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Europa hat ein Momentum im Life-­Sciences-Bereich und darf es nicht verspielen. Lange galt: Junge Biotech- und Medtech-Start-ups mussten für den globalen Durchbruch in die USA ­abwandern. Heute ist die Lage anders. Die aktuelle Bundesregierung erkennt die ­Bedeutung der Life Sciences. Biotechnologie wird in der neuen Hightech Agenda ­explizit als Schlüsseltechnologie benannt – eine Seltenheit in der traditionell von ­klassischen Industrien geprägten Wirtschaftspolitik. Mit einer exzellenten Forschungslandschaft, einem großen Gesundheitsmarkt und wachsendem politischem Bewusstsein kann Deutschland internationale Spitzenplayer hervorbringen. Doch dafür braucht es vor allem mehr Growth-Finanzierung.

Biotech als Schlüsseltechnologie – nicht nur für die Gesundheit

Deutschland gehört zu den forschungsstärksten Ländern der Welt: Hier entstehen Ideen, Patente und Talente in Fülle. In Bereichen wie Gen- und Zelltherapie, ­Diagnostik oder robotischer Chirurgie spielen deutsche und europäische Unternehmen in der ersten Liga. Doch oft bleibt es bei wissenschaftlichen Erfolgen und Prototypen. Wenn es darum geht, diese ­Innovationen in globale Marktführer zu verwandeln, verlieren wir den Anschluss. Die Pandemie zeigte: Biotechnologie ­sicherte Europas Souveränität. Durch ­BioNTechs mRNA-Kompetenz konnte schnell ein Impfstoff entwickelt werden. Biotech umfasst Gentherapien, persona­lisierte Onkologie, Diagnostik und nachhaltige Anwendungen, in denen Deutschland global führend ist. Biotechnologie ist mehr als eine Branche – sie ist eine strategische Schlüsseltechnologie für Gesundheit, Wohlstand und Unabhängigkeit. Hohe Entwicklungskosten und lange ­klinische Phasen machen massive Growth-Finanzierung unverzichtbar. Deutschland hat Köpfe, Patente und Märkte, doch ohne Kapital verliert man im globalen Wett­bewerb.

Politische Weichenstellungen – ­Anspruch und Wirklichkeit

Vielfältige Initiativen sollen Wagniskapital stärken. Die WIN-Initiative („Wachstumsfonds für Innovation in der Neuzeit“) beispielsweise soll privates Kapital von jetzt bis zu 25 Mrd. EUR für Zukunftstechnologien mobilisieren – unter anderem, um Growth-Finanzierungslücken zu schließen und Abwanderung ins Ausland zu verhindern.

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Diese Richtung stimmt, doch das ­Volumen bleibt klein. Während die USA Fonds in zweistelliger Milliardenhöhe auflegen, bewegen wir uns in Europa oft nur im Bereich von Hunderten Millionen. WIN ist ein guter Anfang, doch für einen Gamechanger müssen noch mehr konkrete neue Maßnahmen greifen.

Klar ist: Wir müssen neue Wege gehen, und alle Kapitalgeber sind gefragt, das ­Risiko und die Unsicherheit mitzutragen. Und: Ein starker öffentlicher Anschub ist nötig. Erfahrungen wie bei SPRIND zeigen: Mutige Instrumente führen zu echtem ­Erfolg.

US-Investoren drängen nach Europa – eine Chance mit Bedingungen

Spannend ist, dass die Kapitalströme sich gerade verschieben. US-Investoren, früher auf den Heimatmarkt fokussiert, suchen zunehmend Chancen in Europa – aus ­mehreren Gründen:

  • Europa bietet eine hohe Innovationsdichte, die noch nicht vollständig ­kapitalisiert ist.
  • Die Bewertungen europäischer Unternehmen sind attraktiver als in den USA.

Deutschland hat eine historische Chance: US-Fonds bringen Kapital, Know-how und Netzwerke. Die Herausforderung ist, Wertschöpfung und Jobs zu sichern, ohne Standortvorteile zu verlieren.

Seed-Finanzierungen sind hierzulande gut verfügbar, auch durch staatliche Förderungen. Doch wenn es um die späteren, kapitalinten­siven Phasen geht, ­verliert Deutschland an Boden.

Von Start-ups zu Champions – die zentrale Herausforderung

Die eigentliche Schwachstelle ist der Übergang vom Start-up zum Scale-up. Seed-­Finanzierungen sind hierzulande gut ­verfügbar, auch durch staatliche Förderungen. Aber wenn es um die späteren, ­kapitalintensiven Phasen geht, verliert Deutschland an Boden. Da entstehen die Champions in den USA.

In Deutschland gibt es nur wenig ­spezialisierte Life-Sciences-Venture-­Capital-Firmen mit Know-how und Netzwerk, um in klinische Phasen und internationale Skalierung zu investieren. ­Finanzierungsrunden ab 50 Mio. bis
100 Mio. EUR sind rar, institutionelle ­Investoren zögern. ­Viele Start-ups weichen auf US-Geldgeber aus – mit der ­Gefahr, dass Wertschöpfung und Arbeits­plätze ins Ausland gehen. Die Konsequenz: Wer internationale Life-­Sciences-Champions in Deutschland und Europa will, muss die Wachstumsfinanzierung massiv stärken. Dazu gehören:

  • Fonds von ausreichender Größe, die auch zweite und dritte Runden über 100 Mio. EUR finanzieren können.
  • Kapitalmarktinstrumente, die IPOs in Europa ermöglichen, ohne Nasdaq-­Beteiligung.
  • Eine Investorenkultur, die Risiken als Chancen sieht und langfristige Poten­ziale anerkennt.

Die Botschaft an Politik und Inves­toren: Handeln wir jetzt. ­Europas Momentum ist da, Deutschland hat die besten Karten

Unser Fazit – jetzt ist die Stunde der Wahrheit

Deutschland steht an einem Wendepunkt: Innovation, Märkte, politisches Bekenntnis und internationales Kapital sind da. Aber ohne entschlossene Schritte bei der Wachstumsfinanzierung bleibt alles Stückwerk. Deutschland kann Start-ups – das ist bewiesen. Jetzt geht es darum, globale Champions aufzubauen, die Jobs, Wertschöpfung und technologische Souveränität in ­Europa halten. Die Botschaft an Politik und Investoren: Handeln wir jetzt. Europas Momentum ist da, Deutschland hat die besten Karten – doch ohne Mut, ­Kapital und Wachstumsorientierung drohen wir wieder nur Zulieferer, statt Gestalter zu sein.

Autor/Autorin

Stefan Fischer
Managing Partner, CFO at  | Website

Stefan Fischer ist Managing Partner (Finance) und seit 2000 bei TVM Capital Life Science tätig. Er verantwortet die Finanzoperationen von TVM in Europa und Nordamerika, die Verwaltung und Strukturierung der Fonds sowie Investor Relations, Compliance und Governance. Mit über 25 Jahren Erfahrung im Beteiligungsgeschäft sowie in den Bereichen Venture Capital, Corporate Finance und im M&A-Geschäft begleitete er zahlreiche Finanzierungsrunden, IPOs und Trade Sales von TVM-Portfoliounternehmen.

Prof. Dr. Dirk Honold
CFO, Serial Entrepreneur von Start-ups at  | Website

Prof. Dr. Dirk Honold hat mehr als 25 Jahre Erfahrung im Management und in der Finanzierung von Deeptechunternehmen inkl. IPOs, unter anderem als serieller Entrepreneur und CFO. Zudem ist er in diversen Gremien aktiv. Seine Arbeit an der Technischen Hochschule Nürnberg konzentriert sich auf die Stärkung des Ökosystems der Innovations- und Start-up-Finanzierung mit (C)VC und wird begleitet durch Aktivitäten in verschiedenen Thinktanks.