Derzeitige Veränderungen im Marktumfeld, der Gesetzgebung oder Regulierung haben große Auswirkungen auf Life-­Sciences-Unternehmen und Investoren. Welchen Geschäftsmodellen bieten sich da noch gute Chancen auf Finanzierung? Wir sprachen dazu mit Martin Piehlmeier, Vice President Healthcare Investmentbanking bei Bryan, Garnier & Co.

 

Plattform Life Sciences: Herr Piehlmeier, welche Life-Sciences-Geschäftsmodelle sind Ihrer Meinung nach die aussichtsreichsten?

Martin Piehlmeier. Copyright: Bryan, Garnier & Co.

Piehlmeier: Bei erhöhten gesamtwirtschaftlichen Risiken sind Investoren vorsichtiger, größere Summen in Unternehmen mit hohen Kapitalanforderungen zu investieren. Der zunehmende Wettbewerb um begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten und die steigende Risikoaversion der ­Investoren erhöhen den Druck auf die ­Bewertungen. Am aussichtsreichsten sind aber nach wie vor Geschäftsmodelle mit innovativer Technologie, einem einzigartigen Produkt und klarem Fokus auf kurz- bis mittelfristige Rentabilität. Letzteres gilt besonders für Unternehmen mit kurz vor der Kommerzialisierung stehenden Medikamentenkandidaten. Ihre Vermarktungsstrategie muss gut durchdacht und überzeugend kommuniziert werden. Ein starkes Managementteam ist unerlässlich, um diese Strategie erfolgreich umzusetzen. Internationale Präsenz kann zudem dabei helfen, internationale Investoren ­anzusprechen und zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Am aussichtsreichsten sind nach wie vor ­Geschäftsmodelle mit innovativer Technologie, einem einzigartigen Produkt und klarem Fokus auf kurz- bis mittelfristige Rentabilität.

Einige Anleger argumentieren, dass Unternehmen mit starken ESG-Praktiken eher in der Lage seien, langfristigen Wert für die Aktionäre zu schaffen. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?

Ja, absolut – denn sie sind in der Lage, ­Risiken und Chancen rund um das Thema Nachhaltigkeit besser zu managen. Diese können sich bekanntlich fundamental auf die Unternehmensleistung auswirken, im Positiven wie im Negativen. Zudem können Unternehmen mit guten ESG-Ratings deutlich leichter Talente anziehen und binden. Das Gleiche gilt für ihre Beziehungen zu Lieferanten, Kunden und Partnerunternehmen, die ja ihrerseits immer mehr unter Druck stehen, allen relevanten ESG-Kriterien zu genügen. Und im Idealfall trägt die Einhaltung der entsprechenden Kriterien sogar dazu bei, durch einen ­effizienteren Ressourceneinsatz die Betriebs­kosten zu senken.

Welche ESG-Faktoren sind für Anleger relevant, wenn sie Investitionen in Life-Sciences-Unternehmen in Betracht ziehen?

Beim Thema ESG haben wir es bekanntlich mit drei Aspekten zu tun: Environment, Social und (Corporate) Governance. Stichwort Umwelt – auch in den Bio­wissenschaften spielen der Energie- und Ressourcenverbrauch, das Abfallmanagement und das Management von Umwelt­risiken und -chancen eine beachtliche ­Rolle. Aus ethischer Sicht ist dieser Sektor aufgrund der strengen regulatorischen Anforderungen tendenziell schon gut ­abgedeckt, z.B. hinsichtlich der Sicherheit von Patienten in klinischen Phasen oder von Tierversuchen in der präklinischen Forschung. Substanzielle Bedeutung haben aber auch soziale und Governancefaktoren. Bei der sozialen Dimension geht es jenseits der eigenen Attraktivität als ­Arbeitgeber z.B. auch darum, eine angemessene Vertretung von Personen mit ­unterschiedlichem Hintergrund in klinischen Studien sicherzustellen, um die ­Entwicklung von Behandlungen zu ermöglichen, die für alle Patientengruppen und Untergruppen wirksam und sicher sind.

Mehr denn je geht es darum, ein überzeugendes Wertversprechen abzugeben und den potenziellen Investoren zu verdeut­lichen, wie genau der Weg zur Kommer­zialisierung der Produkte und damit zu Wachstum und Rentabilität aussehen soll.

Darüber hinaus ist die Förderung der ­Diversität in klinischen Studien ein unverzichtbarer Bestandteil zur Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit. Und nicht zuletzt hat auch die gelebte Corporate Governance, einschließlich der Zusammensetzung der Aufsichtsgremien und der Vergütung von Führungskräften, einen elementaren Einfluss auf die langfristige Performance von Unternehmen.

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Welchen Rat würden Sie Unternehmern aus dem Bereich der Biowissenschaften geben, die im aktuellen Marktumfeld eine Finanzierung anstreben?

Mehr denn je geht es darum, ein überzeugendes Wertversprechen abzugeben und den potenziellen Investoren zu verdeut­lichen, wie genau der Weg zur Kommer­zialisierung der Produkte und damit zu Wachstum und Rentabilität aussehen soll. Im Übrigen gilt nach wie vor: Das Managementteam muss überzeugen, die Zusammensetzung muss ebenso stimmen wie die bisherigen Erfolgsbilanzen der einzelnen Teammitglieder. Zudem braucht es eine starke Equity Story, die den USP des Unternehmens und die wichtigsten Werttreiber im Unternehmen verdeutlicht und auch strategische Investoren und ­potenzielle Partner anspricht. Strate­gische Partnerschaften sind heute wichtiger denn je; ein solcher Partner als Investor bringt weit mehr ein als nur finanzielle Mittel. Und ja, auch die Berücksichtigung aller relevanten ESG-Aspekte gehört ­inzwischen zu den Standardanforderungen, da Investoren bei ihren Investitionsentscheidungen zunehmend auf diese ­Faktoren achten. Last but not least: Wer in diesen schwierigen Zeiten eine Finanzierung anstrebt, sollte es nicht zu eilig ­haben – die Unternehmen sollten mehr Zeit für die Investorenansprache einplanen und sich professionelle Unterstützung holen.

Die Berücksichtigung aller relevanten ESG-­Aspekte gehört ­inzwischen zu den ­Standardanforderungen, da Investoren bei ihren Investitionsentscheidungen zunehmend auf diese ­Faktoren achten.

Gibt es auch in jüngster Zeit noch Beispiele für eine erfolgreiche Finanzierung von Unternehmen der Branche?

Ja, die gibt es durchaus – mir fallen da ­sogleich zwei Unternehmen ein, die wir im ersten Quartal 2023 als Bank selbst begleiten durften. Im Fall von Abivax handelt es sich um ein börsennotiertes Biotechunternehmen, dem im Zuge seiner erfolg­reichen Kapitalerhöhung im Februar 2023 gut 130 Mio. EUR zuflossen. Damit sicherte sich Abivax Mittel für sein zulassungsrelevantes klinisches Phase-III-Programm mit einem Medikamentenkandidaten zur Behandlung von Colitis ulcerosa (s. dazu auch Case Study auf S. 34 f.). Auch privat ­gehaltene Unternehmen haben aber durchaus noch Chancen, Investoren zu ­gewinnen. Beispielsweise konnte das Berliner Digital-Health-Unternehmen Selfapy im Februar erfolgreich eine Finanzierungsrunde abschließen. Das Unternehmen ­bietet Menschen mit psychischen Erkrankungen effektive Hilfe in Form von digitalen Gesundheitsanwendungen. Angeführt wurde die Finanzierungsrunde von MEDICE Arzneimittel, einem familiengeführten pharmazeutischen Unternehmen, das Selfapy auch bei der Kommunikation mit den verschreibenden Ärzten unterstützen wird. Dabei hat das Unternehmen natürlich von den hohen Wachstumserwartungen für digitale Gesundheitsanwendungen profitiert; es konnte aber auch starke ­klinische Daten und eine überzeugende Vertriebs- und Marketingstrategie vorweisen. Der Einstieg von MEDICE ist ein ­Beispiel dafür, welche wichtige Rolle strategische Investoren mit ihrem branchenspezifischen Know-how und Netzwerken für ein Unternehmen spielen können.

Herr Piehlmeier, vielen Dank für das ­interessante Gespräch.

Das Interview führte Urs Moesenfechtel.


Zum Interviewpartner:

Martin Piehlmeier ist seit drei Jahren bei Bryan, Garnier & Co und leitet seit Anfang 2022 als Vice President die Health­careaktivitäten der Investmentbank im DACH-Raum. Zuvor arbeitete er als Analyst bei Goetzpartners in London. Er hat einen Master of Science (M.Sc.) in Klinischen Neurowissenschaften vom University College London.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe Finanzieren & Investieren 2_23 erschienen, die Sie hier herunterladen können.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.