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Münden diese guten Voraussetzungen auch in einer steigenden Zahl an Ausgründungen?
Bindseil: In den letzten drei Jahren mit Sicherheit ja. Es ist aber in den Lebenswissenschaften natürlich klar dominiert durch das digitale Thema. Andererseits ist die Zahl der Neugründungen im Bereich Wirkstoffentwicklung oder vergleichbarer Themen naturgemäß begrenzt. Eine Zahl von über zehn wäre geradezu exotisch.
Seegers: Das Berlin Institute of Health (BIH) hat eine sehr gute, europaweite Aufmerksamkeit erzeugt. Viele internationale Investoren schauen auf Berlin und interessieren sich für Spin-offs aus dem BIH, den drei Universitäten und den Instituten. Die Herausforderung liegt darin, eine Finanzierung zusammenzustellen. Dabei ist die Transformation von Know-how und IP aus der Wissenschaft in das Start-up selbst ein Knackpunkt. Hier wünschen wir uns als Investor eine wesentliche Vereinfachung der Prozesse. Ich glaube auch, dass hier ein Hemmnis vorliegt, weshalb sich Gründungen verzögern.

Welche Programme in der Region dienen der Förderung von Ausgründungen?
Fischer: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Die notwendigen Tools sind alle da, etwa in der Forschungsförderung – es gibt aber noch Luft nach oben, diese Tools zu nutzen. Das gilt auch für die Verantwortlichen in den Instituten, Ausgründungen tatkräftig zu unterstützen und umzusetzen. Ich wünsche mir, dass der Fokus in der Praxis noch stärker auf Ausgründungen liegt, der translationale Bereich mehr in den Vordergrund rückt und in der Bewertung der Institute eine größere Rolle spielt. Davon könnte künftig auch die Vergabe von Forschungsförderung abhängig gemacht werden: Wie erfolgreich sind Institute in Sachen Ausgründung? Die hiesigen Forschungsinstitute haben ein international exzellentes Niveau – aber dieses wird primär an der Zahl der Publikationen gemessen und weniger an der Zahl der Ausgründungen.
Gottwald: Es ist notwendig, dass die Einrichtungen in der Region weiterhin so gut ausgestattet sind, dass sie ihr Niveau halten können. Wir müssen uns mit den besten Einrichtungen weltweit messen! Wenn diese Top-Qualität gehalten werden kann, dann besteht auch die reelle Chance auf weitere Ausgründungen und Investoren. Selbst die Charité hat ihre Erfahrungen damit, dass die Förderung nicht immer in dem Ausmaß stattfand, wie es nach internationalem Vergleich notwendig gewesen wäre. Wir sind zwar auf einem guten Weg, doch wir müssen dranbleiben.

Herr Dr. Gottwald, Sie haben persönlich eine jahrzehntelange Erfahrung in der Innovationsarbeit eines großen Pharmakonzerns. Was wünschen Sie sich für die nächste Generation an Innovationstreibern?
Gottwald: In Deutschland wünsche ich mir, dass die Top-Einrichtungen, die wir haben, weiterhin von staatlicher und regionaler Seite so unterstützt werden, wie sie es verdient haben, und wir nicht zurückfallen. Ich wünsche mir, dass wir die enge Zusammenarbeit zwischen den Akteuren noch weiter intensivieren. Ich bin ein Fan von Public-Private Partnerships; ich sehe ein großes Potenzial darin, wenn alle Akteure, also Universitäten, Pharmakonzerne, Biotech-Start-ups, Regulatoren und Behörden bis hin zu Versicherern und Patientenorganisationen, viel enger vernetzt werden, um schneller neue Produkte zu entwickeln und zum Wohl der Patienten auf den Markt zu bringen. Auch hier hat Corona einmal mehr die Notwendigkeit einer tiefgehenden Zusammenarbeit vor Augen geführt.

Mit welchen Herausforderungen sind Unternehmen in der Gründung, abgesehen von der Finanzierung, besonders konfrontiert?
Lorenz: Das betrifft vor allem die Übertragung der eigenen Erfindung, also der IP und der Lizenzen, in die Ausgründung. Das ist ein Prozess, der sicherlich vereinfacht werden und für ein Start-up am Ende problematisch werden kann, wenn er zu viel Zeit in Anspruch nimmt.
Vlachou: Die Akademien handhaben dies in der Tat sehr unterschiedlich, und es kommt durchaus vor, dass sehr strikt und sehr langwierig verhandelt wird, mit Vorstellungen, die aus Investorensicht etwas von der Realität abweichen. Ich würde mir wünschen, dass hier ein Standardverfahren aufgelegt wird. Natürlich muss man Forschung an der Akademie unterstützen – aber der größte Erfolg ist doch, wenn ein Produkt seinen Weg in den Markt und zum Patienten findet. Ob ein Produkt am Ende erfolgreich ist, hängt natürlich auch mit einer Portion Glück zusammen. Man sollte aber verhindern, ein Produkt auf dem Weg in die Kommerzialisierung mit kommerziellen Anforderungen zu belasten, die denjenigen behindern, der das Produkt letztlich zum Erfolg führen will.