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Die neue Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation; MDR) gilt seit dem 26. Mai 2021 – und mit ihr eine Reihe von Änderungen und Verschärfungen, die insbesondere Medizinproduktehersteller vor gewisse Herausforderungen gestellt haben. Nunmehr, knapp ein Jahr nach Geltungsbeginn der MDR, ist ein Blick darauf zu werfen, wie und ob sich die Reform auf Transaktionen im Medtechbereich und auf die Investitionsfreudigkeit in der Branche ausgewirkt hat. Von Dr. Oliver Treptow und Catarina Angelika Seemann, LL.M.

Nach wie vor steht fest: Die Medtechbranche in Deutschland ist ein stark florierender Wirtschaftszweig. Die Anzahl an einschlägigen M&A-Trans­aktionen war in den letzten Jahren besonders hoch, ein Rückgang ist in naher Zukunft nicht zu erwarten. Ein besonderer Reiz für Investoren könnte darin liegen, dass im ­Gegensatz zu vielen anderen Bereichen in der Gesundheitsbranche, wie z.B. in der ambulanten ärztlichen Versorgung, keine Restriktionen mit Blick auf die Beteiligung eines Investors an entsprechenden Medtechunternehmen bestehen. Hinzu kommt, dass die Medtechbranche dem Megatrend Digitalisierung folgend aufgrund medizintechnischer Innovationen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Nicht zuletzt die ­Pandemie hat den Bedarf und die Chancen des Sektors noch einmal verdeutlicht und es haben sich neue potenzielle Inves­titionsthemen aufgetan. Dies betrifft etwa die Fernüberwachung (Remote Patient ­Monitoring) oder die Entwicklung von ­Produkten und Dienstleistungen zur Verbesserung der Betreuung oder Versorgung von Patienten.

Grundsätzliches zur MDR

Die MDR definiert Medizinprodukte als Gegenstände, die einen medizinischen Zweck verfolgen und dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt sind. Die Anzahl der als Medizinprodukte einzuordnenden Produkte ist groß. So sind beispielsweise implantierbare Produkte wie Insulin­pumpen als Medizinprodukte anzusehen, aber auch Software und sogenannte ­Medical Apps.

Die MDR verfolgt das Ziel, die Sicherheit von Medizinprodukten zu gewährleisten und für größere Transparenz zu sorgen. So sollen Produkte beispielsweise über die gesamte Lieferkette zurückverfolgt werden können und höheren Standards gerecht werden. Hierfür sieht die MDR verschärfte Kontrollen durch sogenannte Benannte Stellen und unangekündigte Audits vor.

Der Medizinproduktesektor, der bereits vor Inkrafttreten der MDR stark reguliert war, unterliegt seit deren Geltung noch einmal strengeren Vorgaben. Unmittelbar betroffen von ihren Regelungen sind ­zunächst Hersteller, Importeure, Händler sowie Zulieferer und Lohnhersteller; mittelbar auch Investoren (dazu sogleich).

Welche wesentlichen Neuerungen beinhaltet die MDR?

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Die MDR unterscheidet sich in mehreren Punkten gravierend von den Vorgänger­regularien. Eine wesentliche Neuerung ist bereits der Anwendungsbereich der MDR, der weiter gefasst wurde und nun etwa ausdrücklich alle Produkte zur Reinigung, Sterilisation oder Desinfektion anderer Medizinprodukte, wiederaufbereitete Einmal-Medizinprodukte und bestimmte Produkte ohne medizinischen Zweck (z.B. ­farbige Kontaktlinsen oder Implantate und Stoffe für ästhetische Zwecke) erfasst. Experten gehen davon aus, dass auch ­Geräte zur Vorsorge und Prognose eines Krankheitsrisikos unter den Geltungs­bereich der MDR fallen könnten.

Ferner sieht die MDR Änderungen bei der Risikoklassifizierung von Produkten vor. Grundsätzlich müssen Hersteller ihre Produkte unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung und der damit verbundenen Risiken in verschiedene Risikoklassen einstufen. Die Risikoklassen wirken sich auf die weiteren Schritte der CE-Kennzeichnung aus, insbesondere die Wahl des Konformitätsbewertungsverfahrens und den Umfang der klinischen Bewertung. Die Klassifizierungsregelungen wurden deutlich verschärft, sodass viele Medizin­produkte in höhere Risikoklassen eingestuft wurden.

Auch die Anforderungen an Benannte Stellen sind gestiegen. Fachkreise gehen derzeit davon aus, dass die Zahl der nach MDR Benannten Stellen den tatsächlichen Bedarf der Hersteller nicht deckt.

Ferner wurde mit der MDR ein System zur Identifizierung und Rückverfolgbarkeit von Produkten eingeführt, es wurden strengere Anforderungen an die klinische Überwachung nach dem Inverkehrbringen implementiert und die Pflichten der Wirtschaftsakteure konkretisiert.

Auswirkungen im Transaktions­bereich – Relevanz für Investoren

Die mit Einführung der MDR eingetretenen Neuerungen sind für Investoren im Hinblick auf eine mögliche Transaktion vor allem im Rahmen der Due Diligence und – wie bereits vor Geltung der MDR – bei der Wahl der Transaktionsstruktur­ ­relevant.

Besonders in hoch regulierten Märkten, wie der Medtechbranche, kommt der Due Diligence eine große Bedeutung zu. In der Due Diligence sind die für den jeweiligen Wirtschaftsakteur grundlegenden rechtlichen Anforderungen zu über­prüfen, die sich je nach Rolle des Targets stark unterscheiden. So müssen Hersteller­unternehmen beispielsweise andere gesetzliche Anforderungen erfüllen als ­Importeure, Händler oder Zulieferer. Dies gilt u.a. für Dokumentationserfordernisse oder Überwachungs- und Prüfpflichten, deren Einhaltung häufig im Rahmen ­behördlicher Audits überprüft wird. Auch Fragen der Vergütung und Kostenerstattung spielen zunehmend eine wichtige Rolle. Die Due Diligence soll aufzeigen, ob das Target die neuen, höheren Anforderungen der MDR bereits erfüllt oder jedenfalls zukünftig erfüllen kann.

Ein wesentlicher Aspekt bei M&A-Transaktionen im Medtechbereich ist auch die Festlegung, ob der Unternehmenskauf als Share- oder Assetdeal strukturiert werden soll. Die Wahl der Struktur kann bereits erste Auswirkungen auf ­bestehende Zertifizierungen haben, die unter Umständen neu zu beantragen sind.

Ausblick – Medtech als Investition mit Perspektive

Mit der Einführung der MDR hat der europäische Gesetzgeber den Umsetzungsaufwand von M&A-Transaktionen im Medtech­bereich erhöht. Trotz der aus regulatorischer Sicht komplexen Neuerungen sind Investitionen in demselben weiterhin äußerst attraktiv.

Zum einen kann durch eine angepasste Due Diligence bereits vorab überprüft werden, ob die erhöhten Anforderungen der MDR eingehalten wurden oder durch eine Anpassung bestehender Vertragswerke sowie der Abläufe und Strukturen ­zukünftig eingehalten werden können. ­Dadurch lassen sich etwaige rechtliche ­Risiken minimieren und mögliche wirtschaftliche Risiken kalkulieren.

Zum anderen ist weiterhin lokal sowie global mit einem starken Wachstum des Markts zu rechnen. Die positive Entwicklung beruht auf den günstigen Markt­bedingungen. Wesentliche Aspekte sind hierbei die alternde und wachsende ­Bevölkerung, die Digitalisierung, die nicht zuletzt durch die Coronapandemie an ­Bedeutung gewonnen hat, und die Ambulantisierung.

Der Bereich „Digital Health“ sorgt für neue Impulse. Dies hat auch die aktuelle Regierung anerkannt und im Koalitionsvertrag von 2021 zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP als Ziel ausgeschrieben, digitale Schlüsseltechnologien zu fördern und die Bedingungen für Start-ups am Technologiestandort verbessern zu wollen. Angestrebt wird eine Politik, die Investitionen deutlich erhöht. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen soll massiv vorangetrieben werden. Angestrebt und gefördert wird ein modernes Gesundheitssystem. Das Potenzial der Digitalisierung, namentlich die künstliche Intelligenz, ist u.a. ein zentrales Zukunftsfeld, das ­gefördert werden soll. Konkret heißt es hierzu im Koalitionsvertrag: „Wir setzen uns für High-Medizintechnik ‚made in ­Germany‘ ein.“´

Autor/Autorin

Dr. Oliver Treptow
Salaried Partner at HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK

Dr. Oliver Treptow ist Partner im Münchner Büro von HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK. Sein Schwerpunkt liegt in der Beratung von Investoren und Leistungserbringern bei Transaktionen und Strukturierungen im Bereich des Gesundheitswesens.

Catarina Angelika Seemann

Catarina Angelika Seemann, LL.M. (Medi­zin­recht) ist Senior Associate im Münchner Büro von HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK. Ihr Schwerpunkt liegt in der Beratung von Investoren und Gesundheitseinrichtungen bei Transaktionen und Strukturierungen.