10 km vom jeweiligen Firmensitz entfernt statt. Das entspricht genau der Quote des Vorjahres. So liegen die Hauptversammlungs-Hochburgen auch wieder dort, wo die meisten Emittenten zu Hause sind: München führt mit deutlichem Abstand vor Frankfurt am Main, das sich den zweiten Platz nun jedoch mit Berlin teilen muss. Die Bundeshauptstadt zieht auch Unternehmen an, die ihren Sitz woanders haben: Für Daimler ist der Weg mit über 600 km vom Stuttgarter Firmensitz zum Berliner CityCube am weitesten. Auch Rheinmetall aus Düsseldorf und Scout24 aus München luden ihre Aktionäre nach Berlin ein.

Neben München, Frankfurt und Berlin ist Hamburg ein weiterer „HV-Hotspot“. Regionale Konzentrationen von Hauptversammlungen zeigt die Deutschland-Karte (auf Seite XX) außerdem im Rheinland und Ruhrgebiet sowie im Südwesten zwischen Mannheim und Stuttgart. Kaum Aktionärstreffen finden dagegen in der Mitte und im Osten Deutschlands (außerhalb von Berlin) statt.

Konzentration im Mai

Noch stärker als in regionaler Hinsicht ist die zeitliche Konzentration der Hauptversammlungen, die 2017 sogar nochmals zugenommen hat. Der Mai ist traditionell der beliebteste HV-Monat. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Anteil der Aktionärstreffen, die im Wonnemonat stattfinden, sogar nochmals von 36,5 auf 42,4%. Offensichtlich haben einige Emittenten ihren HV-Termin etwas vorverlegt. Der Juni-Anteil sank von 29,6 auf 26%. Nur 24 ordentliche Hauptversammlungen aus dem April fanden Eingang in die Statistik, was einem Anteil von gerade einmal 6,3% entspricht. Darunter waren allerdings bereits acht Hauptversammlungen aus dem DAX30 und dagegen nur sechs Aktionärstreffen von Unternehmen, die keinem Auswahlindex angehören.

32,3% der Hauptversammlungen fanden an einem Mittwoch statt, der damit den Donnerstag, der in diesem Jahr nur noch auf einen Anteil von 23,7% kommt, als beliebtesten Wochentag abgelöst hat. Während je knapp 20% der Hauptversammlungen an einem Dienstag oder Freitag stattfinden, spielt der Montag mit einem Anteil von 4,4% kaum eine Rolle.

Zusammenfassung

Die meistgebuchte HV-Location 2017 ist das Haus der Bayerischen Wirtschaft in München. Insgesamt 14 Hauptversammlungen von Unternehmen aus dem Prime und General Standard sowie dem erstmals in der Statistik berücksichtigten Segment Scale fanden dort statt. Mit zwölf Aktionärstreffen landet der Erstplatzierte der letzten Jahre, das Konferenzzentrum München der Hanns-Seidel-Stiftung, diesmal auf dem zweiten Rang. Im kommenden Jahr wird es nicht mehr in der Statistik auftauchen, da es künftig nicht mehr für Hauptversammlungen zur Verfügung steht.

Kongresszentren und Konferenzräume sind mit einem Anteil von jeweils 22% weiterhin die beliebtesten Locations-Kategorien für Hauptversammlungen. Hotels erfreuten sich in dieser HV-Saison gerade bei kleineren Emittenten größerer Beliebtheit, während sonstige Räumlichkeiten, Stadthallen und Arenen Marktanteile einbüßten.

München bleibt die HV-Hochburg Deutschlands. 16,1% der Aktionärstreffen finden in der bayrischen Landeshauptstadt statt. Dahinter folgen Frankfurt und Berlin mit jeweils 10,2% sowie Hamburg mit 8,1%. Das gesamte Postleitzahlengebiet 8…. rund um München kommt auf 20,8%, gefolgt vom Postleitzahlengebiet 6…., der Rhein-Main-Region mit Frankfurt, mit 17,7%.

Die meisten Unternehmen setzen auf kurze Wege zwischen Firmensitz und HV-Location. Bei lediglich 11% war die Entfernung größer als 50 km. Der arithmetische Durchschnitt der Strecke zwischen Firmensitz und Tagungsort lag bei 35,9 km, der Median, der Ausreißer wie die Daimler-HV nicht so stark berücksichtigt, bei lediglich 6,2 km.

Die Hauptversammlungstermine konzentrieren sich immer stärker im Mai. Ein früheres Datum wählen vornehmlich große Index-Unternehmen, während bei kleineren Gesellschaften auch der Juni nach wie vor beliebt ist. 18% der Hauptversammlungen fallen in das zweite Halbjahr.

Die Methodik der Datenerhebung und -auswertung

Die Grundgesamtheit der diesjährigen HV-Location-Studie bilden sämtliche Unternehmen, die im Regulierten Markt sowie – in diesem Jahr erstmals mit aufgenommen – im Freiverkehrssegment Scale der Frankfurter Wertpapierbörse gelistet sind. Zum Stichtag (22. August) waren dies 508 Gesellschaften. Von ihnen erfüllen 306 Emittenten die höchsten Transparenzanforderungen der Deutschen Börse AG (Prime-Standard-Unternehmen), 156 Werte notieren im General Standard, die übrigen 46 im Scale. Nicht weiter betrachtet wurden die ausländischen Gesellschaften dieser drei Gruppen. Für die restlichen Firmen wurden jeweils der Termin und die Örtlichkeit der ordentlichen Hauptversammlung 2017 erfasst. Als Quellen dienten dabei die Internetseiten der Gesellschaften sowie ergänzend der elektronische Bundesanzeiger (www.bundesanzeiger.de). In der eigentlichen Auswertung unberücksichtigt blieben selbstverständlich die Emittenten, die 2017 keine Hauptversammlung abhalten, beispielsweise weil sie sich in der Insolvenz befinden. Eliminiert wurden zudem die Aktionärstreffen, bei denen der Tagungsort zum Stichtag noch unbekannt war. Damit beziehen sich die statistischen Aussagen für das Jahr 2017 grundsätzlich auf die ordentlichen Hauptversammlungen von 264 Prime-Standard-, 79 General-Standard- und 41 Scale-Unternehmen, insgesamt somit auf 384 Veranstaltungen. Aussagen zur Vergangenheit beziehen sich auf die in den jeweiligen Jahren vom HV Magazin erfassten Aktionärstreffen.