Bildnachweis: HTGF.

Mit neuem Look, strategischer Neuausrichtung und gleich zwei Unicorns, blickt der HTGF auf ein Rekordjahr zurück. Im Interview sprechen Dr. Achim Plum, Geschäftsführer HTGF, und Dr. Angelika Vlachou, Partnerin HTGF, über flexible Investmentmodelle, die Rolle von Nischenthemen – und warum gerade die Zeit nach der ersten Finanzierung die entscheidende ist.

 

Plattform Life Sciences: Der HTGF hat sich nach 20 Jahren ein neues Erscheinungsbild gegeben. Was hat sich darüber hinaus intern verändert?

Achim Plum: Das Rebranding im Jubiläumsjahr ist Teil eines umfassenderen Wandels. Unser Markenbild spiegelt die Vielfalt des Portfolios sowie die Bandbreite unseres Investmentansatz wider. Wir sind zudem in neue Räumlichkeiten an unserem Hauptstandort Bonn gezogen, die die Zusammenarbeit fördern und die Unternehmenskultur positiv beeinflussen. In der Geschäftsführung setzen wir weiterhin auf ein dreiköpfiges Team – neu ist: jeder von uns trägt die Verantwortung für einen unserer Investmentschwerpunkte. Ich verantworte Life Sciences und Chemie, Romy Schnelle den Bereich Industrial Tech. Und für Digital Tech suchen wir aktuell eine dritte Geschäftsführerin oder einen dritten Geschäftsführer. Alex von Frankenberg, wird ja – wie bekannt – den Fonds im Herbst auf eigenen Wunsch verlässt. Mit dieser Struktur können wir unsere Themen fokussiert vorantreiben und klar nach außen vertreten.

Wie hat sich die Value Proposition des HTGF für Fondsinvestoren im Laufe der Zeit verändert?

Plum: Unsere Fondsinvestoren aus Mittelstand, Konzernen und Family Offices haben unterschiedliche Bedürfnisse. Einige haben eigene Corporate VCs aufgebaut, andere verlassen sich komplett auf uns. Wir bieten u.a. intensive Workshops zu spezifischen Themen an und gehen gezielt auf die Anforderungen unserer Investoren ein. Diese individuelle Betreuung ist heute wichtiger denn je. Der HTGF agiert dabei zunehmend als intelligenter Sparringspartner, der nicht nur Kapital verwaltet, sondern auch kuratiertes Know-how, Marktkenntnis und Zugang zu qualifizierten Dealflow bietet. Diese Flexibilität und das Bestreben, kontinuierlich auf sich wandelnde Anforderungen zu reagieren, sind heute ein zentraler Bestandteil unserer Value Proposition.

Angelika Vlachou: Diese Entwicklung ist das Ergebnis eines kontinuierlichen Prozesses. Und auch unser Angebot an Gründerinnen und Gründer hat sich weiterentwickelt. Anfangs arbeiteten wir mit einem standardisierten Nachrang-Darlehensmodell. Seit dem dritten Fonds, aufgelegt 2017, haben wir die Möglichkeit geschaffen, auch Equity-Investments zu tätigen. Pro Startup können wir im Seedfonds HTGF IV deutlich mehr investieren, als dies früher der Fall war. Diese Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind zentrale Erfolgsfaktoren.

2024 war ein erfolgreiches Jahr für den HTGF. Was waren die Highlights?

Vlachou: Wir sind erneut einer der aktivsten Frühphaseninvestoren in Deutschland und Europa und haben bei den Anschlussfinanzierungen einen neuen Rekord aufgestellt: 1,4 Milliarden EUR konnten unsere Portfolio-Unternehmen letztes Jahr in Folgerunden einsammeln. Davon entfielen mehr als 800 Millionen Euro auf Life Sciences. Das liegt an der hohen Kapitalintensität, aber eben auch an den großen Erfolgschancen in diesem Bereich. bspw. So konnten beispielsweise Unternehmen wie SciRhom (63 Millionen EUR), das sich auf die Behandlung schwerer Autoimmunerkrankungen spezialisiert hat, oder Tubulis (128 Millionen EUR), das Antikörper-Wirkstoff-Konjugate für die Krebstherapie entwickelt, große Anschlussrunden realisieren.

Plum: Zudem konnten wir 2024 zwei neue Unicorns verzeichnen: Cardior Pharmaceuticals und EGYM. Cardior entwickelt RNA-basierte Therapeutika für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und wurde mit einer Bewertung von bis zu 1,025 Milliarden Euro von Novo Nordisk übernommen, während EGYM hochinnovative Fitnesslösungen anbietet und mit seiner letzten großen Finanzierungsrunde die Milliardenbewertung erreicht hat. Insgesamt blicken wir in 2024 auf 14 erfolgreiche Exits.

Welche Rolle spielen Nischenbereiche in Ihrer Investitionsstrategie?

Vlachou: Große Erfolge erzielen wir oft in weniger beachteten Bereichen. Ein Beispiel ist adivo, ein Unternehmen im Bereich Tiergesundheit – ein Thema, was viele andere bisher noch nicht so stark in den Blick genommen haben. Das Unternehmen wurde 2023 von Zoetis übernommen. Ein weiteres Beispiel ist GQ Bio, das gentherapeutische Ansätze für orthopädische Erkrankungen entwickelt und dieses Jahr von Pacira BioSciences übernommen wurde. Unseren größten Erfolg, den ersten Unicorn-Exit hatte der HTGF mit der MYR und ihrer kurativen Therapie gegen chronische Hepatitis D-Infektionen, erzielt – einer Firma, unterhalb des typischen VC-Radars.

Plum: Mit unserem Seed-Kapital helfen wir den Unternehmen, entscheidende Meilensteine zu erreichen, um für Anschlussfinanzierungen attraktiv zu werden. Die größte Herausforderung beginnt oft nach dem ersten Geld. Denn während es für vielversprechende Frühphasenprojekte in der Regel genügend Seed-Kapital gibt, klafft danach häufig eine Finanzierungslücke: der sogenannte „Valley of Death“ zwischen Seed und Series A. Genau hier setzt der HTGF mit seiner Brückenfunktion an. Es ist eines unserer zentralen Ziele, das Marktversagen an neuralgischen Punkten der Start-up Finanzierung zu überwinden.

Vlachou: Die ersten drei bis fünf Millionen Euro bekommt ein gutes Projekt in der Regel zusammen. Aber der Übergang in die nächste Entwicklungsstufe – wo erste klinische Daten, regulatorische Klarheit oder erste Marktsignale verlangt werden – ist häufig der kritische Moment. In dieser Phase entscheidet sich, ob aus einer guten Idee tatsächlich ein tragfähiges Unternehmen entsteht. Der HTGF begleitet Start-ups daher nicht nur mit Kapital, sondern auch mit gezieltem Sparring, Marktfeedback, strategischem Zugang zu Co-Investoren und über sein Netzwerk hinweg.

Wie unterstützt der HTGF seine Portfoliounternehmen in späteren Finanzierungsrunden?

Plum: Mit dem 2024 gestarteten Wachstumsfonds, dem HTGF Opportunity, können wir Start-ups aus unserem Portfolio auch in späteren Finanzierungsrunden unterstützen – und das mit bis zu 30 Millionen Euro. Besonders hervorzuheben ist hier ein Beispiel aus dem Bereich Life Science: Die Series-B-Runde von Aignostics, einer Charité-Ausgründung, die auf KI-gestützte Pathologie spezialisiert ist, war eines der ersten Start-ups, das wir auf diesem Weg signifikant finanziert haben.

Wie wirken sich die aktuellen geopolitische Entwicklungen ihrer Ansicht nach derzeit auf den Life Sciences-Sektor aus?

Vlachou: Die aktuelle geopolitische Lage, insbesondere in den USA, führt zu Unsicherheiten. Die Depriorisierung der biomedizinischen Forschung und die gesundheitspolitische Ungewissheit, hat bereits spürbare Auswirkungen auf den Biotech-Sektor und auf die Zusammenarbeit mit europäischen Unternehmen. Das ist dramatisch und erschreckend, dennoch sehen wir auch Chancen für Europa, sich international stärker zu positionieren.

Plum: Volatile Kapitalmärkte erschweren selbstverständlich IPOs und das Fundraising. Dennoch bleiben europäische Unternehmen für US-Investoren und andere ausländische Investoren attraktiv, da sie oft innovative Technologien zu attraktiven Bewertungen bieten. Wir beobachten die Entwicklungen genau und passen unsere Strategien entsprechend an.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Urs Moesenfechtel.


Zu den Interviewpartnern:


Dr. Achim Plum
, seit Januar 2025 Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds (HTGF), bringt 25 Jahre Erfahrung und ein großes Netzwerk in der Life-Sciences-Industrie mit. Der promovierte Genetiker kombiniert wissenschaftliche Expertise mit umfassenden Managementkenntnissen. Er verfügt über tiefe Expertise u.a. in den Bereichen Diagnostik, Präzisionsmedizin, Life Science Tools und Medizintechnik. In seiner Laufbahn hat er in Führungspositionen bei Unternehmen in der Früh- und Wachstumsphase sowie global agierenden Technologiekonzernen erfolgreich Prozesse aufgebaut, Strukturen geschaffen und Organisationen durch starkes Wachstum geführt. Dr. Plum hat zwei Börsengänge begleitet und verfügt über fundierte Kenntnisse in der Finanzierung von Unternehmen in allen Entwicklungsstadien.

Dr. Angelika Vlachou investiert seit über 10 Jahren Venture Capital in Biotech-, Pharma- und Life Science-Start-ups. Im Laufe ihrer Karriere betreute sie viele Transaktionen, die von Venture Capital in der Seed-Phase über Wachstumsfinanzierung bis hin zu Lizenzverträgen, Trade-Sale-Transaktionen und IPOs reichten. Ihre Expertise fußt zudem auf ihrer virologisch-molekularbiologischen Forschungserfahrung. Eine ihrer Stärken ist es wissenschaftliche Innovationen mit wirtschaftlichem Potenzial zu verbinden. Sie ist für Gründer:innen, Investor:innen und Stakeholder eine geschätzte Sparringspartnerin. Die promovierte Biologin startete ihre berufliche Karriere im Investment Banking.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at  | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.