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Die wachsende Komplexität und Internationalität von M&A-Transaktionen erhöht die Nachfrage nach W&I-Versicherungen – insbesondere nach Blind-Spot-Deckungen. Dem Versicherungsnehmer bieten sie gezielten Schutz für unzureichend geprüfte Risiken und sind somit eine wertvolle Ergänzung zu einer sorgfältigen Due Diligence. Von Dr. Nicolas Seyler
Warranty-&-Indemnity-(W&I-)Versicherungen erfreuen sich auf dem europäischen Markt seit Jahren wachsender Beliebtheit. Sie erleichtern Transaktionen, reduzieren Risiken und bieten Käufern wie Verkäufern finanzielle Sicherheit. Dieser Trend wird durch die zunehmende Komplexität und Internationalität von M&A-Transaktionen zusätzlich verstärkt, da ein professioneller und effizienter Risikotransfer zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Der Kernzweck einer W&I-Versicherung liegt darin, Käufer vor unvorhergesehenen Risiken zu schützen. Sie ist jedoch nicht dazu bestimmt, bereits identifizierte und bewusst akzeptierte Risiken zu übernehmen. Versicherer gewähren daher nur dann Deckung, wenn im Rahmen des Underwriting-Prozesses keine wesentlichen Risiken festgestellt werden. Grundlage dieser Prüfung bilden die Offenlegung des Verkäufers und die Due Diligence des Käufers. Je sorgfältiger diese erfolgt, desto umfassender kann auch der Versicherungsschutz ausfallen.
Blind-Spot-Deckung zur Schließung von Prüfungslücken
In der Praxis stehen Käufer jedoch insbesondere in kompetitiven Bieterverfahren unter erheblichem Zeit- und Kostendruck. Die Due Diligence konzentriert sich daher häufig auf zentrale Risikobereiche wie Steuern, Finanzen oder regulatorische Themen sowie auf die wichtigsten Gruppengesellschaften oder Umsatzjurisdiktionen des Zielunternehmens. Weniger bedeutende Themenfelder oder kleinere Märkte werden dagegen oft nur oberflächlich oder gar nicht untersucht. Da eine vollständige Analyse sämtlicher Bereiche regelmäßig zu aufwendig wäre, steigt das Interesse der Käufer an Versicherungsschutz für unzureichend geprüfte oder gar nicht geprüfte Risiken – die sogenannten Blind Spots.
Für Versicherer wirkt die Deckung von Blind Spots auf den ersten Blick wie ein unkalkulierbares Risiko. Allerdings ist nicht jede Blind-Spot-Deckung gleich. Zu unterscheiden ist insbesondere zwischen der herkömmlichen Blind-Spot-Deckung und der sogenannten True-Blind-Spot-Deckung. Bei ersterer wird zwar keine käuferseitige Due Diligence durchgeführt, jedoch liegen im Datenraum offengelegte Informationen des Verkäufers vor, auf deren Basis der Versicherer Risiken einschätzen oder sich auf die faire Offenlegung stützen kann. Für den Versicherungsnehmer hat dies zur Folge, dass auch vermeintlich gedeckte Blind Spots von der Deckung ausgeschlossen sein könnten. Bei der True-Blind-Spot-Deckung hingegen fehlen sowohl Due Diligence als auch Offenlegung, sodass dem Versicherer keine Datenbasis für eine Risikobewertung zur Verfügung steht. Für den Käufer kann dies jedoch einen entscheidenden Vorteil bedeuten, da die Versicherung genau diese Informationslücke absichert und der marktgängige Policenhaftungsausschluss für Schäden resultierend aus offengelegten Sachverhalten nicht greift.
Schlüsselfaktoren bei der Bewertung von Blind Spots
Die Bewertung von Blind Spots ist daher ein zentraler Bestandteil des Underwritings. Dabei werden insbesondere finanzielle Relevanz, Art des Risikos, geografischer Kontext und Qualität der Dokumentation berücksichtigt. Risiken, deren potenzieller Schaden unter dem De-Minimis liegen oder in Anbetracht des vereinbarten Selbstbehalts vernachlässigbar sind, werden in der Regel als weniger wesentlich eingestuft. Branchenkenntnisse und Unterlagen wie Steuerbescheide oder Angaben zu anhängigen Rechtsstreitigkeiten dienen hierbei als wichtige Indikatoren zur Erstellung des Risikoprofils.
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Zudem ist zwischen steuerlichen und nichtsteuerlichen Risiken zu unterscheiden. Steuerliche Risiken sind einerseits meist von Natur aus risikoträchtiger, aber zumindest meist klar abgrenzbar und leichter zu quantifizieren – etwa im Fall einer nicht geprüften Steuererklärung für ein bestimmtes Jahr. Nichtsteuerliche Risiken, wie arbeitsrechtliche Fragestellungen, Fragen des geistigen Eigentums oder Compliance-Themen, erfordern hingegen aufgrund ihrer qualitativen Natur und der daraus resultierenden Komplexität eine deutlich differenziertere Beurteilung. In stark regulierten Branchen kann selbst ein kleiner Blind Spot erhebliche Bedeutung erlangen.
Hinzu kommt der geografische Kontext: Risiken in Kernmärkten oder in Jurisdiktionen mit aktiven und durchsetzungsstarken Aufsichtsbehörden werden deutlich kritischer bewertet als solche in Randmärkten von geringer Bedeutung. In diesem Zusammenhang sind zur Einschätzung unter anderem das Investitionsmemorandum, der prozentuale Anteil von Umsatz, EBITDA oder der Mitarbeiterzahl im Vergleich zur gesamten Gruppe sowie die vom Verkäufer vorgenommene Eingrenzung wesentlicher Gruppengesellschaften hilfreich.
Ein weiterer zentraler Faktor ist die Qualität der verfügbaren Informationen. Selbst wenn keine formale Due Diligence durchgeführt wurde, können vollständige Unterlagen oder nachvollziehbare Managementerklärungen den Underwriting-Komfort (d.h. Risikobereitschaft des Versicherers) erheblich erhöhen. Fehlende Transparenz oder widersprüchliche Informationen hingegen führen regelmäßig zu einer höheren Risikoeinstufung und zu einer entsprechend vorsichtigen Herangehensweise des Versicherers.
Individuelle Risikosteuerung seitens der Versicherer
Auf Grundlage dieser Analysen verfügen die Versicherer über verschiedene Instrumente, um eine Blind-Spot-Deckung in die W&I-Police zu integrieren und zugleich eine wirksame Risikosteuerung zu gewährleisten. Ambridge und andere marktführende globale M&A-Versicherer entwickeln hier zunehmend kreative und maßgeschneiderte Lösungen, die von M&A-Beratern geschätzt werden.
Hierzu zählen die Plausibilisierung von typischen „Red-Flag-Risiken“ in bestimmten Jurisdiktionen für vergleichbare Zielgesellschaften sowie Prämienaufschläge, deren Höhe sich nach Art und Umfang der identifizierten Blind Spots bemisst. Mit wachsendem potenziellem Risiko erhöht sich folglich der entsprechende Prämienaufschlag. So können im Rahmen der genannten Blind-Spot-Plausibilisierung besonders risikobehaftete Bereiche, wie etwa Open-Source-Software-Risiken, das Fehlen von wesentlichen Betriebsgenehmigungen (z.B. für Industrieanlagen, hoch regulierte Geschäftssparten) oder die Fehlklassifizierung freier Mitarbeiter in Technologieunternehmen, teilweise oder vollständig von der Deckung ausgeschlossen werden.
Gesonderte De-Minimis-Regelungen ermöglichen es zudem, die Schwelle für geringfügige Ansprüche, die von der Deckung ausgenommen sind, etwas zu erhöhen und damit rein wirtschaftlich das Blind-Spot-Risiko minimal einzugrenzen. Bei potenziellen systemischen Risiken – etwa arbeitsrechtlichen Massenansprüchen infolge fehlerhafter Überstunden-, Urlaubs- oder Bonusregelungen oder einer einheitlich unzutreffenden steuerlichen Behandlung der Umsatzsteuer – kann hingegen auf die Inklusion von Serienschäden in der De-Minimis-Definition verzichtet werden.
Ferner lässt sich durch ein restriktiveres Limitmanagement eine gezielte Risikobegrenzung erreichen. So kann die Blind-Spot-Deckung beispielsweise auf einen Teil der Versicherungssumme – sogenannte Sub-Limits – beschränkt werden. Alternativ können Tower-Strukturen eingesetzt werden, um Blind-Spot-Risiken auf mehrere Versicherer zu verteilen und dadurch die Entstehung von Klumpenrisiken bei einem einzelnen Versicherer zu vermeiden.
Diese Maßnahmen lassen sich je nach Transaktion individuell kombinieren. So kann beispielsweise eine moderate Zusatzprämie mit einer höheren Selbstbeteiligung und dem Ausschluss von Serienschäden für gewisse Bereiche verbunden werden, um einen ausgewogenen Risikotransfer zu erreichen. Am Ende erfordert jedoch jede Transaktion eine maßgeschneiderte Lösung.
Fazit
Blind-Spot-Deckung hat sich als wirkungsvolles Instrument etabliert, um Transaktionslücken gezielt zu schließen und die Verhandlungssicherheit für Käufer und Verkäufer zu erhöhen. Sie schafft zusätzlichen Komfort im Risikotransfer und ermöglicht maßgeschneiderte Lösungen selbst in komplexen Deals. Gleichwohl bleibt die sorgfältige Due Diligence die unverzichtbare Grundlage jeder W&I-Versicherung. Im Zusammenspiel mit einer intelligent strukturierten Blind-Spot-Deckung können Transaktionen jedoch deutlich effizienter, sicherer und erfolgreicher umgesetzt werden.
Autor/Autorin
Dr. Nicolas Seyler
Dr. Nicolas Seyler ist Director und M&A-Underwriter bei der Ambridge Group. Er verfügt über umfassende Expertise im Bereich der W&I-Versicherungen für komplexe und internationale Transaktionen mit Schwerpunkt auf dem DACH-Raum sowie dem europäischen Markt.