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Im Healthtech reicht es nicht, ein überzeugendes Produkt zu haben – wer den Vertrieb falsch angeht, verliert schnell Fokus, Kapital und Marktchancen. Warum Expansion kein Sprint ist und welche Do’s & Don’ts Gründer kennen sollten, um über Grenzen hinweg erfolgreich zu skalieren. Von Andreas Kastenbauer und Dr. Fei Tian
Healthtech ist einer der spannendsten Bereiche für Start-ups in Europa – medizinischer Fortschritt trifft auf Digitalisierung, der gesellschaftliche Impact ist enorm, die Marktchancen riesig. Eine Reihe junger Unternehmen mit einer klaren Go-to-Market-Strategie skalieren erheblich, sodass sich erste Champions abzeichnen. Es gibt bereits europäische Digital-Health-Unternehmen mit teils über 100 Mio. EUR Umsatz wie beispielsweise Withings, Clue, Huma, Caresyntax, Numan und Owkin.
Doch wer mit der Skalierung beginnt, stößt schnell auf die erste wirklich harte Wand: den Vertrieb. Anders als im klassischen SaaS-Geschäft sind Vertriebszyklen im Gesundheitsbereich komplex, langwierig und national stark unterschiedlich reguliert. Während die Produktentwicklung oft mit Tempo und Exzellenz voranschreitet, bleibt der kommerzielle Erfolg – besonders im internationalen Kontext – zu häufig aus. Skalierung beginnt nicht mit dem Go-to-Market, sondern mit einer fundierten Marktanalyse. Viele Start-ups setzen zu früh auf internationale Expansion – ein gefährlicher Fehler.
Schlüsselfaktoren bei der internationalen Expansion
Zwei Beispiele aus dem MIG-Portfolio zeigen, wie unterschiedlich der Weg verlaufen kann – und was man daraus lernen sollte.
Liva Healthcare, ein dänisches Digital-Health-Unternehmen im Bereich chronischer Erkrankungen, punktete früh mit einer starken Lösung zur Verhaltensänderung bei Diabetes und Adipositas. Der Heimmarkt war gut bearbeitet, das System validiert – doch der Einstieg in den britischen NHS-Markt erwies sich als Marathon. Nach Jahren des Aufbaus, Beziehungsmanagements und regulatorischer Abstimmungen zahlt sich der lange Atem nun aus. Der entscheidende Erfolgsfaktor: ein fokussierter Vertriebsansatz, der den Markt wirklich verstehen wollte, bevor man ihn betrat. Ein klarer Wertbeitrag, gestützt durch zuverlässige Umsetzung sowie durch Daten zur Verbesserung klinischer Ergebnisse und gesundheitsökonomischer Kennzahlen, ist entscheidend. Die Diversifizierung des Geschäftsmodells und der Technologieprodukte ist ebenfalls ein zentraler Hebel zur Wertschöpfung. Die Monetarisierung der Technologieplattform, von SaaS-Produkten und sogar von Expertise kann den Unternehmenswert maximieren und Kunden auf unterschiedlichen Integrationsstufen binden – mit Potenzial für Upselling und einem breiteren Sales Funnel.
HawkCell, ein AI- und Medtech-Unternehmen aus Lyon wagte den Schritt in die USA früh – motiviert vom vermeintlich größeren Marktvolumen und besseren Pricing. Was folgte, war ein steiler Lernprozess. US-Kliniken haben andere Anforderungen, andere Prozesse und andere Entscheidungsstrukturen als in Frankreich. HawkCell musste zurückrudern, Ressourcen umschichten, Partner wechseln und den Vertriebsansatz schärfen. Heute wächst das Unternehmen nachhaltig – in einem strukturierten Go-to-Market-Prozess mit validierten Use Cases. Vertrieb im Healthtech ist kein Sprint. Wer zu schnell zu viele Märkte adressieren will, verliert den Fokus, Kapital und manchmal auch die Kontrolle.
Die Do’s & Don’ts auf dem Weg zum europäischen Champion
Was lernen wir daraus? Aus über 50 Gesprächen mit Gründern, Investoren und Experten im europäischen Healthtech-Sektor kristallisieren sich sechs zentrale Punkte heraus, die beim Aufbau vertrieblicher Exzellenz entscheidend sind:
- Do: Einen Markt wirklich verstehen: Jeder Markt hat seine eigenen Hürden – regulatorisch, kulturell, strukturell. Was in Deutschland funktioniert, kann in Frankreich oder Schweden völlig anders aussehen. Gute Vertriebsteams investieren deshalb nicht nur in Sales, sondern auch in Marktanalysen, Health Economics und Public Affairs.
- Don’t: Zu früh in die USA: Der US-Markt ist verlockend – aber äußerst kapitalintensiv, fragmentiert und in hohem Maße abhängig von lokalen Beziehungen. Ohne dediziertes Team, lokale Partner und einen langen Atem kann ein solcher Markteintritt schnell zur strategischen Sackgasse werden.
- Do: Den Vertrieb systematisch aufbauen: Ein Sales-Funnel im Gesundheitswesen dauert Monate, manchmal Jahre. Ein strukturiertes CRM, skalierbare Prozesse und langfristige Account-Strategien sind kein Nice-to-have, sondern Überlebensfaktor.
- Don’t: Ressourcen verzetteln: Gerade im Scale-up-Modus wird häufig versucht, fünf Märkte gleichzeitig zu bedienen – oft mit dem gleichen Team. Ergebnis: niemand wird wirklich erfolgreich. Fokus ist entscheidend – idealerweise ein Markt pro Jahr, mit messbaren Meilensteinen.
- Do: EU als Bühne ernst nehmen: Europa ist kein homogener Markt – aber ein hervorragendes Sprungbrett. Viele Start-ups unterschätzen das Potenzial regionaler Erstattungsmodelle, föderaler Innovationsfonds oder grenzüberschreitender Partnerschaften.
- Do: Strategische Partnerschaften als effizienter Wachstumsmotor: Partnerschaften mit lokalen Champions mit gegenseitigen Synergien sind entscheidend, um den gemeinsamen Wert zu realisieren und weiteres Wachstum zu ermöglichen. Es geht nicht nur darum, Zahlen zusammenzuführen, sondern auch darum, durch starke Synergieeffekte neue Markteintritte zu beschleunigen.
Fazit: Fokus schlägt Geschwindigkeit
Was Healthtech-Gründer auf ihrem Weg zum „EU-Champion“ mitnehmen sollten: Internationalisierung ist kein Selbstzweck. Erfolgreiche Unternehmen wachsen nicht dadurch, dass sie schnell in viele Länder expandieren – sondern dadurch, dass sie ihre Hausaufgaben machen. Die Auswahl des richtigen Zielmarkts, das Verständnis der Vertriebsdynamik und der Aufbau von lokalem Vertrauen sind das Fundament für nachhaltiges Wachstum. Als Fonds sehen wir es als unsere Aufgabe, Gründer nicht nur mit Kapital, sondern auch mit strategischer Expertise zu begleiten. Wir investieren gezielt in Healthtech-Unternehmen, die eine klare Vision haben – und den Mut, nicht jedem Trend hinterherzulaufen, sondern ihren eigenen Weg konsequent und überlegt gehen. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit Gründern echte Champions zu bauen – nicht die ersten, sondern die besten in ihrem Segment.