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Earlybird Health ist der auf den Gesundheitssektor spezialisierte Arm des VC-Investors Earlybird. Der Fonds investiert in technologiegetriebene Innovationen, die klinisch validiert und versorgungsrelevant sind. Interview mit Thom Rasche, Partner, Earlybird Health. Von Urs Moesenfechtel
Plattform Life Sciences: Herr Rasche, was unterscheidet die Venture-Capital-Landschaft im Gesundheitsbereich in Deutschland von ihrem US-amerikanischen Pendant?

Rasche: Die deutsche VC-Szene ist weniger wettbewerbsintensiv – das hat Vor- und Nachteile. Einerseits ist sie kooperativer, was ich sehr schätze. Andererseits liegt das auch daran, dass weniger Kapital im Markt ist. Aber es gibt viele positive Entwicklungen, gerade was die Qualität der Wissenschaft in Deutschland betrifft. Was fehlt, ist eine tief verankerte Gründerkultur.
Earlybird Health hat sich auf den Gesundheitsbereich spezialisiert. Was ist Ihr übergeordnetes Ziel?
Unser wichtigstes Prinzip ist: Outcome first. Wir wollen, dass Innovationen einen echten Mehrwert für Patientinnen und Patienten schaffen – finanzieller Erfolg kommt dann meist von selbst. Es geht uns um klinische Relevanz, um Versorgung, nicht um schnelle Monetarisierung. Wir verstehen uns als ausgelagerte F&E-Abteilung für große Player: Wir entwickeln neue Produkte, Services und Therapien bis zur Reife – und schaffen so Exitmöglichkeiten, meist durch M&A.
Sie haben gesetzliche Krankenkassen als Investoren eingebunden – ein unübliches Modell. Wie kam es dazu?
Wir haben schon 2016 mit der BARMER zusammengearbeitet, damals noch mit Ausnahmegenehmigung. Heute ist es gesetzlich geregelt, dass Krankenkassen in VC-Fonds investieren dürfen – bis zu 10% ihrer Rücklagen. Unsere Motivation: Innovation darf nicht erst beim Erstattungsantrag beginnen. Krankenkassen haben einen Versorgungsauftrag – also müssen sie auch frühzeitig einbezogen werden. Und sie bringen wertvolle Daten ein, z.B. zur Krankheitsinzidenz, natürlich anonymisiert.
Wie zeigt sich diese Nähe zur Versorgung konkret in Ihren Investitionsentscheidungen?
Ein gutes Beispiel ist Grey Wolf Therapeutics. Das Unternehmen entwickelt eine Technologie, um die Ansprechrate von Immunonkologietherapien zu erhöhen. Aktuell profitieren oft nur 20% bis 40% der Patienten – bei enormen Kosten. Wenn wir durch ein Investment die Effizienz solcher Therapien verbessern können, dann ist das gut eingesetztes Kapital. Die Erhöhung der Qualität der Versorgung und die Treffsicherheit von Therapien ist ein natürliches Kerninteresse von Krankenkassen.
Wie steht es um digitale Gesundheitslösungen – sind sie aus Ihrer Sicht überschätzt oder unterschätzt?
Digitale Anwendungen kranken daran, dass sie versuchen, den Arzt auszuklammern. Das halten wir für falsch. Der Schlüssel liegt in arztbegleiteten Lösungen mit klinischer Validierung – wie bei unserer Portfoliofirma Oviva. Patienten vertrauen ihrem Arzt mehr als einer App. Und: Krankenkassen fürchten Volumenzunahmen durch zu einfachen Zugang. Auch deshalb müssen digitale Tools sinnvoll in den Versorgungsalltag integriert sein.
Sie sprechen von KI in der Versorgung. Wo liegt das Potenzial – und wo nicht?
Für uns ist KI ein Werkzeug. Sie hilft, die Diagnostik zu verbessern, Prozesse zu beschleunigen und Medizinern bessere Entscheidungen zu ermöglichen. Wir sehen den Nutzen besonders bei nichtinvasiven, passiven Technologien. Eine Sprach-App, die Herzinsuffizienz über Stimmveränderungen erkennt – das wäre ein Gamechanger. Patienten müssten nicht aktiv messen, sondern würden frühzeitig gewarnt, bevor sie dekompensieren.
Welche Rolle spielt Technologie bei Ihrem eigenen Dealflow?
Eine zentrale. Unser System „Eagle Eye“, das unsere Techkollegen entwickelt und wir auf den Healthcarebereich angepasst haben, hat unseren Dealflow im Gesundheitsbereich verdoppelt – auf rund 4.000 Anfragen im Jahr. Es liefert uns Marktanalysen, identifiziert Trends und hilft bei der Erstellung von Investmentmemoranden. Aber auch hier gilt: KI ist ein Tool, kein Ersatz für Erfahrung und Intuition.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Gesundheits-Start-ups in Europa?
Ganz klar in der Regulierung. Die MDR-Zulassung in Europa ist herausfordernd, vor allem im Vergleich zur klaren Struktur der FDA in den USA. Früher war Europa der erste Markt für klinische Validierung – heute gehen Start-ups zuerst in die USA. Das muss sich ändern. Und solange der europäische Kapitalmarkt kein tragfähiger
Exitkanal ist, wird M&A für uns die bevorzugte Option bleiben.
Herr Rasche, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Das Interview führte Urs Moesenfechtel.
Autor/Autorin
Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.