Die Geburt der Gerüchte-Kommunikation
Die Begründung einer ganz neuen Kommunikationsdisziplin ergibt sich aus der MAR-Verpflichtung, bei hinreichend präzisen Gerüchten mit einer Ad-hoc-Mitteilung reagieren zu müssen. Dadurch erhält die bisher in diesen Fällen zumeist übliche Strategie, Gerüchte generell unkommentiert zu lassen, hohe Hürden. Auch wenn das Aufkommen von Gerüchten laut Lowis eher eine Randerscheinung sei, handelt zu spät, wer sich mit den neuen Ad-hoc-Regelungen beschäftigt, wenn erst eines in Umlauf ist. „Es gilt, die Politik des Hauses, nach der bisher auf Gerüchte reagiert wurde, beizeiten zu überarbeiten. Ebenso müssen die bisherigen Erstellungsprozesse von Ad-hoc-Mitteilungen daraufhin überprüft werden, ob sie der unmittelbaren Reaktion auf Gerüchte dienlich sind“, rät er Emittenten. Was die Umsetzung betrifft, gibt er sich zuversichtlich: „Letztlich zeigt sich hier das wahre Können eines IROs!“

Dr. Lowis MAR
Dr. Stephan Lowis zum Thema MAR

Die Lizenz, Investoren zu Insidern zu machen
Dieses Können kann der IRO zukünftig auch unter Beweis stellen, indem er ausgewählte Anleger anspricht, um Erfolgsaussichten einer Platzierung von Finanzinstrumenten einzuschätzen. Nicht nur für Altaktionäre, die sich von einem Paket trennen wollen, kann diese Maßnahme attraktiv sein. Der direkte Investorenkontakt seitens der Emittenten ist gewollt, kann aber auch an Broker oder Dritte delegiert werden. Dabei sollte in Betracht gezogen werden, dass – wie bei den Hauptversammlungsbeschlüssen auch – teils die Compliance-Abteilungen für Marktsondierungen verantwortlich sind, teils das Portfoliomanagement. Ein Anspruch, dass ein Investor, der seine Zustimmung zu einer Kapitalmaßnahme signalisiert, auch daran teilnimmt, lässt sich aus der MAR nicht ableiten.

Und schon wieder Listen! Jeder Emittent, der zum Mittel der Marktsondierung greifen möchte, benötigt eine dauerhafte Liste der infrage kommenden Kontaktpersonen sowie eine von Anlegern, die nicht angesprochen werden wollen. Kommt es zur Durchführung, wird der angesprochen Investor zum Insider und muss über das Verbot des Erwerbs oder Veräußerung der betreffenden Finanzinstrumente unter Nutzung von lnsiderinformationen belehrt werden. Sämtliche übermittelten lnformationen sind nebst Datum und Uhrzeit jeder Offenlegung in der Insiderliste aufzuzeichnen. Bei ausländischen Investoren dürfte die Akzeptanz sicherlich auch davon abhängen, wie das eigene regulatorische Umfeld ist.

Fazit
Die MAR ist vor allem eins: ein Schritt in Richtung eines einheitlichen europäischen Kapitalmarkts. Ob dieser gelungen ist, lässt sich rückblickend erst nach einigen Jahren gelebter Praxis beurteilen. Viele Emittenten rechnen mit einer dereinstigen Abschwächung der Komplexität, die eine Börsennotierung seit Juli 2016 mit sich führt. Kiss bringt die Sache auf den Punkt: „Ich bin irritiert von einem, meiner Meinung nach, zunehmend theoriegeprägtem Regulierungswahn, der die Aktienkultur sicher nicht fördert – im Gegenteil.“ Wie immer gibt es auch hier eine zweite Seite der Medaille: Das Tätigkeitsgebiet von Investor Relations wird nochmals anspruchsvoller. So gesehen dient die MAR dem Erhalt von hochqualifizierten Arbeitsplätzen.

Der Artikel erschien zuerst in der Oktoberausgabe des GoingPublic Magazins.

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