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Digitalisierung meets Wirkstoffentwicklung: Kommen auch neue Investoren in die Biotechnologie?
Bindseil: Viele Fachleute kamen aus dem IT-Bereich und haben sich dann logischerweise zunächst der Digital Health zugewandt und Software entwickelt. Diese wollten sie dann auf neue Medizinprodukte aufspielen – doch damit trafen sie auf einen regulierten Markt, ganz anders als im klassischen IT-Geschäft. Im Gesundheitsmarkt herrschen andere Spielregeln, die man als neuer Player erst lernen muss. Die Kernfrage lautet aus meiner Sicht: Wie machen wir die Gesundheit attraktiver für andere Investoren? Hier können wir vielleicht noch ein Stück weit nachlegen, wohl verstehend, dass aus klassischen IT-Investoren niemals reine Life-Sciences-Investoren werden. Nichtsdestoweniger macht es die Digitalisierung an dieser Stelle so spannend, weil man von der Impfstoffentwicklung bis zur Versorgungsforschung immens viel bewegen kann.
Seegers: Das sehen wir stark bei Family Offices, die sich regelmäßig die Frage stellen, wo sie investieren wollen. Auch hier werden Gesundheitsthemen immer attraktiver. Vor allem für Family Offices interessant sind z.B. Medizinprodukte oder der Bereich der häuslichen Pflege, wo derzeit vermehrt in Start-ups investiert wird. Diese Themen haben durch Corona einen neuen Aufschwung erfahren, etwa durch Aufnahmestopps in Alten- und Pflegeheimen, und haben zudem den Vorteil, dass sie für fachfremde Investoren wesentlich greifbarer sind als Projekte in der Wirkstoffentwicklung.
Fischer: In der klassischen Wirkstoffentwicklung braucht es Investoren, die in diesem Bereich zu Hause sind, die über die entsprechenden Berater verfügen, die die Unternehmen auch evaluieren können, um letztlich zu einer positiven Investmententscheidung zu kommen.
Gottwald: Eine sinnvolle Ergänzung sind dann die Venture-Capital-(VC-)Fonds der Corporates wie z.B. Leaps by Bayer, die nicht nur über nötige finanzielle Mittel und das Fachwissen verfügen, sondern auch bereit sind, ein höheres Risiko einzugehen, als dies beispielsweise fachfremde Fonds oder Family Offices tun würden.

Welche Erfahrungen hat man am Standort Berlin-Buch bislang gemacht?
Quensel: Wir arbeiten eng mit der Technologietransferstelle des MDC zusammen und es gibt vielversprechende Projekte vor Ort, sei es im Bereich der Wirkstoffentwicklung oder in der Zelltherapie. Doch gerade hier erleben wir bei Investoren noch eine große Zurückhaltung, auch wenn es inzwischen Fonds mit guten Beratern und versierten Wissenschaftlern gibt. Trotzdem warten auch diese Fonds häufig darauf, dass Unternehmen erst noch den nächsten Meilenstein erreichen oder eine Gründung auch tatsächlich vollzogen ist, bevor sie sich engagieren. In anderen Bereichen ist zu dieser Zeit ein Unternehmen längst gegründet und die Gründer können ganz anders in die Pitches vor Investoren treten. Hier geht bis zur Gründung eines Biotechunternehmens durch mangelnde Finanzierung immer noch zu viel Zeit verloren. Jahrelang angehäuftes Wissen bleibt so ungenutzt, bevor es in den Markt gelangen kann. Natürlich kann die Digitalisierung in der Biotechnologie neue Brücken bauen und Wege verkürzen – aber schlussendlich braucht es auch neue Therapien und neue Wirkstoffe, und deren Entwicklung bleibt sehr kostenintensiv. Nicht alles wird mit Aspirin zu heilen sein.
Lorenz: Ein Trend sind natürlich Gen-, Zell- und Immuntherapien, also sehr aufwendige und komplexe Therapien, deren Entwicklung nicht nur bekannterweise sehr teuer ist. Zudem bewegen wir uns hier, wie schon erwähnt, in einem sehr regulierten Markt. Hier stellt sich nicht nur die Frage „Wie können wir Start-ups in diesem Markt unterstützen?“. Wir müssen auch die Behörden unterstützen, die für die Regulierung zuständig sind. Diese Behörden müssen im gleichen Maße mitwachsen und sich quasi als Sparringspartner für Start-ups etablieren.

Dr. Felix Lorenz, Captain T Cell. Quelle: GoingPublic Media.

Drängt die aktuelle Notwendigkeit der Entwicklung eines Coronaimpfstoffs andere wichtige Themen in den Hintergrund?
Lorenz: Kurzfristig mag das so sein, aber insgesamt ist es gut für die gesamte Industrie, dass die Aufmerksamkeit nun mehr auf der Biotechnologie liegt.
Quensel: Ein Problem sehen wir in der Frage der Zulassungen. Die Zulassung für einen Coronatest kann quasi über Nacht erteilt werden; dafür liegen Anträge für Zulassungen aus anderen Indikationen derzeit länger.
Vlachou: Aus Investorensicht können wir beobachten, dass Unternehmen länger auf die Bewilligung von Zulassungen für klinische Studien warten, sei es auf behördlicher oder auf der ethischen Seite. Viele regulatorische Stellen sind derzeit einfach mit Coronathemen beschäftigt. Ein anderes Extrem ist, dass klinische Studien angehalten werden, weil die Rekrutierung pausiert, da die Betten in Kliniken für COVID-19-Patienten vorgehalten werden. Das sorgt bei einigen Unternehmen für einen Verzug von mehreren Monaten, der natürlich nachgeholt werden muss.

Dr. Angelika Vlachou, Brandenburg Kapital. Quelle: GoingPublic Media