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Überlegungen aus dem Bundesgesundheitsministerium sorgen für Irritationen: Wird der Einfluss von Investoren im Gesundheitssektor schon bald beschnitten? Mit anderen Worten: Droht das Ende von Buy-&-Build im Gesundheitswesen? Ein Interview mit Philipp von Hammerstein, Partner im Bereich Healthcare bei der Beteiligungsgesellschaft Gimv, für die Plattform Life Sciences.

 

Plattform Life Sciences: Herr von Hammerstein, aktuell wird viel über den geplanten Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministers Lauterbach zur Eingrenzung von Investoren im Gesundheitswesen diskutiert. Welche Punkte im Gesetzentwurf geben aus Ihrer Sicht Anlass zur Sorge?

Von Hammerstein: Aktuell liegt ein vollständiger Entwurf noch nicht vor. Es existieren lediglich einzelne Aussagen und Meinungen und das Beunruhigende ist, dass es im Moment keine Klarheit gibt. Einzelne Ideen werden von Juristen als verfassungswidrig oder europarechtswidrig bezeichnet. Ursprünglich wollte der Bundesgesundheitsminister einen Gesetzentwurf im ersten Quartal 2023 vorlegen, nun befinden wir uns bereits im dritten Quartal.

„Wir müssen auch die Perspektive des Patienten einnehmen“
Philipp von Hammerstein, Gimv.

Die Situation führt momentan dazu, dass ein hohes Maß an Unsicherheit existiert, und zwar auf allen Ebenen. Viele Ärzte überlegen sich, ihre Praxis zu verkaufen in der Erwartung, dass dies bald nicht mehr möglich sein wird. Diese Überlegung impliziert zugleich, dass es eine geeignete Käufergruppe gibt und dass keine guten Alternativen existieren, wenn die Möglichkeit eines Verkaufs an einen Investor nicht mehr besteht.

Gleichzeitig gibt es Unsicherheiten bei den bestehenden Akteuren die sich überlegen, ob sie weiter expandieren und entsprechende Mittel investieren wollen. Und es gibt Unsicherheiten auf Seiten der internationalen Akteure, die darüber nachdenken, mit ihren Gesundheitsaktivitäten in den deutschen Markt einzusteigen. Es ist einfach eine Binsenweisheit, dass es der Wirtschaft nicht guttut, wenn man nicht weiß, welche Rahmenbedingungen in Zukunft existieren.

Worüber wird denn überhaupt diskutiert?

Von Hammerstein: Die Inhalte, über die diskutiert wird, lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen. Ein erstes Thema ist die Transparenz: Wer ist eigentlich Inhaber der Praxis, wer ist der Rechtsträger? In welcher Form muss dies kommuniziert werden? Persönlich glaube ich, dass dies für viele Patienten im Zweifelsfall unproblematisch ist. Trotzdem ist es ein legitimes Interesse, dass man Eigentumsverhältnisse nachvollziehen kann.

Ein zweiter Komplex ist die ärztliche Freiheit, also Qualität und medizinische Führung. Diese ist bereits heute sehr stark ausgeprägt. Trotzdem kann man die Befugnisse eines ärztlichen Leiters noch weiter stärken. Auch hier sehe ich generell keine großen Probleme, wenn es handwerklich gut gemacht ist. Persönlich würde ich es sogar begrüßen, wenn man eine größere Messbarkeit von Qualität und Compliance erreicht, dann aber bitte für alle, und nicht nur für die MVZs. Ich bin der Überzeugung, dass im Durchschnitt die Qualität der Investor betriebenen Einrichtungen höher ist als der Durchschnitt des Gesamtmarktes.

Schließlich gibt es Stimmen, die eine Rückabwicklung von Verkäufen an Investoren verlangen. Das betrifft zum Teil auch die Labormedizin oder Dialysezentren, was dann sogar den DAX-Konzern Fresenius betreffen würde. Eine Rückabwicklung in diesen Bereichen würde erhebliche Vermögenswerte betreffen. Doch allein die Frage, was mit diesen Werten passieren soll, ist völlig unklar. Diese Überlegungen sind aus meiner Sicht nicht zu Ende gedacht.

Was mir realistischer erscheint, ist eine Art der regionalen Marktanteilsbegrenzung. Dies ist in der Zahnmedizin mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) bereits eingeführt worden. Hier wurden je nach Versorgungsgrad bestimmte Prozentsätze festgelegt. Ich könnte mir vorstellen, dass vergleichbare Regelungen in anderen Indikationen Bestandteil einer Regulierung werden.

Eine weitere Frage ist die der – ich nenne es – „Waffengleichheit“ zwischen dem privaten, niedergelassenen Arzt und dem MVZ. Stirbt etwa der niedergelassene Arzt, so wird dann automatisch auch der Kassensitz aufgegeben. Muss eine solche Regelung auch für einen Arzt gelten, der in einem MVZ ansässig ist?

Provokant gefragt: Ist das Ende von Buy & Build im Gesundheitswesen schon gekommen?

Von Hammerstein: Buy & Build wird aktuell im Gesundheitswesen von den bestehenden Plattformen weiterhin im bekannten Maße praktiziert und vorangetrieben. Auch wenn am fernen Horizont dunkle Wolken aufziehen mögen, diese Plattformen haben sich in den vergangenen Jahren derart etabliert, haben entsprechende Summen investiert und sind zu einer bestimmten Größe gewachsen, dass es aus ihrer Sicht kurz- und mittelfristig wenig Sinn macht, ihr Engagement herunterzufahren. Auch wenn die langfristige Perspektive unklar erscheinen mag, so ist es doch sinnvoll, das etablierte Geschäft im Hier und Jetzt weiterzubetreiben, und zwar inklusive weiterer Übernahmen und Zukäufe.

Was wir nicht sehen, zumindest in keinem relevanten Umfang, ist der Start von neuen Plattformen aus Ärzten und Investoren. Das Entstehen neuer Gruppen ist zwar nicht komplett zum Erliegen gekommen, jedoch stark zurückgegangen. Was ebenfalls stark zurückgegangen ist, sind Verkäufe von großen Gruppen. So gab es im vergangenen Jahr noch vereinzelte Gerüchte über Börsengänge, Fusionen oder Verkäufe, doch aktuell sind diese Vorhaben weitgehend zum Stillstand gekommen.

Ein Motiv des Gesetzentwurfs ist, dass in einzelnen Bereichen zu viel Gewinn gemacht würde und das Gewinnstreben mit der Trägerschaft (insbesondere den Investoren) korreliert. Stimmt das?

Von Hammerstein: Ich tue mich damit schwer. Auch der privat tätige Arzt macht Gewinn. Natürlich ist der Porsche fahrende Arzt ein gutes Stück weit Klischee. Und trotzdem gibt es auch bei Orthopäden oder Zahnärzten verständlicher Weise ein Gewinnstreben.

Natürlich bewegt man sich im Gesundheitswesen immer in einem Spannungsfeld, in dem man Patientenfürsorge, Qualität, Wirtschaftlichkeit und unternehmerischen Erfolg in Einklang bringen muss. Aber das sollte aus meiner Sicht nicht zu einer Verengung der Diskussion führen. Die Transparenz über Umsätze und Gewinne steigt in den größeren Gruppen im Vergleich zu den kleinteiligen niedergelassenen Ärzten.

Mir ist übrigens kaum eine wirtschaftsrechtliche oder strafrechtliche Verfehlung bekannt, die von Private-Equity-geführten MVZs ausgeht. Die ganz wesentlichen Verfehlungen zu Lasten von Patienten gehen von kleinteiligen ärztlichen Strukturen aus. Natürlich will ich nicht ausschließen, dass es auch auf „dieser“ Seite schwarze Schafe gibt. Doch wirkliches Fehlverhalten sehen wir eher in kleinteiligeren Strukturen, da es auf größeren Plattformen klarere Unternehmens- und Vorgesetztenstrukturen oder Gremien gibt. Nicht zuletzt, weil so ein Unternehmen eventuell auch wieder verkauft werden soll und sich potenzielle Käufer sehr genau mit den Gegebenheiten im Verkaufsobjekt auseinandersetzen. Da haben größere Strukturen eine sehr disziplinierende Wirkung.

Ich glaube, die Tatsache, dass viele von Investoren gehaltene MVZ profitabel sind, hat weniger mit der Tatsache zu tun, dass Finanzinvestoren diese Unternehmen profitabel gemacht haben, sondern dass es von vornherein sehr profitable Branchen innerhalb des Gesundheitswesens sind, die Finanzinvestoren anziehen. Das sieht man auch in anderen Industriezweigen. Hier muss man das Prinzip von Ursache und Wirkung betrachten.

Ein weiterer Kritikpunkt: Private Equity würde „dem System“ Mittel entziehen. Das erinnert ein wenig an die „Heuschreckendebatte“. Allerdings: Ist es vielleicht auch der Investorenszene nicht gelungen, ihren Nutzen für das Gesundheitswesen ausreichend zu kommunizieren?

Von Hammerstein: Ich glaube, es gibt kommunikative Missverständnisse. Man darf sich auch keiner Illusion hingeben, es gibt immer ein fast reflexartiges Störgefühl, wenn es um Gewinne im Gesundheitswesen geht. Es gibt ganze Teilbereiche im Gesundheitswesen, bei denen es eine Akzeptanz gibt, dass private Unternehmen, gewinnorientiert arbeiten. Nehmen Sie etwa die Pharmaindustrie, Reha-Kliniken oder die Medizintechnik. Bei anderen Bereichen, die historisch anders organisiert sind, entstehen aber solche Diskussionen.

Selbstkritisch gesehen, muss man aber auch eingestehen, dass die Private-Equity-Szene sehr lange sehr verschlossen agiert hat. Ansprechbar zu sein, überhaupt wahrnehmbar zu sein oder sich in Verbänden zu organisieren, dieser Prozess ist noch in vollem Gang. Hier muss ein Prozess durchlaufen werden, wie man ihn bei der Bildung von Krankenhaus-Ketten gesehen hat. Eine Helios-Gruppe beispielsweise hat hier vor Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen und beispielsweise Qualitätsindikatoren erhoben und Qualitätsberichte veröffentlicht. Dieser Prozess ist langwierig, zahlt sich aber aus und ist für den MVZ Bereich überfällig.

Vor allem benötigen wir jetzt aber mit Hinblick auf die Gesetzgebung für MVZ eine Versachlichung des Themas. Denn die große Chance, die jetzt besteht, ist, dass man sich als Gesetzgeber und Gesellschaft auch ein Stück weit ehrlich macht. Dass man feststellt: Es gibt diese Form der Leistungserbringung, bei der Investoren Gesellschafter sind und dies ist der Rahmen, den wir dafür setzen. Ich bin der Überzeugung, dass das Gesundheitswesen die Investoren braucht und gleichzeitig brauchen die Investoren einen Rahmen. Denn es geht um das höchste Gut, nämlich die Gesundheit des Menschen.

Wie kann man kritische Stimmen besänftigen und von den Vorteilen von Investoren im Gesundheitswesens überzeugen?

Von Hammerstein: Da gibt es ganz verschiedene Ebenen, angefangen bei den Lebensentwürfen. Viele Mediziner wollen heutzutage gar nicht mehr selbständig tätig sein. Manch einer möchte das unternehmerische Risiko nicht eingehen, andere wollen in Teilzeit arbeiten oder Elternzeit nehmen. Sie wollen Dinge in Anspruch nehmen, die für viele Angestellte heute schon ganz selbstverständlich sind. Nicht jeder medizinische Absolvent möchte noch den klassischen Weg über die Klinik hin zur eigenen Praxis gehen. Dafür braucht es Unternehmen, die die entsprechenden Strukturen abbilden können. Und das sind eben MVZs, die investorengetragen sein können, aber nicht müssen.

Eine andere Ebene ist die Ausstiegsseite. Die niedergelassene Versorgung hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Eine niedergelassene Gemeinschaftspraxis mit mehreren Angestellten ist eine große wirtschaftliche Einheit. Es gibt niedergelassene Einheiten, die sind so groß wie kleine Krankenhäuser, bezogen auf die Anzahl der Mitarbeiter. Da stellt sich dann die berechtigte Frage: Wer soll das denn kaufen, wenn der gründende Arzt in den Ruhestand geht? Wir sprechen hier von Unternehmen, die beträchtliche Umsätze oder Erträge generieren.

Schließlich gibt es auch eine Veränderung in der Medizin, hin zu spezielleren oder komplexeren Behandlungsketten, die auch viel mit Digitalisierung oder fortschrittlicher Medizintechnologie zu tun haben. Es ist ein großer Unterschied, ob solche Technologien oder Prozesse in 50 Standorten ausgerollt werden oder ob eine kleine Einzelpraxis diese Technologie installiert. Ab einer gewissen Größenordnung verfügen Unternehmen über eigene Medical Boards und setzen sich mit technologischer Entwicklung auseinander. Das hat den Aspekt, die Produktivität zu erhöhen, das hat aber auch den ganz praktischen Aspekt, dass es in Deutschland einfach zu wenig Gesundheitspersonal gibt und man solche Prozesse braucht, um schlicht Versorgung aufrecht zu erhalten. Wie kann ich eine homogene Leistungserbringung über verschiedene Standorte hinweg sicherstellen? Wie kann ich ein gutes Qualitätsmanagement entwickeln? Das ist auch in einer kleinen Einzelpraxis möglich. Aber dann lastet diese Verantwortung eben auf einer Person. Auch wenn es den einzelnen Arzt immer geben wird, der alles richtig macht.

Wir werden uns in Zukunft immer mehr mit der Herausforderung auseinandersetzen müssen, die gleiche Qualität zu immer geringeren Kosten bereitstellen zu müssen oder überhaupt Versorgung abzubilden angesichts geringerer personeller Ressourcen bei steigendem Bedarf. Und das wird nicht ohne moderne Technologie, die entsprechenden Strukturen, Arbeitsteilungen oder Telelösungen funktionieren. Für all das sind größere und besser investierte Strukturen sehr hilfreich. Es ist nicht die einzige Lösung, aber es ist ein Element, welches sehr wichtig ist.

Kommt es nicht durch die Konsolidierung tatsächlich zu ungewollten lokalen Marktkonzentrationen?

Von Hammerstein: Marktwirtschaft benötigt ein Gerüst, in dem sie sich bewegen kann. Ganz allgemein sind Monopole schädlich. Das gilt ganz besonders im Gesundheitswesen. Allerdings greifen die klassischen Regelungen des Kartellrechts hier häufig nicht, da man doch zuweilen sehr kleinteilig unterwegs ist. Konzentrationsprozesse finden de facto unterhalb des Radars statt und treten aus meiner Sicht heutzutage eher punktuell auf. Ich glaube nicht, dass wir flächendeckend Konzentrationsprozesse erleben, und wenn überhaupt, dann in sehr wenigen Fachbereichen oder Orten.

Aus Sicht des Patienten bleibt es wichtig, dass er die Wahlmöglichkeit hat. Es ist auch für den lokalen Wettbewerb die beste Lösung und garantiert dem Patienten weiterhin die bestmögliche Lösung. Wenn in einer Region monopolbedingt nur sehr wenige verschiedene Angebote vorherrschen, wird es für den Wettbewerb sehr schwierig, und damit auch für den Patienten. Diese Bedingung im Kartellrecht entsprechend zu adressieren, scheint mir durchaus nachvollziehbar. Hier darf man nicht nur die Perspektive des Investors betrachten, sondern insbesondere auch die des Bürgers und Patienten. Ich glaube nicht, dass das heute ein Problem ist, aber es ist sinnvoll zu schauen, dass es gar nicht erst zum Problem wird.

Was können Investoren tun, um sich gegen gesetzliche Änderungen zu wappnen? Und was bedeutet der Entwurf umgekehrt für Ärzte und Mediziner, die auf die Unterstützung von Investoren angewiesen sind?

Von Hammerstein: Noch ist nicht abschließend klar, was wirklich passieren wird. Ich gehe davon aus, dass es zu einer relevanten Evaluierung kommen wird, die ernsthafte Veränderungen mit sich bringt. Ich habe die Hoffnung, dass am Ende ein vernünftiger Interessenausgleich zwischen dem berechtigten Wunsch nach Regulierung, aber auch der sinnvollen Anerkennung von Realitäten und Notwendigkeiten erzielt wird. Mit der finalen Regulierung rechne ich im Jahr 2024.

Ich glaube, dass wir am Ende ein besser definiertes und ein an der ein oder anderen Stelle vielleicht auch engeres Korsett haben werden, das aber dann auch Klarheit und Verbindlichkeit für alle Beteiligten bringt. Das ist im Interesse aller Investoren, die heute oder in Zukunft investiert sein werden, aber auch im Interesse der Medizinstudenten, die mehr Optionen für ihre Zukunftsgestaltung haben wollen und der Ärzte und Mediziner, die sich mehr Optionen wünschen, wenn sie ihre aufgebauten Praxen oder Unternehmen übergeben. Das Schmerzliche ist, dass wir uns noch einige Monate in einer Zeit der Unsicherheit bewegen werden, in der einige wichtige Dinge nicht passieren werden und sich dadurch unnötig aufstauen.

Herr von Hammerstein, ich danke Ihnen für das sehr interessante Gespräch!

Das Interview führte Holger Garbs.