Irgendwie hat sie sich von hinten angeschlichen: die neue Marktmissbrauchsverordnung (Market Abuse Regulation: MAR). Und nun ist sie da! Eigentlich schon lange – seit April 2014 – in Kraft, gilt sie in den EU-Mitgliedsstaaten seit dem 3. Juli 2016. Viele Regelungen spiegeln eine bei den meisten Marktteilnehmern bereits gängige Praxis wider. Dennoch gestaltet sich die Anwendung nicht eben einfach. Von Dr. Charlotte-Brigitte Looß
„Es muss ein einheitlicherer und stärkerer Rahmen geschaffen werden, um die Marktintegrität zu wahren, potenzieller Aufsichtsarbitrage vorzubeugen, Rechenschaftspflicht bei Manipulationsversuchen vorzusehen und den Marktteilnehmern mehr Rechtssicherheit und unkompliziertere Vorschriften zu bieten. Diese Verordnung zielt darauf ab, einen entscheidenden Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zu leisten…“ – es sind fraglos sinnvolle Ziele, die das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union mit der MAR verbinden.
Auf den ersten Blick regelt die neue Verordnung vieles, das längst zur Routine in Deutschland zählt: Insiderlisten werden gepflegt, Directors‘ Dealings vermeldet, Ad-hoc-Mitteilungen unmittelbar veröffentlicht. Zudem formalisiert die MAR gelebte Praxis, wie die sogenannte „closing period“ – Zeiten vor Bekanntgabe von Geschäftszahlen oder Insiderinformationen, in denen viele Vorstände schon aus Selbstschutz nicht mit Aktien des Unternehmens handeln. Wo jedoch Regulierung verfeinert wird, fällt in der Regel vermehrter Verwaltungsaufwand an. Und so empfinden auf den zweiten Blick wohl nur wenige Marktteilnehmer die neuen Vorschriften als unkompliziert.
Die Last mit den Listen
Soviel steht fest: Das Listing wird listenlastiger! Zu pflegen sind ab sofort projektbezogene Insiderverzeichnisse mit Datum und Uhrzeit, Register von Führungskräften und ihren Haushaltsangehörigen mit gegengezeichneten Rechtsbelehrungen wie auch listenartige Veröffentlichungen, wann welcher Direktor oder eine ihm nahestehende Person Aktien, Schuldtitel oder damit verbundene Finanzinstrumente des eigenen Unternehmens ge- oder verkauft, verliehen oder verpfändet hat.
Selbstverständlich sind es nicht die Listen, sondern deren ungewohnten Informationstiefen, die für einen enormen Beratungsbedarf im Vorfeld der MAR-Einführung sorgten. „Wir haben uns bei RWE gemeinsam mit der Rechtsabteilung gut auf die MAR vorbereitet“, resümiert Dr. Stephan Lowis, Leiter Investor Relations bei RWE. Für ihn ändert sich in der täglichen Praxis zunächst wenig, „aber gerade die neuen Regelungen im Insider-Recht und bei den Ad-hoc-Pflichten beinhalten Details, in die sich ein Investor Relations-Manager erstmal einarbeiten muss“.
Bei kleineren Emittenten mit dünnerer Personaldecke führte die MAR gegebenenfalls zur Ausweitung des beruflichen Horizonts. So geschehen bei Patrick Kiss, der ohnehin schon in Personalunion die Investor & Public Relations bei Deutsche EuroShop verantwortet: „Mein Aufgabenfeld wurde erweitert um das kapitalmarktrechtliche Compliance-System unseres Unternehmens. Eine der ersten Aufgaben hierbei war die „Aufklärung“ der Organmitglieder.“